Mal witzig, mal charmant, gern auch mal staatstragend. Der Erste Bürgermeister zu Besuch im Bürgerzentrum Feuervogel im Phoenix-Viertel.

Harburg. Das Bürgerzentrum Feuervogel im Phoenix-Viertel dürfte am Dienstagabend die bestbewachte Lokalität im Süden Hamburgs gewesen sein. Polizisten in den angrenzenden Seitenstraßen, vor dem Gebäude, im Foyer. Erwartet wurde nicht etwa ein berühmter Popstar, auch kein Fernsehschaffender oder Fußballprofi. Angesagt hatte sich Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz - und die Harburger strömten in Scharen. Politikverdrossenheit, Parteienbashing? Nicht im Süden der Metropole!

Lange vor dem offiziellen Beginn der Veranstaltung mit dem trockenen Titel "Olaf Scholz im Gespräch" ist die Aula des Bürgerzentrums bereits gut gefüllt. Rund 250 Stühle hat die Hamburger SPD aufstellen lassen. Deutlich zu wenig. Unablässig karren die Gebäudetechniker neue Stuhlbatterien heran. Am Ende sind es mehr als 360. Und trotzdem müssen sich Besucher mit einem Stehplatz auf dem Gang begnügen. Das Publikum ist bunt gemischt. Gestandene Bürger in feinem Zwirn hocken neben Studenten in Freizeitkluft. Gemessen an den Inhalten der Flugblätter, die am Eingang verteilt werden, könnte es ein haariger Abend für Scholz werden. Die Aktivisten von Libertare Harburg haben unter dem Titel "Nicht vergessen" aufgelistet, was sie dem Bürgermeister so alles vorwerfen. Etwa die Einführung des "menschenrechtswidrigen Brechmitteleinsatzes", als er 2003 Hamburger Innensenator war. Oder sein Engagement bei der Durchsetzung der "Agenda 2010- und Hartz-Gesetze" als SPD-Generalsekretär. Oder seine Ablehnung der Vermögenssteuer und des gesetzlichen Mindestlohns. Etwas moderater gibt sich die Initiative "Ja zur Nö". Die fordert "nur" mehr Raum für Kulturschaffende und prangert skandalösen Leerstand in Harburg an.

Um 19.40 Uhr ist es dann so weit, der Hauptprotagonist des Abends hält samt Gefolge Einzug. Scholz ist zehn Minuten zu spät. Dennoch wird er mit freundlichem Applaus empfangen. Nur kurz steht SPD-Kreischef Frank Richter als Announcer im Rampenlicht. Dann überlässt er dem ersten Mann der Stadt auch schon die Bühne.

Wurde Scholz früher gern vorgehalten, er gebe sich hölzern, zuweilen gar dröge, so präsentiert er sich in Harburg als bestens aufgelegter Politprofi mit Entertainer-Qualitäten. "Es gibt eine klare Regel", begrüßt er die Anwesenden. "Wir haben Zeit, alles zu diskutieren, aber um 9 Uhr ist Schluss!" Gelächter im Auditorium.

Hamburg muss sparen, aber mit Sinn und Verstand

Es folgt ein halbstündiges Referat - ohne Manuskript, dennoch locker und flüssig. Scholz reißt vier große Themen an: die enorme Staatsverschuldung samt Zukunft des Euro, das florierende Wirtschaftsleben der Metropole, Hamburg als wachsende Stadt und die Umkehr in der Bildungspolitik. Scholz erinnert daran, dass auch Hamburg 28 Milliarden Euro Schulden angehäuft hat und haushalten muss. Aber nicht mittels eines "wilden Sparprogramms", sondern mit Sinn und Verstand. Er bekräftigt sein Ja zur Elbvertiefung und zum Ausbau der Windenergie. Er beschwört das "größte Wohnungsbauprogramm in ganz Deutschland" mit mindestens 6000 Einheiten pro Jahr, 700 allein in Harburg. Er feiert die Rücknahme der Studiengebühr. Er stellt ein flächendeckendes Angebot an Krippen- und Kitaplätzen und eine Ganztagsbetreuung an allen Grundschulen in Aussicht. Und er lässt keine Gelegenheit aus, seinem Vorgänger Ole von Beust gravierende Fehler und Fehlentwicklungen vorzuhalten.

Das kommt gut an im Parkett. Kein einziger Pfiff, keine Buh-Rufe, dafür immer wieder Szenenapplaus. Das ändert sich auch nicht, als sich Scholz den Fragen der Besucher stellt. Er muss zum Bau der Elbphilharmonie Stellung nehmen, bei dem längst alle Harmonie flöten gegangen ist. Er wird mit dem Bau eines neuen Flüchtlingsheims an der Wetternstraße konfrontiert und mit der Tatsache, dass Harburger Kinder seit Jahren in unwirtlichen Containern unterrichtet werden. Die Wogen schlagen hoch, als Scholz ausweichend antwortet. "Harburger Schüler müssen in Containern frieren, weil kein Geld zum Sanieren da ist. Das geht doch nicht", sagt Kerstin Göttsche. Es gibt Fragen zur Wilhelmsburger Reichsstraße und zu den stark frequentierten Bundesstraßen 73 und 75. Und auch zu den Preiserhöhungen für Busse und Bahnen, dem geplanten islamischen Kaufhaus und den Kitagebühren muss er sich äußern. "Das Konzept der muslimischen Kaufhausbetreiber widerspricht dem Integrationsgedanken und Antidiskriminierungsgesetzen", sagt Scholz und erntet Zuspruch. Wohlwollen auch, als sich ein Rentner über den Leerstand in einem Nachbarhaus äußert. "Da muss sich das Bezirksamt drum kümmern", sagt der Bürgermeister. "Dann geben sie mir doch mal ne Telefonnummer, damit ich mit jemandem schnacken kann", sagt der Harburger und hat diesmal den Applaus des Publikums auf seiner Seite.

Scholz weicht keiner Frage aus. Er antwortet mal witzig, mal charmant, gern auch mal ganz staatstragend, wo konkrete Antworten schwierig oder gar gefährlich ausfallen könnten. Unablässig wandert er auf der Bühne hin und her, um mit den Fragestellern buchstäblich auf Augenhöhe zu sein. Und als die Aktivisten der Initiative "Ja zur Nö" mit ihrem drei mal zwei Meter großen Transparent doch noch in den Saal vordringen, obwohl sie zuvor des Hauses verwiesen worden waren, dürfen auch sie ihre Frage stellen.

Kurz nach 21 Uhr verkündet Scholz dann tatsächlich das Ende der offenen Fragestunde. Wer nicht zum Zuge gekommen sei, möge ihn im Anschluss direkt ansprechen, verkündet er. So kommt Scholz dann auch noch zu seinem "Bad in der Menge". Das bedeutet zwar besonderen Stress für die fünf Bodyguards des Bürgermeisters, ist dem aber egal. Scholz, diskutiert, gestikuliert und steht auch für jedes Erinnerungsfoto zur Verfügung. In dieser Situation ist er dann endgültig Popstar, TV- und Politprofi in Personalunion.

Es ist weit nach 22 Uhr, als auch der letzte Besucher seine Frage gestellt hat. Scholz sieht müde aus. Aber er darf sich mit Fug und Recht als Sieger fühlen. Bei seinem Heimspiel in Harburg.