Das Kernkraftwerk Krümmel ist nicht mehr am Netz. Über das verbliebene Restrisiko gibt es unterschiedliche Ansichten

Lüneburg/Harburg. Bei dem furchtbaren Unglück im japanischen Kernkraftwerk Fukushima 1 vor einem Jahr haben viele unvorhergesehene Faktoren zusammengewirkt. Das Abendblatt hat mit Verantwortungsträgern darüber gesprochen, wie gut die Region auf einen ähnlichen Fall vorbereitet wäre.

Seit der japanischen Atomkatastrophe steht endgültig fest: Das Kernkraftwerk Krümmel geht nie wieder ans Netz. Wenn der Bürgermeister der Samtgemeinde Elbmarsch, Rolf Roth, über den Deich guckt, dann beruhigt ihn dieser Gedanke etwas. Seit 20 Jahren lebt er in direkter Sichtweite des Reaktors. "Ein beklemmendes Gefühl, wir haben die Gefahr der Technologie ständig vor Augen. Bei der Pannenserie, die das Kraftwerk schon hingelegt hat, muss man immer auf alles vorbereitet sein", sagt er. Richtig ruhig schlafen wird er deshalb erst wieder, wenn alles abgebaut ist.

Das Vertrauen in den Betreiber Vattenfall hat er 2007 verloren. Damals brannte ein Trafohaus am Reaktor lichterloh, und auch in der Elbmarsch, am gegenüberliegenden Ufer des Flusses, waren die Rauchschwaden gut zu sehen. Informationen zur Gefahrenlage schwappten aber erst auf Nachfrage auf die südliche Seite der Elbe.

Nach den anschließenden Negativschlagzeilen und der großen Aufregung in der Öffentlichkeit verbesserte sich die Kommunikation zwischen den Elbufern. "Knapp ein Jahr lang kamen regelmäßig Benachrichtigungen. Da wurden wir von Vattenfall quasi über jede gewechselte Schraube informiert. Das hat dann aber leider schnell wieder nachgelassen", sagt Roth. Als das Atomkraftwerk nach einem kurzen Anlauf 2009 erneut vom Netz gehen musste, empfand er die Informationslage wieder als unzureichend.

Vattenfall kann das nicht nachvollziehen, nach eigener Aussage wurde über jeden meldepflichtigen Vorfall ausführlich aufgeklärt. Neuerdings würden auch Mitteilungen zur sogenannten Vorbereitung des Übergangs in die Nachbereitungsphase verschickt.

Für Dirk Werner vom Lüneburger Aktionsbündnis gegen Atom bedeutet diese Phase nicht, dass von dem AKW keine Gefahr mehr ausgeht. Er sagt: "Fukushima hat gezeigt, dass alle Faktoren, die niemand für möglich hält, dennoch eintreten können. Das Kraftwerk in Krümmel ist ja keineswegs schon komplett aus und zurückgebaut. Wir haben dort eine ganz ähnliche Situation wie im Reaktorblock 4 von Fukushima." Auch dort lagerten die Brennstäbe im Abklingbecken. Nach dem Ausfall der Kühlung verdampfte das Wasser, und es kam zu einer Explosion und zu Bränden.

Bettina Boll, Grünen-Ratsfrau in Geesthacht, beschreibt die Situation durch die Stilllegung des Kernkraftwerks Krümmel als deutlich entschärft. Sie sagt: "Man soll auch mal das Positive nennen. Seit dem das Aus für Krümmel im letzten Jahr endgültig beschlossen wurde, erleben wir auf kommunaler Ebene eine sehr gute Zusammenarbeit der Politik. Ich wünsche mir so ein Verantwortungsbewusstsein allerdings auch auf Seiten der Betreiber. Ereignisse wie jüngst in Brunsbüttel, wo marode Atommüllfässer gefunden wurden, zeigen, dass die Kommunikationspolitik von Vattenfall nach wie vor zu wünschen übrig lässt."

Wenn es zu einem Ernstfall käme, wäre die Region aber gut vorbereitet, versichert Wolfgang Kasperig. Er ist Leiter des Katastrophenschutzdezernats der Polizeidirektion Lüneburg. Seine Abteilung prüft alle zwei Jahre die Sonderschutz- und Evakuierungspläne der Landkreise Harburg, Stade und Lüneburg. Große Abwandlungen wurden dabei bisher selten vorgenommen. "Meistens handelt es sich um Namen oder Adressen, die geändert werden müssen", sagt er.

"Wir sind dankbar, dass es seit Bestehen des Kraftwerks in Krümmel noch keine Evakuierung wegen einer atomaren Gefahrenlage gab. Dafür müsste es einen Störfall geben, der eine Strahlenemission vermuten lässt." In solch einem Fall würde zunächst die Wetterlage über das weitere Vorgehen entscheiden. "Die Windrichtung ist dabei das wichtigste Kriterium", sagt Kasperig. Ein ausgeklügeltes Raster auf einer Landkarte würde dann dabei helfen, die Bevölkerung möglichst ohne Kontakt mit der Strahlenwolke auf die schnellen Verkehrswege zu leiten. Alarmiert würde die Bevölkerung von ihrer Gemeinde durch eine Sirene oder per Lautsprecherwagen.

Die erste Priorität der Polizei wäre bei solch einem Großeinsatz, die Verkehrswege zu lenken und Plünderungen zu verhindern.

Der Sonderschutzplan liegt in der Verantwortung der Landkreise. "Dieser sieht vor, Personen zu retten, die sich nicht selbstständig in Sicherheit bringen können", sagt Uwe Meier vom Katastrophenschutz im Landkreis Harburg. Dazu gehören kranke und alte Menschen, aber zum Beispiel auch Gefängnisinsassen.

Bei der Rettung dieser Personen käme es zu einer Zusammenarbeit mit den öffentlichen Verkehrsbetrieben. Der Landkreis Harburg sieht sich für den Ernstfall gewappnet. "Evakuierungen werden regelmäßig im Rahmen von Sturmflutübungen geprobt. Für einen atomaren Notfall gibt es einen ausgearbeiteten und dennoch flexiblen Durchführungsplan. Bei solch unvorhersehbaren Ereignissen müssen wir anpassungsfähig sein. Wir haben zum Beispiel Einsatzfahrzeuge zum Verteilen von Medikamenten", so Meier.

Die Vorkehrungen beruhigen auch Samtgemeindebürgermeister Roth. Er sagt: "An der Bereitschaft des Landkreises habe ich nie gezweifelt. Wichtiger ist, dass es nicht zu einem Fall kommt, der die Umsetzung des Notfallplans erforderlich macht. Diese Verantwortung liegt einzig und alleine bei dem Betreiber."