Jury des Deutschen Schulpreises zählt das Alexander-von Humboldt-Gymnasium zu den 20 besten Schulen. Hier wird Selbstständigkeit gefördert.

Harburg. Zwei Stunden in der Woche ist Englischlehrerin Kathleen Teetz, 29, in ihrem Unterricht nicht mittendrin, sondern nur dabei. Die Jungen und Mädchen planen auf sich gestellt eine zwar imaginäre, aber realistische Reise in den US-Bundesstaat Wyoming. Die Pädagogin zieht sich in die Rolle der Begleiterin zurück, damit die Kinder vor allem eines lernen: selbstständig zu handeln.

"Eva" heißt dieser Unterrichtsansatz, den das Alexander-von-Humboldt-Gymnasium (AvH) in Harburg-Rönneburg entwickelt hat und seit eineinhalb Jahren erprobt. Die erste Frau der Menschheit steht hier für die Evolution des Lernens hin zum eigenverantwortlichen Streben nach Wissen. Da spielen die Schüler im Deutschunterricht auch schon mal die Nibelungen-Sage in einem Rollenspiel nach. "Durch Theaterspielen sind sonst eher zurückhaltende Schüler auch schon besser geworden im Schulunterricht", sagt die stellvertretende Schulleiterin Sabine Hansen, 51.

Rönneburg in Hamburg-Harburg: kein Problemviertel, aber auch nicht gerade das, was man einen privilegierten Stadtteil nennt. Das Gebäude des Gymnasiums dort ist kein besonderes, ein Zweckbau eben. Eine ehrwürdige Tradition hat die Schule nicht. Auf den ersten Blick ist sie so normal wie tausend andere in Deutschland.

Wie besonders aber das Alexander-von-Humboldt-Gymnasium seine etwa 830 Schüler für das Lernen begeistert, ist auch den Juroren des Deutschen Schulpreises nicht entgangen. Die Jury hat das Rönneburger Gymnasium in diesem Jahr zu den 20 besten Schulen in Deutschland nominiert. "So weit ist eine Schule aus dem Hamburger Süden in dem Wettbewerb noch nie gekommen", sagt der 42 Jahre alte Schulleiter Matthias Peters. Der Deutsche Schulpreis ist nicht irgendeine Auszeichnung. Er ist der größte und mit 230 000 Euro höchst dotierte Preis seiner Art in Deutschland. Der Sieger erhält allein 100 000 Euro. Wer das sein wird, entscheidet sich im Sommer.

Was die Schule so besonders macht, beschreibt Matthias Peters so: "Unsere Schüler werden erzogen, Verantwortung zu übernehmen." Die Kinder und Jugendlichen würden die Erfahrung machen, dass ihr Handeln wichtig sei. So besteht das Sanitätsteam aus Schülern. Bei Schulkonzerten sind Jungen und Mädchen für die Technik, den Ton und das Licht, zuständig.

Kleine Belohnungen helfen dabei, Verantwortung zu lernen. Stefan Hagemann, 16, schmeißt die Plastikflasche nicht einfach in den Restmüll, sondern achtet auf Mülltrennung. "Klassen, die umweltbewusst handeln", sagt er, "erhalten einen Preis." 150 Euro für die Klassenkasse etwa, oder auch Kino-Gutscheine.

Die Schülerfirma vermarktet in Zusammenarbeit mit der Harburger Rösterei Fehling Kaffee aus der Heimat ihrer Partnerschule in Tansania. "Kitunto" heißt die schuleigene Kaffeemarke. Die Jüngsten gehen an den Bach und machen Unterricht in Gummistiefeln. Üblich am Rönneburger Gymnasium ist, dass die etwa 150 Jungen und Mädchen der fünften Klassen an dem kleinen Bach Engelbek forschen.

Während die Fünftklässler mit den Füßen im Nassen und mit der Kaulquappe im Wasserglas sinnlich erfahren, was Renaturierung bedeutet, beschäftigen sich die Oberstufenschüler im Fach Politik mit der EU-Richtlinie, die sich bis zu dem Bach in ihrem Stadtteil auswirkt. Das sei typisch für ihre Projekte, sagt der Schulleiter. Sie seien kein bloßer Aktionismus, sondern fänden sich im Unterricht wieder.

Trotz allem ist das Gymnasium keine Spielwiese. "Wir haben auch mal normalen Unterricht", versichert Matthias Peters und schmunzelt, "unsere Schüler müssen auch Vokabeln lernen."

Das Alexander-von-Humboldt-Gymnasium legt großen Wert auf Erfolg. Den misst die Hamburger Schulbehörde nach bestimmten Kriterien - und das Ergebnis kann sich sehen lassen. "Unsere Schule liegt etwas über den Erwartungen der Behörde", sagt Matthias Peters. Das Gymnasium in Rönneburg fördert den Wettbewerbsgedanken - und heimst dafür reichlich Preise ein. Es ist "Umweltschule in Europa" und trägt das Siegel für vorbildliche Berufsorientierung.

Im Jahr 2006 hat der damalige Bundespräsident Horst Köhler Schüler des Humbold-Gymnasiums empfangen, die den Bertini-Preis, einen renommierten Geschichtswettbewerb, gewonnen hatten. Die Schüler hatten Zeitzeugen interviewt, sieben jüdische Schicksale im Zweiten Weltkrieg beschrieben und in dem Buch "Weitergelebt" herausgegeben. Der Publizist Ralph Giordano schrieb sogar das Vorwort dazu.

"Wir haben in fast jedem Abiturjahrgang einen Stipendiaten", sagt Sabine Hansen. Die stellvertretende Schulleiterin hält Kontakt zu den Ehemaligen und freut sich, dass einer das schwierige Auswahlverfahren der Lufthansa zum Piloten bestanden hat.

Ende März reduziert die Jury des Deutschen Schulpreises das Kandidatenfeld noch einmal von 20 auf 15. Was würde dem Alexander-von-Humboldt-Gymnasium der Sprung zur Endausscheidung in Berlin bedeuten? "Das Wichtigste ist die Würdigung unserer pädagogischen Arbeit", sagt Schulleiter Peters. Und das sei schon mit der Nominierung zu den besten 20 geschehen. "Na ja", fügt er dann noch hinzu, "gespannt sind wir schon."

Niemand habe sich Gedanken gemacht, was die Schule mit den 100 000 Euro anfange, sollte das Gymnasium sogar den Hauptpreis gewinnen. "Dann werden sich Lehrer, Eltern und Schüler zusammen beraten", sagt Peters, "das ist der Stil unserer Schule."

Der 42-Jährige ist jemand, der hanseatisch bodenständig träumt. Der größte Wunsch der Schule klingt bescheiden: eine eigene Aula. Denn die, sagt Matthias Peters, bedeute Gemeinschaft.