Interview mit der jungen Malerin und Kosmopolitin Suzanne G'sell Lévesque, die als Stipendiaten für ein Jahr in Harburg arbeiten wird.

Harburg. Suzanne G'sell Lévesque ist die 26. Stipendiatin des Vereins "Künstler zu Gast in Harburg". Die 28 Jahre alte Malerin darf getrost als Kosmopolitin bezeichnet werden. Geboren wurde die Tochter eines Frankokanadiers und einer US-Amerikanerin mit irisch-schwedischen Wurzeln in Luxemburg. Aufgewachsen ist sie in den USA und im westfälischen Paderborn, studiert hat sie in Hamburg und Baltimore. Der Vater lebt inzwischen in der Schweiz, die Großeltern sind auf Long Island nahe New York und im US-Bundesstaat Virginia zu Hause. Für ein Jahr bewohnt Suzanne G'sell Lévesque nun das Atelier unterm Dach des Mayrschen Hauses in der Lämmertwiete. Das Abendblatt hat sie dort besucht.

Hamburger Abendblatt: Frau Lévesque, ist Ihnen Harburg nicht drei Nummern zu klein?

Suzanne G'sell Lévesque: Zwar haben mich viele Kommilitonen und Freunde gewarnt, suche dir um Gottes Willen keine Wohnung südlich der Elbe. Doch dieses Vorurteil kann ich nicht bestätigen. Harburg ist wie eine Kleinstadt und die Leute sehr nett. Ich fühle mich ausgesprochen wohl.

Ruhig und beschaulich ist es hier aber nicht gerade.

Lévesque: Das finde ich gerade reizvoll. Dieser Ort repräsentiert für mich die zwei Extreme von Harburg. Auf der einen Seite der brausende Verkehr der B 73, die Bahntrasse und beinahe Industrieromantik. Auf der anderen Seite die Lämmertwiete, die mit ihren Fachwerkhäusern und vielen Restaurants ein wirklich besonderer Ort ist.

Haben Sie schon einen Lieblingsplatz?

Lévesque: Es ist das schöne, große Atelier selbst, das wie ein Jackpot für mich ist. Hier oben habe ich meine Ruhe und kann konzentriert arbeiten. Oft habe ich schon gedacht, ich hätte nur eine halbe Stunde gemalt. In Wirklichkeit waren aber sechs, sieben Stunden vergangen. Ich liebe es, alleine zu arbeiten, lasse mich nicht gern ablenken.

Wann malt es sich denn am besten?

Lévesque: Früher war ich eine regelrechte Nachtarbeiterin. Ich bin ins Bett gegangen, wenn normale Leute aufgestanden sind. Dann habe ich festgestellt, dass es nicht praktisch ist, sich vom Leben rundherum völlig abzukoppeln. Jetzt arbeite ich bevorzugt nach dem Sonnenuntergang, da ist das Licht am besten.

Kennen Sie Harald Falckenberg?

Lévesque: Persönlich begegnet bin ich ihm noch nicht. Ich weiß aber, dass er einer der bekanntesten deutschen Kunstsammler ist und seine Sammlung in den Phoenix-Hallen hier gleich um die Ecke besichtigt werden kann.

Wenn man sich so umschaut, dann bevorzugen Sie offenbar einen gegenständlichen, sehr realistischen Stil. Was reizt Sie an dieser Art der Darstellung?

Lévesque: Ich weiß, das gilt in manchen Kreisen als altbacken. Aber es macht mir einfach am meisten Spaß, so zu arbeiten. Und Abstraktion ist in meinen Bildern durchaus vorhanden. Etwas klar und organisiert, zugleich aber raum- und zeitlos ins Bild zu setzen, ist mir wichtig. Die Bildfläche, in dem die Werke entstehen, wird so zu einem tragenden kompositorischen Element.

Haben Sie ein Faible für starke Frauen ?

Lévesque: Zuletzt habe ich an der Serie "Deine Mutter" gearbeitet, deshalb stehen momentan so viele Frauen-Porträts im Atelier. Interessant ist für mich, was von der perfekten Anatomie abweicht. Solche Körper könnte ich aus dem Kopf malen, das finde ich irre langweilig. Bei meinem "Mutter-Modell" ist das ganz anders. Sie hat ein kindliches, fast puttenhaftes Gesicht, andererseits aber einen ausgeprägt fraulichen Körper - breite Oberarme, massige Schultern und große Brüste. Dieser Kontrast bewegt mich, deswegen möchte ich ihn darstellen.

Schimmert da ein gewisses medizinisches Interesse durch?

Lévesque: Das kann man so sagen. Ich habe in Krankenhäusern zum Beispiel auch Tote gemalt. Natürlich erst nach Rücksprache mit Ärzten und Angehörigen. Verstorbene eignen sich ideal für Körperstudien wegen der deutlichen Veränderung von Anatomie und Farbe. Die Vermengung von Medizin und Kunst interessiert mich sehr.

Wären Sie auch eine gute Ärztin?

Lévesque: Ich glaube nicht. Dafür bin ich einfach zu schusselig. Die Gefahr bei einer OP ein Skalpell im Körper des Patienten zu vergessen, wäre zu groß.

Auffällig ist bei ihren Bildern zudem der sparsame Einsatz von Farben.

Lévesque: Ich verwende fast immer nur drei Farben und Weiß, vor allem Gelb, Rot und ein dunkles Blau. Das hat mit meiner Affinität zu alten Bildern zu tun. Sie sind zu einer Zeit entstanden, als leuchtende Pigmente noch sehr teuer waren. Doch über den reduzierten Einsatz von Farbe und Kontraste, das gezielte Zusammenspiel von hell und dunkel, lässt sich eben auch eine ganz spezielle Wirkung erzielen. Für mich sind die Farben so viel dynamischer.

Wer hat Sie in Ihrer Art zu malen am meisten beeinflusst?

Lévesque: Ich lasse mich ungern beeinflussen. Ich will meine eigene Ästhetik finden. Aber ich habe zuletzt immer wieder gehört, meine Bilder erinnerten an Werke von Lucian Freud. Der Enkel des Psychoanalytikers Sigmund Freud war einer der bedeutendsten zeitgenössischen Maler und ist im Juli 2011 mit 88 Jahren in London gestorben. Bekannt geworden ist er durch seine Porträts und die Aktmalerei. Da gibt es wohl viele ähnliche Kompositionen in realistischem Stil. Als ich mit Anfang 20 angefangen habe so zu malen, kannte ich Lucian Freud aber noch gar nicht.

Schmeicheln solche Vergleiche oder stören sie eher?

Lévesque: Sie schmeicheln natürlich. Schließlich war Freud ein Star, der sogar Queen Elisabeth II porträtieren durfte. Andererseits stört mich der Verdacht, ich würde Freud kopieren. Nur weil wir Anhänger einer ähnlichen Ästhetik sind.

Liegt Ihnen die Malerei im Blut?

Lévesque: Ich denke schon. Meine Großmutter Juliette Lévesque ist auch Malerin. Ihr sind meine Bilder aber oft "zu sexy". Verständlich, sie ist jetzt 90 Jahre alt und streng katholisch.

Sind Sie eigentlich auch anderweitig musisch begabt?

Lévesque: Müsste ich eigentlich. Mein Vater Vincent ist Hornist, hat unter anderem im Fernsehorchester von RTL gespielt. Meine Mutter Margaret ist ausgebildete Sängerin und arbeitet jetzt als Gesangslehrerin in Detmold. Auch ich hatte eine Gesangsausbildung und Unterricht mit der Querflöte. Doch das war vergebene Liebesmüh. Meine wahre Bestimmung habe ich in der Malerei gefunden.

Neben freier Logis in einer kleinen Wohnung und der kostenlosen Nutzung des Ateliers erhalten sie noch 250 Euro im Monat. Wie kommt man damit in Hamburg über die Runden?

Lévesque: Ohne Zusatzeinnahmen ginge es natürlich nicht. Ich übernehme deshalb hin und wieder Auftragswerke. Momentan male ich gerade an einem Motorrad in Originalgröße. Das hat eine kleine Manufaktur bestellt, die das Bild für ihren neuen Showroom haben will. Es ist eine nette Abwechslung, die mir den nötigen Lebensunterhalt sichert. Auch deshalb, weil die 250 Euro fast vollständig für Leinwand und Farben drauf gehen. Dennoch sind die Konditionen dieses Stipendiums exzellent.

Klingt aber trotzdem nach einem spartanischen Leben.

Lévesque: Es ist die harte Realität für eine Malerin, die im Kunstbetrieb noch keinen großen Namen hat. Den Preis zahle ich aber gern. Weil ich im Gegenzug meine große Leidenschaft ausleben kann, die Malerei. Außerdem bin ich noch jung, da fällt so ein Leben noch relativ leicht.

Konnten Sie Ihre Bilder schon oft öffentlich präsentieren?

Lévesque: Nicht so häufig, um viel zu verkaufen. Einmal wurde ein Bild von mir in der Galerie Mighty Tanaka zwischen Brooklyn Bridge und Manhattan Bridge in New York ausgestellt. Es gab sogar Interessenten. Doch als sie mit meinem Namen nichts anfangen konnten, ist der Verkauf geplatzt. Das wäre Neo Rauch sicher nicht passiert. Dessen Bilder sind schon verkauft, bevor sie überhaupt gemalt worden sind. Das finde ich schon ziemlich abgefahren.

Weil es im Kunstbetrieb oft nur noch um Namen, aber nicht mehr um konkrete Kunstwerke geht?

Lévesque: Kunstwerke sind für die Käufer sehr oft auch Wertanlagen. Da ist man mit Bildern etablierter Maler halt auf der sicheren Seite. Viele Künstler inszenieren sich selbst, um über ihre Werke hinaus zur Marke zu werden. Da ist auch viel Small Talk nötig und ein gewisses Networking. Das finde ich umständlich und frustrierend. Aber so funktioniert der große Kunstbetrieb nun mal.

Besuchen Sie gern selbst Ausstellungen?

Lévesque: Natürlich war ich schon in den Deichtorhallen und in den großen Museen New Yorks. Lieber suche ich mir aber Werkschauen spezieller Maler aus, die mich wegen ihres Stils interessieren, aktuell zum Beispiel Euan Uglow oder Alex Kanevsky. In ihren Bildern entdecke ich vieles, was ich technisch, farblich und von der Komposition her aufregend finde.

Wann und wo werden die Werke aus ihrer Harburger Zeit zu sehen sein?

Lévesque: Im Dezember, zum Ende meines Stipendiats, wird es eine Ausstellung in den Räumen des Harburger Kunstvereins am Bahnhof geben. Darauf freue ich mich schon jetzt.

Und wohin führt Sie ihr Weg dann?

Lévesque: Das weiß ich noch nicht. Und darüber mache ich mir jetzt auch noch keine Gedanken. Jetzt will ich erst einmal die Zeit in Harburg nutzen. Ich habe so vieles im Kopf, das ich gar nicht alles umsetzen kann. Wenn es überhaupt ein Traumziel gibt, dann ist es New York mit seiner vielfältigen Kunstszene. Aber davon träumen wohl noch ein paar andere junge Künstler.