Ein Ingenieurbüro stellt fest, dass sich der Fahrzeugverkehr negativ auf das Wohlbefinden der Anwohner auswirkt. Tempo 30 gefordert.

Harburg. Wenn es bei Familie Przybylski, die in einem denkmalgeschützten Gebäude am Karnapp lebt, Frühstück gibt, kommt stabiles Porzellan auf den Tisch. Und das liegt an den Lastern, die von der Seehafenbrücke herunter- und dann durch den Karnapp brettern - die lassen den Tisch vibrieren. "Da wackeln manchmal die Tassen und Gläser", sagt Leon Przybylski.

Wie berichtet, haben Mitarbeiter eines Ingenieurbüros, beauftragt von der Bezirksverwaltung, erhoben, wie stark die Erschütterungen in den Häusern am Karnapp sind und wie sie sich auf Bausubstanz und menschliches Wohlbefinden auswirken. Jetzt ist es raus: "Die Erschütterungen, tatsächlich hervorgerufen durch den Fahrzeugverkehr, nicht, wie wir ursprünglich vermuteten, durch die Züge, die ebenfalls an den Häusern vorbeirattern, sind erheblich. Besonders in den Gründerzeitgebäuden, in denen sich große Räumlichkeiten mit weit gespannten Holzbalkendecken befinden, schaukeln sich die Vibrationen auf", sagt Baudezernent Jörg Heinrich Penner. Auslöser dafür, dass Fassadenteile und Putz auf die Fahrbahn und aufs Trottoir fallen, seien die Lkw, deren Anhänger über die Bodenwellen und Unebenheiten der Straße fahren.

8500 Fahrzeuge nutzen heutzutage den Karnapp. Und künftig werden sich noch mehr Gefährte durch den Straßenzug quälen. Denn mit dem Ansinnen, den Schwerlastverkehr aus dem Binnenhafengebiet herauszuhalten und ihn über Karnapp umzuleiten, sind sich Verwaltung und Politik ausnahmsweise einmal einig. Laut Gutachten werden es dann vermutlich 15 000 Fahrzeuge sein, die durch die kleine Harburger Binnenhafenquerspange düsen werden. "Dann nehmen auch die Erschütterungen zu", so Penner. Sollten sie sich um 25 Prozent verstärken, soll dies für Menschen kaum wahrnehmbar sein, so der Baudezernent. "Wir gehen aber davon aus, dass die Anwohner diese Zusatzbelastung bemerken werden. Deshalb wollen wir Gegenmaßnahmen ergreifen", so Penner.

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Das werde auch Zeit, sagt Rainer Bliefernicht, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU. "Normalerweise ist Wohnen dort nicht mehr zulässig. Es muss etwas geschehen, so schnell wie möglich."

Laut Penner sollen die Bodenwellen beseitigt werden, sodass sich weniger Resonanzen übertragen können. "Sicherlich wäre es wünschenswert, mit der Einführung von Tempo-30-Zonen den Verkehr zu beruhigen. Doch da macht uns die Straßenverkehrsbehörde einen Strich durch die Rechnung", so Penner. Der Karnapp sei zu wichtig, als dass er entschleunigt werden könnte.

Außer man nennt der Behörde einen wichtige Grund: "Tempo 30 ist dort einfach die beste Lösung. Die Verwaltung könnte vorschlagen, diese Geschwindigkeitsbegrenzung aufgrund von Straßenschäden einzurichten. Das sollte von Amts wegen geprüft werden", sagt Kay Wolkau, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen in der Bezirksversammlung. "Das wäre eine temporäre Lösung. Wir wollen die Verkehrssituation am Karnapp aber langfristig sichern. Und da dort der Hauptverkehr aus dem Binnenhafen abgeleitet wird, kann man diese Straße nicht als Tempo-30-Zone entwickeln", sagt Muammer Kazanci, SPD-Bezirksversammlungsabgeordneter.

Einige Karnapp-Anwohner sind skeptisch angesichts dieser Entwicklungen. "Ich halte die Messung für nicht repräsentativ. Das sollte kontinuierlich über einen längeren Zeitraum vorgenommen werden, damit man sich ein realistisches Bild machen kann", sagt Geerd Fischer.

Mitursächlich für die Bröckeleffekte an den Häusern seien auch die Güterzüge - im Zusammenspiel mit den Trucks auf Dauer der Garaus für das historische Häuserensemble und seine Bewohner. Außerdem solle sich Penner engagierter für ein Tempolimit für Laster stark machen.

Nachbar Leon Przybylski hält dagegen. "Brummifahrer interessieren sich sowieso nicht für Geschwindigkeitsbegrenzungen. Die fahren doch jetzt schon erheblich schneller als erlaubt ist." Er verspricht sich viel von den Plänen, die Straße von Unebenheiten zu befreien. "Außerdem hätten wir gern verbesserten Lärmschutz. Moderne Schallschutzfenster wären schon toll. Aber das Geld hat die Stadt für uns bestimmt nicht übrig."