Busfahrer ließen den zehnjährigen Fünftklässler an der Buchholzer Haltestelle zurück, weil er seine Fahrkarte vergessen hatte.

Buchholz. Erst war Michael Kasten erschrocken, dann erleichtert, dass nichts Schlimmes passiert ist. Jetzt ist der Vater aus Buchholz wütend. Der Grund: Sein zehnjähriger Sohn Moritz ist vom Schulbusfahrer an der Haltestelle stehen gelassen worden. Der Junge, der seit fünf Jahren mit dem Bus zur Schule fährt, hatte an diesem Tag seine Dauerkarte vergessen. Sein Vater fordert nun eine Entschuldigung von den Verantwortlichen.

Es ist der 19. März, Moritz wartet wie immer morgens mit seinem rot-schwarz gemusterten Schulranzen auf dem Rücken an der Haltestelle Am Steinbecker Feld auf den Bus. Der soll ihn wie jeden Tag zur Waldschule bringen, dort besucht der Junge die fünfte Klasse. Beim Einsteigen merkt er, dass er seine Fahrkarte vergessen hat. Der Busfahrer lässt ihn nicht rein, Moritz bleibt allein am Straßenrand stehen.

Auch mit dem nachfolgenden Schulbus habe sein Sohn nicht mitfahren dürfen, sagt Michael Kasten. Moritz sei verwirrt und verängstigt gewesen und habe sich schließlich allein wieder auf den Heimweg gemacht. "Zum Glück war meine Frau an diesem Tag zu Hause, konnte ihn beruhigen und mit dem Auto in die Schule fahren", sagt Michael Kasten. Aber die Vorstellung, dass ein verunsichertes Kind allein an einer Straße stehe, sei einfach ein "blödes Gefühl".

An einem anderen Tag wäre es den berufstätigen Eltern womöglich erst nach acht oder neun Stunden aufgefallen, wenn das Kind am Abend nicht zurück nach Hause gekommen wäre. "Von Entführung über Vergewaltigung und Mord ist doch heutzutage alles möglich", sagt der aufgebrachte Vater. Auch in Buchholz sei vor einiger Zeit ein auffälliges Auto herumgefahren, der Fahrer habe Kinder angesprochen. "Es ist doch gefährlich, wenn ein zehnjähriger Junge allein an der Straße rumsteht."

+++ Geht Fahrkarte vor Sicherheit? +++

Auch könne ein solcher Vorfall einem Kind, das ängstlicher oder unsicherer sei als sein Sohn, richtig zusetzen. "Ich halte es für sträflichen Leichtsinn, einem Kind mit Schulranzen die Beförderung zur Schule zu verweigern."

Immerhin besitze sein Sohn eine gültige Jahreskarte, die er später hätte nachreichen können. "Mir ist es auch schon passiert, dass ich meine Fahrkarte vergessen habe, dann habe ich sie eben nachgereicht und eine Bearbeitungsgebühr gezahlt", sagt Michael Kasten.

Er hat den Verdacht, dass die Busfahrer zu bequem gewesen seien, einen Beförderungsschein auszufüllen, der seinem Sohn die nachträgliche Vorlage der Dauerkarte ermöglicht hätte.

Am Tag nach dem Vorfall hat sich Michael Kasten deshalb an den Hamburger Verkehrsverbund (HVV) gewandt. Am Telefon sei ihm gesagt worden, dass Busfahrer die Anweisung hätten, Kinder immer mitzunehmen. Im Gespräch mit verschiedenen Busfahrern habe er allerdings gehört, so Michael Kasten, dass diese Regel nicht für Fahrten zur Schule gelte.

Vom HVV gibt es keine Vorgaben, Kinder generell immer mitzunehmen

Dem widerspricht Gisela Becker, Sprecherin des HVV. "Grundsätzlich sollten Kinder nicht stehen gelassen werden, auch wenn sie ihre Zeitkarte vergessen haben. Leider kommt es trotzdem öfter vor." Es gebe diesbezüglich auch keine Vorgabe des HVV, sondern nur eine allgemeine Übereinkunft der beteiligten Verkehrsunternehmen. In Buchholz ist das städtische Unternehmen Buchholz Bus zuständig.

Das wiederum verweist an die Kraftverkehr GmbH (KVG). Dorthin sei auch die Beschwerde von Michael Kasten weitergeleitet worden. Am Dienstag sei der Fall bei der KVG angekommen, sagt deren Prokurist Michael Fastert. Das Schreiben des aufgebrachten Vaters ist demnach erst nach zwei Wochen auf dem zuständigen Schreibtisch gelandet.

"Wir werden mit dem Fahrer sprechen", sagt Fastert. Solange er dessen Darstellung des Vorfalls nicht kenne, wolle er sich nicht dazu äußern. Nur so viel: Sollten die Vorwürde zutreffen, werde sich die KVG an die Familie wenden und sich um Wiedergutmachung bemühen. Denn natürlich solle so etwas nicht passieren. Generell seien die Busfahrer der KVG angewiesen, die "Beförderung von Kinder sicherzustellen", so Fastert. Er verweist auf eine "interne Regelung", zu deren Inhalt er sich nicht genauer äußern will.

Der HVV, an den sich Michael Kasten gewandt hatte, hat laut Sprecherin Becker den Brief nicht nur an Buchholz Bus weitergeleitet, sondern auch selbst umgehend reagiert und sich für den Vorfall entschuldigt. "Wir vertreten wie der Vater die Auffassung, dass die Beförderung des Kindes nicht hätte verweigert werden dürfen." Allerdings gebe es auch Fälle, in denen sich Eltern nicht korrekt verhielten. "Leider schicken viele Eltern ihre Kinder ganz bewusst ohne Fahrkarte zur Schule."

Zufrieden ist Michael Kasten mit dieser Antwort nicht. Auch wenn er die Position der Verkehrsunternehmen in gewisser Weise nachvollziehen könne, fehle es hier doch an "Fingerspitzengefühl und Verantwortungsbewusstsein", sagt er. "Deshalb erwarte ich eine Entschuldigung an meinen Sohn Moritz."

Der hat den Vorfall zwar gut überstanden. Doch seitdem guckt er morgens immer zweimal, ob er seine Fahrkarte auch wirklich eingesteckt hat.