Nach der erneuten Bluttat im Stadtteil wird Kritik auch in Reihen der Polizei laut

Harburg. Die traditionelle Ackersause am Schafshagenberg in Marmstorf: Darauf hatten sich Torben Stein und Mit-Abiturienten des Immanuel-Kant-Gymnasiums wochenlang gefreut. Viele haben die Prüfungen gut überstanden, eine Schülerin hat einen Traumschnitt von 1,0 erreicht. Nun war es Zeit für die Party, die Stein mit anderen Schülern vorbereitet hat.

2000 Besucher hatten sich auf einer Wiese im Appelbüttler Tal eingefunden. Wie immer sorgte ein großes Polizeiaufgebot dafür, dass es friedlich blieb. Vier Zivilfahnder, drei Beamte vom Jugendschutz, elf Polizeibeamte von der Harburger Polizeiinspektion, zwei Diensthundeführer sowie zwölf Beamte vom Einsatzzug schlichteten Rangeleien, brachten Störenfriede zur Ruhe und hielten viele Betrunkene davon ab auszurasten. "Ich möchte nicht wissen, wie das hier abgehen würde, wenn wir nicht dabei wären. Man muss sich wirklich fragen, ob diese Feier mit all den sinnlos Besoffenen noch zeitgemäß ist", so ein Polizeibeamter, der vor Ort war. Seine Kollegen waren auch noch gegen Ende der Fete dort, damit es zu keinen Zwischenfällen kommt.

Pascal E., 22, verlässt gegen Mitternacht mit seiner Freundin, 21, und einem Bekannten, 23, das Gelände. Sie waren zuvor mit Matthias A., 27, in Streit geraten. Der 27-Jährige folgt ihnen. An der Bremer Straße, auf Höhe des Bäckers Schmidt, sticht A. den E. mit einem Messer nieder, verletzt auch noch den 23 Jahre alten Bekannten. A. rennt danach zu seiner nahe gelegenen Wohnung im Dachgeschoss eines Gebäudes an der Bremer Straße. Die Polizei kann dank Zeugenaussagen schnell reagieren und nimmt A. fest. Die Beamten kennen den 27 Jahre alten Türken schon. Im Mai wurde er aus der Haft entlassen, ist schon mehrfach wegen Messerstechereien aufgefallen, ist Drogenkonsument, wird von der Polizei als aggressiv und gefährlich eingestuft. Während A., der betrunken ist, zur Wache gebracht wird, stirbt E. kurz nach der Einlieferung im Krankenhaus.

Erst vor einigen Wochen hatten zwei türkischstämmige Jugendliche vier Passanten im Tunnel an der Neuen Straße überfallen und einen körperbehinderten Radler schwer verletzt. Kurz darauf wurden Leichenteile an der Harburger Poststraße gefunden. Der Täter lag mit Stichverletzungen am Harburger Bahnhof.

Im vergangenen Jahr hatten Jugendliche mit Migrationshintergrund einen Winsener Dachdecker am Harburger Bahnhof erschlagen. Wird der Stadtteil zur Hochburg für Gewaltverbrechen?

"Schon die Zusammenlegung der beiden Polizeikommissariate 2008 und dann die Auflösung der Präsenzgruppe am Harburger Polizeikommissariat haben dafür gesorgt, dass in Harburg weniger Polizeibeamte sind", sagt Joachim Lenders, Sprecher der Polizeigewerkschaft. Außerdem sind auch Harburger Beamte bei der 200 Mann starken Florian-Ermittlungsgruppe dabei, die den Autobrandstiftern auf die Spur kommen soll. "Dann wird es eng bei Einsatzlagen, wie wir sie in Harburg aufgrund der Ackerfete hatten. Es sind nicht genügend Beamte für den Streifendienst da", sagt Lenders. Und es werde unsicher in den Straßen des Stadtteils.

Ein weiteres Problem zeigt die Statistik: "Die Anzahl schlimmer Gewalttaten hat auch in Harburg zugenommen - bei der knappen Besetzung in den Revieren eine fatale Entwicklung", so Lenders. Es sei kein Wunder, dass sich Bürger unwohl fühlen.

"Harburgs Polizei muss sofort mit mehr Personal ausgestattet werden", sagt Immo von Eitzen, FDP-Abgeordneter in der Bezirksversammlung. Es sei zu prüfen, ob es zu viele Stellen im Innendienst gebe. "Diese Kräfte müssen auf die Straße, um Streife zu fahren."

CDU-Kreischef Ralf Dieter Fischer hält die Entwicklung für kein speziell Harburger Phänomen. "Das kann auch auf der Reeperbahn passieren. Bei dem aktuellen Vorfall handelt es sich um eine Art Spontandelikt."

Unterdessen hat Torben Stein gestern sein Abiturzeugnis in Empfang genommen. So ganz unbeschwert und glücklich ist er nicht. "Wir sind sehr traurig, dass einer der Gäste nach unserer tollen Fete zu Tode gekommen ist."