Die Wanderausstellung “Die große Flut“ im Rathaus Harburg ist eröffnet. Zeitzeugin Jutta Mannek zeigt ihr privates Album der Katastrophe.

Harburg. Mit Jutta Mannek hatte Thomas Völsch gar nicht gerechnet. Als Harburgs Bezirksamtsleiter gestern Mittag im Rathaus die Wanderausstellung "Die große Flut" eröffnete, stand die 62-Jährige unvermittelt auf der Freitreppe im Foyer und zeigte ihm ein Album mit unzähligen Fotodokumenten und Notizen zur Katastrophe von 1962. Für Völsch gelebte Zeugnisse eines geschichtlichen Ereignisses, "das so prägend für die Hansestadt gewesen ist, wie kaum ein anderes".

Dokumentiert wird es im Rathaus auf 47 Schautafeln, die das dramatische Geschehen der Flutnacht noch einmal nachzeichnen. Darunter ist auch das Video eines NDR-Interviews mit Helmut Schmidt, der als Hamburger Innensenator 1962 die Evakuierungsmaßnahmen koordinierte. 20 000 Liter Trinkwasser, 10 000 Liter Milch, 5000 Brote, 80 Zentner Kartoffeln und 4000 Liter Heizöl wurden damals von den 25 000 Rettungskräften und 10 000 freiwilligen Helfern an die betroffenen Einwohner verteilt.

Es ist der 17. Februar gegen zwei Uhr morgens, als am Spreehafen im Norden Wilhelmsburgs der Elbdeich bricht. Jutta Mannek lebt damals mit ihren Eltern und ihrer Schwester Ortrun in einer Parterrewohnung in der Veringstraße. "Alle haben geschlafen, als gegen halb vier heftig an die Wohnungstür gehämmert wurde. Aufmachen, aufmachen, rief jemand, das Wasser kommt, das Wasser kommt", erinnert sich Jutta Mannek, die damals zwölf Jahre alt ist. "Der Vater begriff erst gar nicht, was los war und suchte erst mal seine Hose. Quatsch, Hose, rief die Mutter da, mach' hin, das Wasser läuft schon ins Treppenhaus."

Wenig später schleppt die ganze Familie mit Hilfe von Nachbarn bei Kerzenschein in die Wohnungen der oberen Stockwerke, was sich irgendwie schnell transportieren lässt: den nagelneuen Fernseher, das Radio, Sessel, das Sofa, einige Teppiche, eine Schreibmaschine. "Plötzlich hoben sich im Wohnzimmer die Dielen und eine Fontäne ergoss sich in die gute Stube", erzählt Jutta Mannek.

Als es dämmert, wird das ganze Ausmaß der Flutkatastrophe sichtbar. Die Veringstraße ist ein See. In den ebenerdigen Wohnungen steht das Wasser einen Meter hoch. Jutta Mannek und ihre Schwester Ortrun betrachten das grausige Schauspiel mit kindlicher Naivität aus Fenstern im ersten Stock. "Hoffentlich bleibt das eine Weile so, dann fällt bestimmt die Schule aus, haben wir gedacht. Wir fanden das alles unglaublich spannend. Wir waren ja noch Kinder und haben die Tragweite des Geschehens nicht überblickt", sagt die ehemalige Kita-Erzieherin, die jetzt in Marmstorf lebt.

+++ Die Flut ging, die Decke blieb +++

Während die Männer Treibholz von der Straße fischen und alte Tische und Stühle von den Dachböden zerlegen, um die Öfen befeuern zu können, müssen sich die Frauen ums tägliche Brot kümmern. "Wir haben Flöße gebaut, um damit etwas zum Essen und weiteres Brennmaterial von einer Kohlenhandlung in der Nähe zu besorgen, dessen Brikettberge von toten Hühnern übersät waren", erzählt Jutta Mannek.

In dieser Zeit hätte es eine große Solidarität unter den Nachbarn gegeben: "Jeder hat Jedem geholfen. Wer etwas über hatte und es entbehren konnte, hat es weitergegeben. Die Kleidung, die wir bekamen, war zum Teil viel zu groß. Doch das war uns egal. Es war schließlich Mitte Februar und noch ziemlich kalt. Mutter hat damals gesagt, es sei wie nach dem Krieg gewesen, nur anders."

Als sich das Wasser wieder zurückzieht, beginnt das Großreinemachen. Riesige Mengen von öligem Schlamm und Unrat sind zu beseitigen. Vielen Wilhelmsburgern ist nichts geblieben außer dem nackten Leben. Der Tante-Emma-Laden, in dem die Mutter von Jutta Mannek halbtags arbeitet, muss sein gesammtes Inventar samt Warenbestand als Müll entsorgen.

Da auch die Schule in Mitleidenschaft gezogen ist, werden die Kinder zu Verwandten, Freunden und Bekannten geschickt. Jutta Mannek hat großes Glück: Sie verschlägt es nach Frejus in Südfrankreich. Dort, an der Cote d'Azur, hatte es einige Jahre zuvor einen Dammbruch gegeben. Hamburg half und nahm einige Kinder aus der Region auf. Nun revanchieren sich die Franzosen und holen Wilhelmsburger Kinder zu sich an die Riviera.

"Das war eine tolle, aufregende Zeit", ist Jutta Mannek noch heute dankbar. "Ich habe nicht nur Französisch gelernt, sondern auch Freundschaften geknüpft, die noch heute bestehen. Das hat uns Kindern der Flut viel von ihrem Schrecken genommen."

Ausstellung "Die große Flut" , Rathaus Harburg, Harburger Rathausplatz 1, bis 30. März, Mo bis Do 8 bis 17 Uhr, Fr 8 bis 15 Uhr. Eintritt frei