Ulfert Sterz, neuer Pastor an der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH), beobachtet Konzentration auf technische Studieninhalte.

Harburg/Veddel. Wie ein gewöhnlicher Pastor sieht Ulfert Sterz, 45, beileibe nicht aus. Der Mann trägt das schwarz-weiß gestreifte Oberhemd über der Hose, dazu einen modischen schwarzen Anzug und schwarze Puma-Turnschuhe. Oft läuft Ulfert Sterz auch ganz leger mit Pulli, Oberhemd, Jeans und Kapuzenjacke über den Campus und könnte auch als etwas älterer Student durchgehen. Vom Gesicht her sieht er aus wie 35. Nur seine grau melierten Haare deuten darauf hin, dass er langsam auf die 50 zugeht.

Ulfert Sterz ist kein angehender Ingenieur - er ist der neue Hochschulpastor der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH). Sehr schlank ist der freundliche Mann und gut durchtrainiert. Als Theologiestudent an der Universität Hamburg und an der Humboldt-Universität ist er öfter zwischen Hamburg und Berlin gependelt - 300 Kilometer mit dem Rennrad an einem Tag! "Ich finde es wunderbar, wenn die schmalen Reifen über den Asphalt surren", sagt der Pastor. "Das Radfahren hat für mich meditativen Charakter und Fitnesscharakter. Da kann ich gut bei abschalten."

Dazu hat er momentan aber fast keine Zeit. Am dritten Advent ist Anna Elisabeth, seine zweite Tochter, zur Welt gekommen. Jetzt haben seine Partnerin Nina Schumann, 34, eine angehende Pastorin, gemeinsam mit Johanna, 5, richtig Leben in der Bude, Und auch Ulfert Sterz' Gemeinde in der Immanuelkirche auf der Veddel fordert seine Präsenz. "Die große Armut ist eine große Herausforderung", sagt der Pastor. "Die Veddel ist der Stadtteil mit der niedrigsten Kaufkraft in Hamburg. Menschen suchen gezielt das Pastorat auf, weil sie Hunger haben. Es kommen auch Kinder, die alles hastig essen, was wir ihnen anbieten."

Auf dem Campus in Harburg ist Pastor Sterz ein- bis zweimal die Woche. Der TUHH-Fotograf Roman Jupitz hat ihm ein Zimmer im Souterrain der Zentralen Fotografie überlassen, zu erreichen über eine kleine Treppe, 30 Meter vom Mensaeingang entfernt.

In diesem Zimmer hat Ulfert Sterz jeden Montag von 12 bis 14 Uhr - und nach Vereinbarung unter der Rufnummer 040/428 78-61 53 - Sprechstunde. Wer persönlich Hilfe sucht, der klingelt bei "ESG" - Evangelische Studierendengemeinde - und geht an einem Plakat vorbei, das Ulfert Sterz vor einer Tafel im Audimax II zeigt. "Hier ist Kirche - Ulfert Sterz" hat der Hochschulpastor an die Tafel geschrieben.

Sein Credo: "Ich bin an der TUHH eine Anlaufstelle für Menschen aller Religionen und auch ohne Religionen. Wir sind nicht dazu da, auf dem Campus zu missionieren und eine christliche Gemeinde aufzubauen, sondern jungen Menschen in Notlagen zu helfen."

Geholfen hat der sportliche Pastor auf dem Campus seit Semesterbeginn bislang viermal. Aber nicht in seinem Büro, sondern beim Allgemeinen Studentenausschuss (AStA) und in der Mensa. Dabei ging es um Geld. Geld, das ausländischen Studenten zum Leben fehlte. Da kann Ulfert Sterz für Abhilfe sorgen. Denn er sitzt auch im Bewilligungsgremium des Ökumenischen Notfonds für ausländische Studierende aus OECD-Ländern.

"Viele ausländische Studenten kommen in der Examenszeit kaum noch über die Runden, weil sie sich voll auf die Prüfungen konzentrieren müssen und keine Zeit mehr für Nebenjobs haben", sagt Ulfert Sterz.

Gerade hat er einem Studenten aus Afrika unter die Arme gegriffen. Dessen Ersparnisse von zu Hause waren aufgebraucht. Auch das deutsche Förderprogramm zahlte nicht mehr, weil sich die Studienzeit verlängert hatte: Der Afrikaner war durch ein paar Prüfungen gefallen und eine Zeit lang krank gewesen. "Der Ökumenische Notfonds hat 1000 Euro bewilligt, damit konnte der Student erst einmal seine letzten drei Monatsmieten im Studentenwohnheim und die Krankenkasse bezahlen", sagt Ulfert Sterz.

Mit Mitarbeitern der Studentenberatung und des International Office hat der Hochschulpastor auch schon Gespräche geführt. "Ich habe erfahren, dass die Anforderungen an der TUHH sehr hoch sind", sagt Ulfert Sterz. "Mehrere Mitarbeiter haben beklagt, dass die Studienzeitverkürzungen eine Konzentration auf rein technische Inhalte zur Folge habe und somit ethische und politische Themen wie Verantwortung im Studium kaum noch eine Rolle spielten." Aber er bekam auch gute Nachrichten zu hören. "TUHH-Präsident Garabed Antranikian hat mir gesagt, dass er den Anteil ethischer Inhalte im Studium gerne deutlich erhöht sehen möchte."

Ulfert Sterz ist auch in der Evangelischen Studentinnen- und Studentengemeinde an der Uni Hamburg tätig. "Die Studenten reden mit mir über Studienprobleme und Prüfungsängste. Vor allem bei ausländischen Studenten gibt es viel Einsamkeit und Isolation. Sie wirken zum Teil sehr alleine und verloren."

Sechs bis zehn Studenten an der Uni Hamburg folgen donnerstags alle zwei Wochen der Einladung zum "Internationalen Abendbrot". "Vielleicht habe ich mein Halbtagspastorat auf der Veddel und meine ESG-Stelle ja deshalb bekommen, weil ich Erfahrung mit sehr wenig Teilnehmern und Mitgliedern habe", sagt der Pastor.

In die Immanelkirche auf der Veddel kommen sonntags sechs bis 15 Menschen. St. Thomas in Rothenburgsort, wo Ulfert Sterz auch predigt, besuchen 30 bis 40 Menschen, die Hälfte sind Russlanddeutsche. Auch in Halle-Neustadt, wo Ulfert Sterz groß wurde, kamen 30 bis 40 Menschen in den Gottesdienst - auch Ulfert und seine Eltern, der Vater Mathematiker an der Universität Halle, die Mutter Bibliothekarin an der Kunsthochschule. "Wir waren Sonntagschristen", sagt Ulfert Sterz, "und sind einmal im Monat zum Gottesdienst gegangen."

In der Kirche sei zu DDR-Zeiten offener gesprochen worden als in Schule und Gesellschaft, sagt der Pastor. "Die Kirche war der einzige Ort, wo man über Wehrdienstverweigerung und Umweltschutz reden konnte." Ulfert Sterz kam mit Künstlern und Dichtern zusammen, besuchte Punk-Konzerte in Kirchen. Und er sah, dass es auch im real existierenden Sozialismus Armut gab, sah, dass Menschen, die in Abrisshäusern lebten, für einen Kaffee und ein Gespräch in die Kirche kamen. "In der Kirche", sagt Ulfert Sterz, "war Platz für Menschen, die nicht angepasst waren und keinen Platz in der DDR-Gesellschaft fanden oder finden wollten."

Wenig Resonanz hat Ulfert Sterz auch bei seinen ersten zwei Stellen in Dörfern rund um Zeitz (Sachsen-Anhalt) und rund um Eilenburg (Sachsen) erlebt. "Dort kamen oft zehn Menschen und weniger in den Gottesdienst."

Aber große Besucher- und Beratungszahlen sind dem TUHH- und Veddel-Pastor nicht wichtig: "Wichtig ist, dass die Kirche bedingungslos sagt: 'Herein und Willkommen!'" Und so befolgt Ulfert Sterz noch immer den Satz des von den Nazis einen Monat vor Kriegsende hingerichteten Theologen Dietrich Bonhoeffer - ein Satz, der in der DDR die Basis für kirchliche Arbeit war: "Kirche ist nur dann Kirche, wenn sie Kirche für andere ist."