Schüleraustausch: Eine deutsche Auslandsschule im Westjordanland und zwei Finkenwerder Schulen beschreiten neue Wege

Finkenwerder/Beit Jala. Neue Wege gehen in diesem Sommer das Gymnasium und die Gesamtschule Finkenwerder zusammen mit ihrer palästinensischen Partnerschule Talitha Kumi in Beit Jala im Westjordanland. Vom 22. Juni an bis zum 7. Juli besuchen neun Elftklässler der deutschen Auslandsschule Finkenwerder. Ab 18. September bis zum 30. September werden 19 Finkenwerder Elftklässler nach Palästina reisen. "Dieser Schulaustausch ist der erste zwischen einer Hamburger und einer palästinensischen Schule", sagt Kristina Wiskamp, 39, Lehrerin am Gymnasium Finkenwerder - sie ist Koordinatorin des "Austauschprojekts Palästina".

Talitha Kumi ist eine deutsche Auslandsschule in der Region Bethlehem und eine der renommiertesten palästinensischen allgemeinbildenden Schulen in der Westbank. Viele Absolventen Talitha Kumis gehören zu den Funktionsträgern in der palästinensischen Zivilgesellschaft und arbeiten als Ärzte, Lehrer, Architekten und Ingenieure. Die Schule steht in deutscher Trägerschaft des Berliner Missionswerks der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Die rund 900 Schüler Talitha Kumis kommen aus allen sozialen Gruppen. Das Verhältnis Jungen zu Mädchen ist in etwa ausgeglichen. Etwa ein Viertel der Schüler sind Moslems. Fast alle Lehrer sind einheimische Palästinenser, der Schulleiter ist Deutscher.

"Wir alle lieben dieses Land. Palästinenser und Israelis sind nette Menschen. Wir wollen einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass die beiden Völker irgendwann einmal friedlich zusammenleben können", sagt Sybille Möller-Fiedler, 50. Sie koordiniert eine Ausstellung im Hamburger Rathaus unter dem Titel "Cartoons in Conflict" vom 7. bis zum 21. November. Weltweit renommierte Cartoonisten zeichnen ihre Sicht des israelisch-palästinensischen Konflikts - die Finkenwerder Schüler werden die Ausstellung mit Texten und Zeichnungen kommentieren.

Die Finkenwerder Lehrerin Kristina Wiskamp "möchte einfach, dass die deutschen und die palästinensischen Jugendlichen sich kennenlernen. Hauptsache ist, dass die Schüler den Mut zur Neugier haben. Es geht vor allem um den humanistischen Gedanken, sich zu verstehen, den Mensch im anderen zu sehen und den anderen anders sein zu lassen."

Karen Koop, 66, CDU-Bürgerschaftsabgeordnete unterstützt den Austausch und war auch schon einmal zu Besuch an der palästinensischen Schule. Sie sagt: "Es geht bei diesem Austausch auch um die Anerkennung der gegenseitigen Wertigkeit."

Unter der Fragestellung "Freiheit - wozu?" setzen sich derzeit 27 Finkenwerder Schüler mit dem Nahostkonflikt auseinander. "Der Austausch soll helfen, dass die deutschen und palästinensischen Schüler sich kennenlernen und ihren Horizont erweitern", sagt Kristina Wiskamp, die vier Jahre an Talitha Kumi unterrichtet hat. Die Schüler werden bei Gastfamilien übernachten.

Die Schüler aus dem palästinensischen Autonomiegebiet werden über das jordanische Amman nach Frankfurt fliegen, weil sie nicht über Tel Aviv ausreisen dürfen. Die Reisezeit verlängert sich so von sechs Stunden auf zwei Tage. In Hamburg werden die Palästinenser mit ihren deutschen Schülern zum "Public Viewing" aufs Heiligengeistfeld zum WM-Spiel Deutschland gegen Ghana fahren, nach Ratzeburg zur "Drei-Muskeltour", zur KZ-Gedenkstätte Neuengamme und in die Speicherstadt. Auch eine Bürgerschaftssitzung steht auf dem Programm.

Die Finkenwerder Schüler sollen bei ihrem Besuch in Palästina auch mit israelischen Jugendlichen in Jerusalem und Haifa zusammenkommen. Der Austausch wird unterstützt durch die Norddeutsche Stiftung für Umwelt und Entwicklung, die Initiative Pasch des Auswärtigen Amtes, der Hamburger Schulbehörde, der Haspa und der Peter-Mehlmann-Stiftung.

An Talitha Kumi werden die Schüler vom Kindergarten bis zur zwölften Klasse unterrichtet. Sie werden von 52 Lehrern nach palästinensischem Lehrplan unterrichtet. Nach Abschluss der zwölften Klasse können sie das Tauwjihi (palästinensisches Abitur) machen.

An Talitha Kumi gibt es Englisch ab Klasse 1 und Deutsch ab Klasse 3. Dazu kommt als Muttersprache Arabisch. Der Name der Schule verweist auf eine Begebenheit, die der Evangelist Markus erzählt: Bei der Auferweckung der Tochter des Jairus ergriff Jesus das Kind bei der Hand und sprach: "Talitha Kumi! - das heißt: Mädchen, ich sage dir, steht auf!" Unter dem gleichen Namen existierten früher auch in Deutschland zahlreiche diakonische Einrichtungen. Die derzeitige Schule geht auf ein Kinderheim für arabische Mädchen zurück, das Theodor Fliedner, Gründer der Diakonissenanstalt Kaiserswerth, 1851 in Jerusalem ins Leben rief.

Beit Jala ist eine kleine Stadt mit 16 000 Einwohnern. Sie liegt zwei Kilometer von Bethlehem entfernt. Vom Schulgelände auf der Kuppe des "Al Ras"-Hügels hat man einen schönen Blick über Beit Jala und Bethlehem.