Anwohner der Este in Cranz und Neuenfelde sind bei einem Totalausfall des Sperrwerks beinahe schutzlos. Schutzanlangen nicht voll funktionsfähig.

Cranz. Die Stürme und Regenfälle der letzten Tage lösen bei den Anwohnern am Ufer der Este in Cranz noch keine Panik aus. Von einer Sturmflut spricht man an der Nordseeküste und in Hamburg erst bei einer Erhöhung des Pegelstandes um bis zu 2,50 Meter, von einer schweren Sturmflut bei einer Abweichung von bis zu 3,50 Meter. Doch angesichts der immer noch nicht voll funktionsfähigen Hochwasserschutzanlage an der Mündung der Este in die Elbe, steigt mit jedem Zentimeter des Wasserstandes auch die Angst vor einer Überflutung, wie sie den südwestlichsten Zipfel der Hansestadt vor fast 50 Jahren traf.

Am 16. Februar 1962 stand auch das Fachwerkhaus am Estedeich 78 unter Wasser. Seit drei Jahren renoviert Stefan Cramer das vor dem Schutzdeich gelegene Wohngebäude einer ehemaligen Bootswerft. Beim Umzug nach Cranz hatte er keine Bedenken wegen des möglicherweise drohenden Hochwassers der Este. "Eigentlich dachte ich, mein Haus wird vom Sperrwerk der Hamburg Port Authority geschützt." Die HPA abgekürzte Anstalt öffentlichen Rechts hat seit Anfang Dezember allerdings Probleme, eines der Flutschutztore zu schließen.

Am Morgen des Donnerstag, 8. Dezember, kam es um sechs Uhr zu einem folgenschweren Unfall. Als eines der inneren Tore geöffnet werden sollte, verkeilte es sich mit einem noch unbekannten Gegenstand auf dem Grund der Este. Da sich die Anlage nicht sofort automatisch abschaltete, wurde die 160 Tonnen schwere Stahlwand um 70 Zentimeter nach oben geschoben. Die darüber liegende Straßenbrücke wurde dadurch mehr als 15 Zentimeter nach oben gedrückt und schloss nicht mehr bündig mit der Fahrbahn der Kreisstraße 39, die am Elbufer entlang bis nach Grünendeich verläuft.

Mitte Dezember schnitten Schweißer zwar Aussparungen in die Oberkante des aus den Angeln gerissenen und manövrierunfähigen Tores, um die Straßenbrücke wieder komplett schließen zu können. Seit Donnerstag, 22. Dezember, ist die Straße über das Sperrwerk aber bis voraussichtlich Sonntag, 15. Dezember, für den Verkehr gesperrt. Fußgänger und Fahrradfahrer können auf das nur wenige Hundert Meter entfernte alte Sperrwerk ausweichen. Auto-, Lkw- und Motorradfahrer müssen einen etwa 20 Kilometer langen Umweg über die Landesstraße 140 (Obstmarschenweg) machen.

"Wir haben es hier jetzt richtig ruhig", sagt Dr. Gudrun Schittek. Doch dieses Plus an Lebensqualität sieht die Nachbarin von Stefan Cramer von der Gefahr einer Überflutung mehr als aufgewogen. "Wir fühlen uns hier nicht mehr sicher", sagt sie. Den Hochwasserschutz der Esteanlieger gewährleisten derzeit zwar die beiden äußeren Flutschutztore. "Was passiert aber, wenn dort ein ähnlicher Schaden auftritt?" Besorgniserregend findet sie, dass die genaue Ursache des Betriebsunfalls vom 8. Dezember immer noch nicht zweifelsfrei aufgeklärt ist.

"Wir Bewohner des Alten Landes in der Nähe des Estesperrwerks sind einer erhöhten Sturmflutgefahr ausgesetzt", sagt Schittek. "In den vorigen Wochen haben wir Orkanböen bis Windstärke Elf gehabt, glücklicherweise aus Richtung Südwest und nicht aus Nordwest wie bei der Sturmflut im Februar 1962." Falls an der äußeren Flutschutzwand wirklich ein ähnlicher Defekt wie an der inneren auftritt, ohne dass das immer noch beschädigte Stemmtor repariert ist, müssen sich Anwohner wie Schittek auf den 4,50 Meter hohen Deich verlassen, der zwischen Cramers Haus und der Straße Estedeich verläuft. Durch permanenten Starkregen ist er aktuell gefährlich aufgeweicht.

"Der Hochwasserschutz hat für uns Priorität", sagt HPA-Sprecher Alexander Schwertner. Erst danach wolle sich die Hafenverwaltung um die Wiederherstellung der Verkehrswege an der Estemündung kümmern. Neben dem Straßenverkehr werden auch Transportschiffe der Sietas-Werft und Neuenfelder Maschinenfabrik (MNF) sowie Fahrgastfähren der Hadag von Blankenese über die Elbe nach Neuenfelde und Cranz durch die Havarie am Sperrwerk ausgebremst. Als ein Schwertransporter Mitte Dezember einen von der NMF hergestellten Kranfuß nach Finkenwerder bringen wollte, um auf einen Elbanleger des Airbus-Werks auszuweichen, ereignete sich ein schwerer Unfall. Das 146 Tonnen schwere Bauteil stürzte von der Ladefläche auf ein Begleitfahrzeug. "Das ist ein markantes Beispiel dafür, wie schwer wir auf unseren eigenen Zugang über die Estemündung zur Elbe verzichten können", sagt Sietas-Sprecher Cord Schellenberg.

"Wir sind mit der Werft inzwischen im Gespräch und können je nach Tide Sonderöffnungen vornehmen", sagt Karin Lengenfelder, Sprecherin der HPA auf Anfrage der Regionalausgabe Harburg des Hamburger Abendblatts. Über die Zukunft der Straßenbrücke sprechen Vertreter der Hafenbehörde am Dienstag unter anderem mit Experten der Polizei. Erfahren dürften die Ergebnisse dieser Besprechung als erstes die besonders betroffenen Anwohner wie Stefan Cramer. Auf Einladung von Gudrun Schittek besucht Matthias von dem Bussche, zuständiger Bereichsleiter der HPA, ein Treffen der Cranzer Dorfgemeinschaft am Dienstagabend. Dann wird er auch Stellung beziehen zu den Ängsten der Anwohner, die sich auf das zweite Fluttor nicht verlassen wollen.