Kunstverein Buchholz zeigt vieldimensionale Installation des Jesteburger Gegenwartskünstlers Niko Wolf. Austellung ab kommenden Sonntag.

Buchholz. Wo in der globalisierten Welt ist der Mensch eigentlich noch daheim - und wo ist er zu Gast? Ausgerechnet in seiner überschaubaren Heimat, der Reit- und Wanderregion Nordheide, hat sich der Jesteburger Künstler Niko Wolf auf die Suche nach Momenten gemacht, in denen er zum Reisenden wird. Das Ergebnis hat er in seiner vieldimensionalen Installation mit dem Titel "Grenzpunkte" anschaulich gemacht. Der Kunstverein Buchholz zeigt die subtil-ironischen Grenzübertritte des 29-Jährigen in seiner nächsten Ausstellung ab dem kommenden Sonntag.

In seinem Reich mit den weißen Wänden an der Kirchenstraße bietet der Kunstverein einen Ort, der den Blick verunsichern und das Auge auf die Probe stellen soll. Hier in dem 100 Quadratmeter großen white cube, dem Forum für junge Gegenwartskünstler, fühlt sich Niko Wolf heimisch. Und der Kunstverein ist froh, ihm zu Gast zu haben. Denn der 29-Jährige macht genau das, was moderne Kunst soll: Anstöße zu geben, die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen.

Seine Kunst gibt Niko Wolf dem Anschein eines wissenschaftlichen Experiments. Im Selbstversuch sucht er Orte ("Punkte") auf, um Grenzen auf vertrautem Terrain zu verschieben. Nicht im Heidegras, wie erwartet, sondern in einem Parkhaus, an dem Güterzüge vorbeidröhnen, hat der Künstler sein Zelt aufgeschlagen. In insgesamt acht Nächten, immer zur vielleicht denkbar am meisten toten Stunde, von vier bis fünf Uhr, hat er gefilmt, was auf dem Parkdeck passiert - oder eben nicht passiert. Einen 60 Minuten langen Zusammenschnitt der "blauen Stunden" im Parkhaus zeigt die Ausstellung "Grenzpunkte" - Zelt, Fernseher und das Geräusch von vorbeifahrenden Zügen sind Teil der Collage aus Video, Fotografie, Sound und Objekten.

Ein Parkhaus sei ja eigentlich ein Nicht-Ort, so Niko Wolf, an dem man nicht verweilen möchte. Vergleichbar mit einer Besenkammer, nur würden dort Autos gestapelt. "Im Parkhaus zu wohnen, überschreitet etwas, ist eine Grenze", sagt der Künstler. Aber dennoch habe er sich dort nach acht Nächten heimisch gefühlt. "Ich konnte die Geräusche einordnen", sagt Niko Wolf. Von Furcht keine Spur. Dass jemand im Parkhaus zeltet, hat die wenigen Menschen, denen er begegnet war, nicht erstaunt. Sie hätten ihn ignoriert, seien einfach zur Frühschicht geschlichen.

Ist die Lüneburger Heide nicht eine zusammenhängende Landschaft, eine Ferienregion als unzertrenntes Ganzes? Auf seinen Streifzügen durch die Region zeigt Niko Wolf die Möglichkeit einer anderen Wahrnehmung: Mit dem Fahrrad hat er sich zu den Willkommensschildern der Städte, Gemeinden und Tourismusverbände auf gemacht und sich vor jedem fotografieren lassen. So geballt zur Collage aneinandergereiht, wirken die Schilder wie Schlagbäume an Staatsgrenzen - und die Nordheide erscheint wie von Kleinstaaten zerschnitten.

Auf subtile Weise macht der Künstler so sichtbar, wie einzelne Regionen zur touristischen Vermarktung "Grenzpunkte" setzen. Und stellt so nebenbei die Frage nach der Rolle der Kunst in der Freizeitwirtschaft. Niko Wolf scheint ein erfrischender Realismus auszuzeichnen, denn er beantwort diese Frage so gar nicht szeneüblich: "Kunst", sagt der junge Künstler, "ist ein Wirtschaftfaktor und nicht zweckfrei."

Die Gespräche mit Fremden, die er an den Willkommensschildern führte, hat Niko Wolf aus dem Gedächtnis protokolliert. Auch diese Protokolle zeigt die Ausstellung. Da ist er wieder, der pseudo-wissenschaftliche Anschein, der in der modernen Kunst gerade so im Trend ist. Hinter so unbestechlich wirkenden Nummerierungen und Ordnungsprinzipien stehen so derart überflüssige Informationen, dass sie nur als humorvolle Abrechnung mit dem Wissenschafts- und Objektivitätswahn gedeutet werden können. So notierte Niko Wolf akribisch die Kilometerstände, an denen er auf Willkommensschilder stieß. Und er hielt im Protokoll die Art des Fahrrads fest, mit der er unterwegs war: Die unnütze Information "Mountainbike" wird so zur pseudowissenschaftlichen Kategorie.

Niko Wolf provoziert übrigens freundlich: Der Jesteburger, der zeitweise Wahlberliner ist und in der Bundeshauptstadt als Kunstpädagoge arbeitet, beschenkte jeden seiner Interviewpartner mit einem Gläschen Honig, einem typischen Mitbringsel aus der Lüneburger Heide. Einzelnen war so viel Grenzüberschreitung offenbar suspekt: "Einige wollten den Honig nicht", erzählt Niko Wolf. Schade, denn der junge Künstler hat auch Talent als Imker. Der Honig stammt von seinen eigenen Bienen - wie auch das Summen, das über Lautsprecher im Ausstellungsraum zu hören sein wird.

Die Chefin der weltweit wichtigsten Schau moderner Kunst, der documenta, hat übrigens viel für Bienen übrig und fordert laut der "Süddeutschen Zeitung" sogar ein Wahlrecht für diese Tiere. Die Grenze zwischen dem, was Kunst sei und was nicht, werde unwichtiger, hatte Carolyn Christov-Bakargiev erklärt. Der Kunstverein Buchholz, seit elf Jahren ein Forum für junge, streitbare Künstler, ist eine documenta im Kleinen. Nur nicht alle fünf Jahre wie die große Schwester, sondern in sechs Ausstellungen in jedem Jahr.

Niko Wolf: "Grenzpunkte". Daheim - zu Gast", Eröffnung: Sonntag, 1. Juli, 11 Uhr, Kunstverein Buchholz, Kirchenstraße 6, mit einer Einführung von der Kunsthistorikerin Dagmar Detlefsen, bis 29. Juli, Öffnungszeiten: Di bis Fr 16 bis 18 Uhr, Sa und So 11 bis 17 Uhr.

Vortrag: "Documenta - Kassel (1955 bis 2013). Die Entwicklung der documenta zu einem kulturpolitischen Superlativ" von Beate Adam, Sonntag, 15. Juli, 11 Uhr, Kunstverein Buchholz, Kirchenstraße 6. Eintritt frei.