Nach der Aufhebung des Urteils gegen den Neonazi Stefan S. befürchtet die Gemeinde neue Aufmärsche der Rechten und auch Linken in Tostedt.

Tostedt. Die gegen Rechtsextremismus engagierten Tostedter werten die Aufhebung des Urteils gegen den Neonazi Stefan S.ilar und damit auch der Bewährungsauflage, seinen Laden und Treffpunkt der rechten Szene in Tostedt schließen zu müssen, als fatales Signal und herben Rückschlag. Tostedt könnte wieder zum Schauplatz von Aufmärschen von rechten und linken Gruppierungen aus ganz Deutschland werden, befürchtet der CDU-Politiker Rolf Aldag. Im vergangenen Jahr, als das Schöffengericht am Amtsgericht Tostedt und das Landgericht Stade mit Urteilen gegen den Tostedter Neonazi der rechten Szene zusetzten, sei eine gewisse Zurückhaltung bei den Rechten spürbar gewesen, sagt Aldag. Das könnte nun wieder vorbei sein.

Zunächst einmal will das örtliche Forum für Zivilcourage ein Zeichen gegen Rechts setzen. Am Sonnabend, 4. Februar, sollen alle gegen Rechts engagierten Tostedter, politische Parteien, Gewerkschaften und Verbände friedlich demonstrieren. Wer genau der Veranstalter sein wird, entscheidet sich an diesem Wochenende, teilte das Forum am Freitag mit. Nähere Details werden bei einer Sitzung am Montagabend geklärt.

Auch Tostedts Polizeichef Karl-Heinz Langner geht davon aus, dass als Folge des Gerichtsurteils wieder Polizeibeamte zwischen die Fronten von gewaltbereiten linken und rechten Demonstranten geraten könnten. "Man muss mit irgendwelchen öffentlichen Reaktionen rechnen", sagt Langner.

Das Oberlandesgericht Celle hatte am Dienstag das Urteil des Landgerichts Stade gegen Stefan S. wegen Landfriedensbruchs aufgehoben. Das Urteil ist endgültig. Das komme einem Freispruch gleich und werde von allen Beobachtern auch so gewertet, sagt der Sprecher des Forums für Zivilcourage, Ulrich Graß. "Das ist das Schlimmste, was uns passieren konnte", so der Gymnasiallehrer.

Wie der CDU-Fraktionsvorsitzende im Samtgemeinderat und der Polizeichef geht Ulrich Graß davon aus, dass die rechte Szene wieder selbstbewusster und offensiver in Tostedt auftreten werde. "Die Situation wird sich wieder zuspitzen", sagte er. Er rechnet mit Reaktionen des gewaltbereiten linken Lagers, der Antifa.

Die gegen Rechts engagierten Tostedter hatten gehofft, dass der rechte Szeneladen im Ortsteil Todtglüsingen geschlossen wird. Stefan S. betreibt das Geschäft "Streetwear". Er verkauft Bekleidung und Musik-CDs, die bei Rechtsextremisten beliebt sind und Identität stiften. Der Laden sei laut dem Forum für Zivilcourage nicht nur Verkaufsstelle. Er gelte als Treffpunkt und als Ort, an dem Neonazis Jugendliche rekrutierten und sie mit brauner Gesinnung impfen.

Mit dem Beschluss des Oberlandesgerichtes hat das Bemühen der Tostedter, den Laden loszuwerden, einen Rückschlag erlitten. Nach Auffassung der Oberlandesrichter ist Stefan S. für zwei Taten belangt worden, die nur als eine betrachtet werden dürfen. Stefan S. hatte bei Ausschreitungen zu Pfingsten im Jahr 2010 eine Polizeikette vor seinem Laden durchbrochen, die seinen Laden schützen sollte, und war auf linke Demonstranten mit gezücktem Messer zugelaufen.

Später griffen Polizisten den Neonazi mit einer Schusswaffe auf, für die er keine Erlaubnis hatte. Dafür gab es einen Strafbefehl mit 450 Euro Geldbuße. Für das Durchbrechen der Polizeikette wurde Stefan S. später zunächst wegen schweren Landfriedensbruchs, in der Revision nur noch wegen Landfriedensbruchs verurteilt. Stefan S. behauptete vor dem Oberlandesgericht, die Schusswaffe schon bei sich gehabt zu haben, als er die Polizeikette durchbrach. Alles, was bei den Pfingstausschreitungen geschah, sei damit als eine Tat zu betrachten. Das Schöffengericht in Tostedt und das Landgericht in Stade waren von zwei unabhängig zu beurteilenden Taten ausgegangen. Das Oberlandesgericht aber sieht diese Rechtsauffassung als falsch an.

Dass niemand wegen derselben Tat zweimal belangt werden darf, ist ein prozessualer Grundsatz im Strafrecht. Juristisch, sagt Rolf Aldag, mag das Urteil nachvollziehbar sein: "Mit Gerechtigkeit", fügt er hinzu, "hat das in meinen Augen nichts zu tun." Tostedts Bürgermeister Gerhard Netzel (SPD) nennt das Gerichtsurteil einen Schlag ins Gesicht aller Tostedter.

Politisch pikant erscheint auch der Zeitpunkt, zu dem die Celler Oberlandesrichter ihren Beschluss bekannt gaben: Nur einen Tag zuvor hatte Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) die neue Gesamtkonzeption des Landes im Kampf gegen den Rechtsextremismus vorgestellt.

Als engagiert im Kampf gegen Rechts in Tostedt gilt die Grünen-Politikern Birgit Kuhlmann. Sie kündigt an, dass nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts das Engagement der Tostedter Bürger gegen Rechts intensivieren werde. Als gelungenes Beispiel dafür sieht sie den Aufruf aus dem Dezember 2011 an Immobilienbesitzer, nicht an Mitglieder der rechten Szene zu vermieten. Ortsverbände der Parteien und ganze Gemeinderäte hatten sich dem Aufruf angeschlossen. "Dies zeigt", sagt Birgit Kuhlmann, "dass auch die Politik in Tostedt dem Problem der rechten Szene entschieden entgegentritt und das auch in Zukunft in aller Deutlichkeit tun wird."

Tostedts Politiker könnten Taten und Geld folgen lassen: Das Forum für Zivilcourage schlägt eine mobile Beratungsstelle für Eltern vor, deren Kinder in die Fänge der rechten Szene geraten sind. Die Finanzierung ist noch offen.