Der Stadtteildiakon Martin Leimbach hilft Harburger Hartz-IV-Empfängern beim Ausfüllen der oft komplizierten Jobcenter-Formulare.

Harburg. Möglichst alle geforderten Unterlagen mitbringen, alle Eingänge bestätigen lassen, Gespräche ruhig und sachlich führen: Es sind viele Tipps, die Martin Leimbach, Mitarbeiter der Stadtteildiakonie Harburg bei der St.-Trinitatis-Gemeinde an der Bremer Straße, Rat suchenden Hartz-IV-Empfängern gibt, die seine Sprechstunde besuchen. Dabei geht es um den Umgang mit den Forderungen des Jobcenters, das für die Langzeitarbeitslosen zuständig ist. Leimbach will mit seinem Engagement erreichen, dass seine Kunden nicht mit Sanktionen belegt werden, die ihre Existenz gefährden.

"Das geht schnell. Schon, wenn ein Leistungsempfänger nicht zu einem Pflichttermin erscheint, wird der Regelsatz um zehn Prozent gemindert. Im Extremfall können Leistungen auch ganz gestrichen werden", sagt Leimbach. Und das sei bei 374 Euro Hartz IV plus Wohnungskosten von großer Bedeutung. Immer mehr Hartz-IV-Bezieher, auch in Harburg, seien von Sanktionen betroffen. Sei es, so Leimbach, dass sie die vom Amt geforderten zehn Bewerbungen im Monat nicht schreiben oder schlichtweg die Texte der behördlichen Schreiben nicht verstehen. Grundlage für die "Strafen" sei eine Eingliederungsvereinbarung, die der Hartz-IV-Empfänger unterzeichnen muss. Zum Inhalt gehören Obliegenheiten, die zu erfüllen sind, unter anderem auch Eigenbemühungen um einen Arbeitsplatz sowie Meldung beim Jobcenter. Zuwiderhandlungen oder Nachlässigkeiten haben bittere Konsequenzen: Wie berichtet, wurden 2011 allein in Hamburg 31 636 Hartz-IV-Empfänger abgestraft.

In Harburg sind 8458 Männer und Frauen beim Jobcenter als Leistungsempfänger registriert. Wie viele davon sanktioniert wurden, "darüber können wir leider keine Auskunft geben. Das Zahlenwerk wurde nicht für die Bezirke aufgeschlüsselt, sondern nur hamburgweit erhoben", so Heike Böttger, Pressesprecherin des Jobcenters.

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Es ist die Bürokratie, die für viele Hartz-IV-Empfänger ermüdend und, so Leimbach, oftmals sehr schwer zu durchschauen ist. "Unser Rechtsanwalt, der sich mit Formularen gut auskennt, hat mal einen Antrag vorgestellt, mit dem man die Wand eines Zimmers zupflastern konnte", so der Diakonie-Mitarbeiter. Deshalb werden in seiner Beratungsstelle Bescheide geprüft. Ratsuchende erhalten Unterstützung bei der Bewältigung existenzieller Notlagen, die ständig durch die Instrumente des Sozialgesetzbuches mitproduziert werden würden.

Wöchentlich 20 Hartz-IV-Empfänger kommen zur Anlaufstelle an der Bremer Straße. "Das hört sich erst einmal nach wenig an. Aber es kostet viel Zeit, die Bescheide zu prüfen und deren Inhalte zu erklären.", sagt Leimbach. Für Nachfragen sei das Jobcenter nur schwer zu erreichen. Außerdem gingen Unterlagen verloren - besonders, wenn sie beim Jobcenter in den Briefkasten gesteckt werden. Und dann würden Sanktionen angedroht.

Leimbach leistet oft Seelsorge bei den verzweifelten Menschen, die in seine Sprechstunde kommen. "Dieser Kreislauf, keinen Job zu bekommen, auf Almosen vom Staat angewiesen zu sein. Geld, um das man kämpfen muss, das treibt einige in Depressionen", sagt der Diankonie-Mitarbeiter.

Bei einem gemeinsamen Frühstück im Gemeindesaal der St.-Trinitatis-Kirche, an dem auch Rentner und Geringverdiener teilnehmen, will er Optimismus verbreiten.

Für Kaffee, Brötchen und Aufstrich zahlen die Teilnehmer einen Euro, "damit sie das Gefühl haben, auch ihren Beitrag leisten zu können", so Leimbach. Auch Hartz-IV-Empfängerin Susanne Podgorski, 47, ist dabei. Von Sanktionen ist die Mutter von sechs Kindern nicht betroffen, "aber ich muss laut Jobcenter jetzt in eine kleine Wohnung umziehen, weil meine erwachsene Tochter ausgezogen ist." Dafür hat sie drei Monate Zeit. "Ich habe sogar schon etwas gefunden, aber die Räume sind stark verwohnt. Einen Renovierungszuschlag erhalte ich nicht, muss mir Geld leihen und Schulden machen - leider." Der Ausweg aus der Misere: "Ich will schnell Arbeit finden, aber das ist nicht so leicht, trotz Fachhochschulabschluss und Berufserfahrung in der Telekommunikationsbranche." Ihre Freundin, die ihren Namen nicht nennen will, nickt. "Ich bin über 50 Jahre alt, seit sechs Jahren arbeitslos, habe zig Bewerbungen geschrieben - ohne Erfolg. Mich will keiner mehr."

Und das sei laut Leimbach das Bitterste, schlimmer, als alle Sanktionen des Jobcenters: "Das Gefühl, nicht mehr dazuzugehören, nichts mehr auf dem Arbeitsmarkt zu gelten."