Beim Festival “48 Stunden Wilhelmsburg“ musizierten Bands auf dem Balkon, im Afro-Shop und auf der Straße

Wilhelmsburg. Die Trommeln der Formation Maracatu schallten durch die Straßen, Afrikaner und Türken tanzten, zwei Frauen und ein Mann gingen auf Stelzen, die "Inseldeerns" winkten und ein Jongleur warf Keulen in die Höhe: Der "Umzug der Kulturen" hielt am Sonnabend ganz Wilhelmsburg auf Trab. Hunderte Wilhelmsburger säumten den Straßenrand, als der bunte Umzug vom Vogelhüttendeich über den Stübenplatz, Veringstraße, Fährstraße, Georg-Wilhelm-Straße bis zum Bürgerhaus Wilhelmsburg an der Mengestraße zog. Angeführt wurde der Umzug von einem farbenprächtigen Wagen. Auf dem tanzte die aus Brasilien stammende und auf der Elbinsel lebende Musikerin und Dirigentin Suely Lauar, heizte per Mikrofon die Stimmung an und warf den vielen Menschen am Straßenrand Lollis zu. Die Busse der Linie 13 und ein Peterwagen fuhren im Schritttempo hinter dem "Umzug der Kulturen" her, aber keiner der Fahrgäste beschwerte sich beim Fahrer - zu fröhlich war die Stimmung auf der Straße.

Ob Balkon oder Seniorenheim - die Konzerte fanden überall statt

Der "Umzug der Kulturen" war einer der Höhepunkte eines bislang einmaligen Musikwochenendes auf der größten Flussinsel Europas: Das "Netzwerk Musik von den Elbinseln" hatte von Freitag bis Sonntag zu der Aktion "48 Stunden Wilhelmsburg" aufgerufen. Ziel des alternativen Musikfestivals: Wilhelmsburg sollte sich zum "klingenden Stadtteil" wandeln.

Das Besondere an "48 Stunden Wilhelmsburg": Die Konzerte fanden überall statt. Ob auf dem Balkon, im Wohnzimmer, im Afroshop, in der Halle, in der Fatih Akin seinen Film "Soulkitchen" drehte, in der Kirche, im Garten, auf der Barkasse oder im Seniorenheim: "Kein Ort war uns zu weit, zu ungewöhnlich oder zu unbequem", sagte die Initiatorin des Musikwochenendes, Katja Scheer vom Bürgerhaus.

Wer Wilhelmsburg kennt, weiß um die kulturelle Vielfalt des Stadtteils. Die 50 000 Elbinselbewohner stammen aus 130 Nationen. "Gerade in Wilhelmsburg hat Musik das Potenzial, universale Weltsprache zu sein", sagte Katja Scheer. "In der Musik gibt es keine klassischen Sprachbarrieren. So trägt Musik bei zur Stadtteilentwicklung und zur kulturellen Partizipation."

Am Freitagnachmittag startete "48 Stunden Wilhelmsburg" mit internationalen Liedern des Kinderchors Elbinselschule im Bürgerhaus. Am Abend lud die "Lehrerband" der Schule An der Burgweide zu einer "offenen Bandprobe" ein.

Richtig Stimmung kam dann ab 19.30 Uhr im Afro-Shop "Shalom" am Vogelhüttendeich auf. Rund 50 Frauen und Männer bewegten sich zur Live-Musik mit afrikanischen Rhythmen. Danach zogen viele Gäste ins Restaurant O'Atlantico. Hier präsentierte der Tenor und Gitarrist Benjamin Branzko Arrangements bekannter Stücke aus Jazz und Pop, während sich die Zuhörer portugiesische Spezialitäten und den köstlichen Hauswein schmecken ließen.

Danach zogen viele Gäste weiter in die Hans-Sander-Straße 7. Hier spielte die Formation "Grinning Tree" auf dem Balkon, von dem man einen schönen Blick in Richtung Hafen, Elbphilharmonie und Michel hatte. Der Balkon und die Wohnung war mit rund 80 Leuten gerappelt voll, viele Besucher tanzten. Deshalb wurden die wilden Elektronik-Beats und Synthie-Sounds in ein Zimmer der Wohngemeinschaft übertragen. "Hier waren viele Menschen, die ich noch nie in Wilhelmsburg gesehen habe", sagte Bandmitglied und WG-Bewohner Martin Gebhardt, 24.

Richtig voll wurde es dann in der Soulkitchen-Halle in der Industriestraße. Hier bewegten sich rund 300 Frauen und Männer zum "Funky-Groovin'-Power-Soul" der Band "The Natural High Orchestra. Der Wilhelmsburger Bürgerschaftsabgeordnete Metin Hakverdi (SPD) blieb bis 3.30 Uhr bei der Party und war begeistert: "Hier haben auch viele Menschen, die nördlich der Elbe wohnen, die Vitalität Wilhelmsburgs kennen gelernt."

Im Bürgerhaus hieß es "Tauscht Traditionen aus!"

Nach dem "Umzug der Kulturen" am Sonnabend hieß es dann "Extra - Exchange Traditions!" - auf Deutsch: Tauscht Traditionen aus! - im Bürgerhaus Wilhelmsburg. Alle Wilhelmsburger waren anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Bürgerhauses eingeladen, zu lauschen, was ihr Stadtteil musikalisch zu bieten hat. Von türkischer Hochzeitsmusik, jungen Saz-Talenten, nigerianischen Spirituals, Tänzen der Schwarzmeerküste, vom feinsten Gipsy-Jazz über den Hamburger Shanty bis zu internationalen Kinderliedern wurde für jeden Geschmack etwas geboten. Und die Soulkitchen-Halle war am Abend bei Musik von Toxikokinetik, Lonja goes Wild und Jürgen Ufer mit der Band "Die Dinge im Fluss" wieder gerammelt voll.

Einer der Höhepunkte am Sonntag war das Konzert mit Musikern der Familie Weiss an ihrem Wohnort am Kleingartenweg in Georgswerder. Und auch im Senioren Centrum Wilhelmsburg gab es Musik: mit dem Singkreis Bürgerhaus Wilhelmsburg, dem HHLA-Shanty-Chor und einem Klarinettenquartett.

Der Regionalbeauftragte für Wilhelmsburg / Veddel, Thorsten Schulz, brachte die Stimmung am Wochenende auf den Punkt: "Es ist bezeichnend für die Elbinsel, dass die Musiker hier nach der Fußballpleite gegen Serbien so viel Stimmung machen. Alle Events finden mit viel Begeisterung statt."