Während in Soltau fleißig gebaut wird, versucht die Gemeinde Bispingen, den Nachbarn Steine in den Weg zu legen. Bebauungsplan rechtens?

Lüneburg. Knapp 55 Kilometer liegen zwischen zwei Welten. Ein Stück westlich der Nord-Süd-Autobahn mit der Ziffer 7 zwischen Hamburg und Hannover reihen sich in Soltau Stein auf Stein, und die Betreiber des künftigen Shoppingcenters werben schon mit der Eröffnung ihres Design-Outlets im Spätsommer. In Lüneburg entscheiden in drei Wochen Richter darüber, ob der Bebauungsplan für das Gebiet überhaupt rechtens ist. Ein Blick in eine bizarre Lage und den Streit zwischen zwei Kommunen.

Zwischen deren zwei Welten liegen zwar auch die vier Fahrspuren der Autobahn, aber keine 20 Kilometer. Wer in die aktuelle Meldung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg blickt, mag denken, dass der Streit zwischen der 22 000-Einwohner-Stadt Soltau und der mit knapp 6500 Menschen nicht einmal ein Drittel so großen Gemeinde Bispingen seit dem Jahr 2010 währt. Doch weit gefehlt. Wer's genau nimmt, muss bis ins Jahr 1995 zurückschauen. Seitdem will die Stadt Soltau ein Fabrikverkaufszentrum errichten. Erlaubt war es ihr exakt 15 Jahre später: Im Juni 2010 verschickte der Landkreis Soltau-Fallingbostel (heute Heidekreis) die Baugenehmigung für 9900 Quadratmeter. Rechtskräftig allerdings ist das Dokument noch nicht. Doch dazu später.

Geplant war ursprünglich einmal ein sogenanntes Factory Outlet Center (FOC) an der Abfahrt Soltau Ost, 20 000 Quadratmeter Verkaufsfläche schwebten Stadt und Investoren einst vor. 2005 machte das Oberverwaltungsgericht die Pläne zunichte, die Richter kassierten sowohl Flächennutzungs- als auch Bebauungsplan. Die Städte Lüneburg, Verden und Rotenburg hatten geklagt, sie fürchteten die Konkurrenz für ihre Innenstädte. Und hatten Erfolg.

Doch gut ein Jahr später, im Herbst 2006, änderte das Land Niedersachsen sein sogenanntes Raumordnungsprogramm: Waren Fabrikverkaufszentren zuvor nur in Oberzentren erlaubt, sollten sie nun auch in dünn besiedelten Gebieten gebaut werden dürfen - das Ziel: mehr Touristen. Der Rat der Hansestadt Lüneburg reagierte im Dezember mit einer Resolution. Doch es blieb bei dem Protest auf Papier.

Im April 2007 hieß es aus Hannover, das Land wolle in Bispingen "Erfahrungen mit einem FOC in dünn besiedelten Gebieten sammeln", nahe "Snow Dome", "Center Parcs" und Gokartbahn. Soltau wehrte sich mit Studien zur Tourismus- und Innenstadtentwicklung, und Anfang 2008 war die Entscheidung über einen Standort wieder völlig offen.

Ein Jahr später entschied das niedersächsische Landwirtschaftsministerium: Das FOC kommt nach Soltau. Die Gemeinde Bispingen klagte prompt. Das war im Februar 2009. Und abgeschlossen ist der Streit der Nachbarn noch immer nicht.

+++ Starker Gegenwind aus Bispingen +++

Zwei Verfahren sind offen: erstens die Klage Bispingens gegen die Baugenehmigung durch den Landkreis Soltau-Fallingsbostel. Sie liegt vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg. Und zweitens der Normenkontrollantrag der Gemeinde gegen den Bebauungsplan der Stadt Soltau. Der ist 2010 beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg eingegangen. Und wird am 25. April verhandelt.

Zum Hintergrund sagt Gerichtssprecher Sven-Marcus Süllow: Der erste Senat des Oberverwaltungsgerichts hat im Februar 2011 in einem Eilverfahren die Beschwerde der Gemeinde gegen die Ablehnung des vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht zurückgewiesen. Die Begründung: Der Bebauungsplan lasse "keine durchgreifenden Mängel erkennen", außerdem gebe es keinen Anspruch der Gemeinde Bispingen, dass das Soltauer Vorhaben zu Gunsten ihrer eigenen Planungen zurückzutreten habe.

Jetzt stehe die vertiefte Prüfung des Bebauungsplans an. Und erst danach wird auch das Verwaltungsgericht über die Baugenehmigung entscheiden. Was passieren kann, wenn Investoren bereits vor der Rechtskraft einer Baugenehmigung ihre Häuser errichten, zeigen folgende mögliche Szenarien: Das OVG hebt den Bebauungsplan auf. Damit fehlt dem Projekt die bauplanungsrechtliche Grundlage. Im ärgsten Fall könnte der Kreis am Ende den Abriss der Rohbauten fordern. Möglich wäre jedoch auch, dass die Stadt den Bebauungsplan nachbessert respektive neu erlässt - inklusive Zulassung eines Fabrikverkaufs.

Dennoch: Unabhängig von der Entscheidung der Richter am 25. April über den Bebauungsplan werden weitere Richter später auch über die Baugenehmigung entscheiden müssen. Und das zunächst in erster Instanz.

Die Investorin Sylvie Mutschler geht den Verfahren derweil "ohne Bauchschmerzen" entgegen, sagte sie dem Abendblatt. "Die Eilverfahren sind in zwei Instanzen ganz klar für uns entschieden worden, und es gibt überhaupt keine Anzeichen, dass die gleichen Richter über die gleichen Sachen jetzt anders entscheiden." Nach elf Jahren ihres Kampfes für die Baugenehmigung komme das Projekt jetzt "in eine Phase, die Spaß macht". Der Bau laufe rund, und die Fläche sei zu 60 Prozent vermietet. Die Eröffnung ist für Spätsommer geplant. Dann sollen in Soltau mehr als 60 Designer-Marken ganzjährig zwischen 30 und 70 Prozent günstiger als Preisempfehlung zu haben sein. Westlich der A 7 - und nicht 20 Kilometer weiter nordöstlich.