Senatorin Jutta Blankau wurde 1962 als Kind vom Wasser eingeschlossen und von der Bundeswehr gerettet

Altenwerder. Die Decke ist grau, etwas verfilzt und zum Teil schon löchrig. Außerdem steht in großen Lettern "Bundeswehr" drauf. Aber sie wärmt, wenn beispielsweise mal das Auto an einem eiskalten Wintertag, irgendwo in der Pampa zwischen Wismar und Lübeck, stehen geblieben ist. Und sie eignet sich auch vorzüglich, um Picknick zu machen. Jutta Blankau, Hamburgs Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt, würde es niemals einfallen, ohne ihre Bundeswehrdecke loszufahren. Die ist ihr heilig.

Wie der Bundeswehrsoldat hieß, der ihr diese Decke - am 17. Februar vor 50 Jahren - um die Schultern legte, weiß Jutta Blankau nicht mehr. Die Erstklässlerin war damals sieben Jahre alt. Sie wohnte mit ihren Eltern und ihrer fünf Jahre älteren Schwester am Altenwerder Kirchweg, wo ihr Vater Willi, ein Versicherungskaufmann, seiner jungen Familie im Jahre 1956 ein schönes, massives Siedlungshaus hingestellt hatte; allerdings ohne Keller, was zu jenem Zeitpunkt jedoch eine besonders kluge Entscheidung war, denn jetzt gab es eben auch keinen Keller, der mit Wasser volllaufen konnte, weil ein paar Stunden zuvor in der Nacht die Deiche im Süden Hamburgs gebrochen waren. Auch in Altenwerder.

Jutta Blankaus Erinnerungen an die Sturmflutnacht sind naturgemäß ein wenig verblasst. Aber sie weiß noch, dass ihr Vater, als es sich auch in Altenwerder herumgesprochen hatte, dass eine Sturmflutwarnung ergangen war, als Erstes den neuen VW Käfer in die Garage fuhr, die höher am Deich lag. Dass sie dann gemeinsam Möbel aus dem Erdgeschoss in die erste Etage schleppten. Dass ihr Vater dann Handtücher zwischen Haustür und Türschwelle stopfte. Und dass es schepperte und knallte, als dann tief in der Nacht tatsächlich das Wasser über und durch den Deich kam, Fensterscheiben eindrückte und noch vieles mehr zerstörte und ganz Altenwerder innerhalb weniger Minuten absoff.

"Am nächsten Morgen sah ich hinaus und das, was ich sah, war nur Wasser ringsum", sagt Jutta Blankau. Dieses Wasser war kalt, und es stank, weil die damals üblichen Sickergruben ausgespült worden waren. Sie erspähte auch ein paar Tierkadaver, die in der Brühe schwammen, und das war eklig. Das Wasser stand einen halben Meter unterm Fensterbrett des Erdgeschosses. Vor ihrem Haus und drinnen natürlich auch. "Seitdem", sagt Jutta Blankau. "habe ich vor Wasser einen Riesenrespekt." Gegen Mittag kam dann ein Sturmboot der Pioniere, um die Familie aus ihrer misslichen Insellage zu befreien. Das verhängnisvolle Sturmtief hatte sich da längst schon Richtung Osten verzogen, die Sonne schien sogar ein bisschen, aber es war merklich kälter geworden. Deshalb bekam die kleine Jutta für die Bootspartie die Bundeswehrdecke umgelegt, die sie bis heute aufbewahrt.

Die Familie schlüpfte bei ihren Großeltern unter, die an der Ecke Am Elbdeich/Westerndeich einen Kolonialwarenladen besaßen. Dort wohnten sie dann so lange, bis das Wasser abgelaufen und das Haus wieder bewohnbar war. "Das ganze schöne Parkett war komplett aufgequollen und musste rausgerissen werden", erzählt Jutta Blankau, die sich standhaft geweigert hatte, "verschickt" zu werden, wie so viele andere Kinder aus den Überschwemmungsgebieten. "Was ich toll fand damals, war, dass andauernd Hubschrauber in Altenwerder landeten und außerdem erst einmal die Schule ausfiel", sagt Jutta Blankau. "Danach hatten wir dann Schichtunterricht in der Volksschule. Und dann erinnere ich mich natürlich daran, dass in den kommenden Wochen und Monaten bei uns sehr viele Blindgänger entschärft werden mussten, die das Wasser aus dem Boden freigespült hatte." Später brachte einer der Hubschrauber eine hochschwangere Frau aus Altenwerder heraus, die kurz darauf einen Sohn gebar, den die Eltern Kai tauften. "Aber wir Kinder nannten ihn später nur Fluto."

Später brannten dann auch die Lauben und Nissenhütten oder vielmehr die Reste, die von der Sturmflut übrig gelassen worden waren. Ein warmer, ein notwendiger Abriss, denn jetzt konnte man hier vernünftige, solide Häuser bauen. "In Altenwerder war es im Gegensatz zu Waltershof und Wilhelmsburg noch glimpflich abgegangen, jedenfalls soweit es Menschenleben betraf. Es war ein in Jahrhunderten gewachsenes Dorf, da half man sich gegenseitig und rückte zusammen."

Ein Dorf, das es wegen der Hafenerweiterung schon nicht mehr gibt.