Die Dauerbaustelle vergrault Kunden und lässt die Umsätze sinken. Ab Montag, 25. Juni, ist auch noch die Seehafenbrücke dicht.

Harburg. Seit acht Monaten zieht sich ein 2,5 Meter tiefer und bis zu zwei Meter breiter Kabelschacht durch den Schellerdamm. Woran sich Autofahrer längst gewöhnt haben, raubt den Gastronomen im Harburger Binnenhafen inzwischen den letzten Nerv. Sie beklagen einen spürbaren Schwund an zahlenden Gästen - und damit deutlich sinkende Umsätze.

"Die Situation ist inzwischen existenzbedrohend", sagt Osvaldo Ferilli, 51, Betreiber des Silo 16. Zeitweilig habe er sein Personal um ein Drittel von 15 auf zehn Mitarbeiter reduzieren müssen, um nicht in die roten Zahlen zu rutschen. Damit sich seine Pizzabar im Harburger Binnenhafen mit 120 Plätzen im Restaurant und weiteren 70 im Außenbereich überhaupt noch rechnet, hatte er bis zum 11. Juni über Monate hinweg auf den Mittagstisch verzichtet und nur noch am Abend geöffnet.

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Für Energieversorger Vattenfall zählt das Baufeld im Binnenhafen mit einer Streckenlänge von insgesamt zwei Kilometern zu den größten Bauvorhaben südlich der Elbe. "Wir haben dort nicht nur eine 110.000-Volt-Freileitung unterirdisch verlegt, sondern auch 16 neue 10.000-Volt-Leitungen", sagt Vattenfall-Sprecher Stefan Kleimeier. Überdies habe auch E.on-Hanse die Gelegenheit genutzt, neue Gasstränge einzuziehen.

"Durch die dauernden Straßensperrungen und Umleitungen wissen viele Gäste nicht mehr, wie sie zu uns kommen sollen", berichtet Ferilli. Der auch zahlreiche Stammkunden aus dem Landkreis habe, die nun mal aufs Auto angewiesen seien. "Langsam geht's an die Substanz. Umsatzeinbußen von bis zu 50 Prozent lassen sich kaum noch kompensieren", so Ferilli. Weil der Vermieter trotzdem die vereinbarte Miete in voller Höhe verlange. Und natürlich auch das Finanzamt keine Abstriche an der Gewerbesteuer zulasse.

Irene Nytra weiß Ähnliches zu berichten. Die 56-Jährige betreibt seit sieben Jahren den kleinen Imbiss im Silo-Gebäude mit frisch zubereiteten Salaten und Baguettes, Snacks und Getränken, Zeitungen und Zeitschriften. "Seit am Veritaskai zwei neue Bäckerfilialen eröffnet haben, zählt jeder Kunde. Aber was nutzt das, wenn sie durch die Dauerbaustelle vor der Tür ausbleiben", fragt sie. Teilweise hätten nicht einmal ihre Lieferanten problemlos zu ihrem Laden vordringen können. Dennoch genehmigte ihr die Abteilung Sondernutzung des Bauamtes eine bereits im März beantragte Außenbewirtung - ab Mai. "Wegen des Grabens war es mir bislang jedoch unmöglich, meine Gäste tatsächlich draußen zu bewirten. Bezahlen musste ich die entsprechenden Gebühren aber", sagt Irene Nytra.

Auf Nachfrage des Abendblatts teilte Beatrice Göhring, Sprecherin des Bezirksamts Harburg, mit, das Amt werde die entsprechenden Gebühren selbstverständlich zurückerstatten - abzüglich einer Bearbeitungspauschale, versteht sich.

Derweil droht den Gastronomen rund um den Channel Harburg neues Ungemach. Von Montag an ist die Seehafenbrücke, eine der wichtigsten Einfahrtschneisen ins Binnenhafengebiet, für drei Wochen gesperrt. "Es ist schon unglaublich", so Sven Oliver Scharf, Inhaber des Restaurants "Scharf" an der Kreuzung Harburger Schloßstraße/Karnapp, "aber seit wir hier im November 2010 eröffnet haben, hatten wir nur eine einzige Woche keine Absperrgitter und Warnbaken vor der Nase."

Der Brückensperrung könne er aber trotzdem einen positiven Aspekt abgewinnen, beweist Scharf Galgenhumor: "Auf diese Weise sind wir wenigstens für einige Zeit den lästigen Schwerlastverkehr los." Normalerweise donnern täglich Lastwagen im Minutentakt durch Schloßstraße und Karnapp. Die Erschütterungen an den Altbauten sind so massiv, dass sich Anfang Juni ganze Putzflächen vom Unterboden eines Balkons lösen und vor die Eingangstür des Restaurants krachen. Einen vollen Tag muss Scharf schließen. Seitdem schützt ein hässliches Baugerüst seine Kundschaft vor weiterem Steinschlag.

"Viele Autos kommen mit Tempo 80 und schneller von der Brücke gerast. Hier könnte die Polizei mit ihrem mobilen Blitzer ordentlich Strafgelder fürs Stadtsäckel sammeln", sagt Scharf. Der nach eigenem Bekunden schon erwogen hat, eine Blitzanlage zu sponsern. Oder wenigstens zwei Zebrastreifen. "Eine Tempo-30-Zone ist hier jedenfalls längst überfällig", so Scharf.

Über die Bauarbeiten links und rechts mag sich der Gastronom schon gar nicht mehr äußern. "Unfassbar schlecht koordiniert", ist sein einziger Kommentar. Kaum verwunderlich: Innerhalb eines Jahres ist der Bürgersteig vor seinem Restaurant fünfmal aufgegraben und wieder geschlossen worden.

Die Hoffnung auf nachhaltige Besserung der Situation ist bei vielen von Scharfs Kollegen unterdessen gering. "14 Betriebe in einem Umkreis von 500 Metern sind definitiv zu viel. Im Grunde gibt es schon jetzt ein gastronomisches Überangebot", sagt "Silo 16"-Chef Osvaldo Ferilli. Und mit den Neubauvorhaben am Kanalplatz und östlich des Schellerdamms sollen dem Vernehmen nach noch weitere Konzessionen erteilt werden.

Anfang Juli will Vattenfall seine Kabelarbeiten beendet haben. Doch selbst wenn der Schacht auf dem Schellerdamm im August wieder geschlossen sein wird, bleiben etliche Fragen offen.