Zum ersten Bergfest auf der einstigen Mülldeponie hingen Besucher Kleidung an eine 900 Meter lange Leine

Wilhelmsburg. Wild flattern die T-Shirts, Jacken und Pullover im Wind, zerren an der Wäscheleine. Über den Köpfen der Besucher drehen sich die Windräder. Rusch, rusch, rusch - "Wenn man hier steht, spürt man, wie viel Kraft von so einem Windrad ausgeht", ruft Simona Weisleder Projektkoordinatorin der Internationalen Bauausstellung (IBA) Hamburg gegen den Wind. Mit ihr haben am Sonnabend mehr als 500 Besucher aus Hamburg den Berg bestiegen, der jahrzehntelang als das Symbol für Giftmüll schlechthin stand: die ehemalige Mülldeponie Georgswerder.

Aber das ist Jahre her. An diesem Wochenende war der einstige "Giftmüllberg" zum ersten Mal nach seiner Umwandlung zum "Energieberg" für Besucher geöffnet worden - im Rahmen eines großen Bergfestes. Zu dem hatten die IBA sowie die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt der Stadt Hamburg eingeladen und ein umfangreiches Programm auf die Beine gestellt - so wurden Film-Dokumentationen über die Deponiegeschichte gezeigt, Vorträge gehalten und Führungen über das Gelände gegeben. Doch den Höhepunkt der Veranstaltung bildete neben mehreren künstlerischen Auftritten wie der der Band "Cafe Royal Salonorchester" eine Wäscheleinen-Aktion. Vor der traumhaften Kulisse des Hafens und der Hansestadt war entlang des geplanten 900 Meter langen Panoramasteges eine Wäscheleine an 160 Pfähle gespannt worden, an denen die Besucher ihre mitgebrachten orangefarbenen, gelben und roten Kleidungsstücke klemmen konnten. "Orange deshalb, weil der Handlauf des Pfades in dieser Farbe gestaltet werden soll", so Simona Weisleder.

Der 42 Hektar große und 40 Meter hohe Berg, der rund sieben Millionen Kubikmeter Müll in sich birgt, war seit 1967 auch Hauptablagerungsplatz der Stadt für mehr als 200 000 Kubikmeter Sonderabfälle aus Industrie und Gewerbe. 1983 wurde im Sickerwasser auf der Deponie das Gift Dioxin gefunden, was den größten Umweltskandal der Hamburger Geschichte auslöste.

Verschiedene Sanierungsphasen zur Abdichtung und Versieglung des "Giftberges" folgten und verschlangen rund 100 Millionen Euro. Eine zwei bis drei Meter mächtige, mehrschichtige Deponieabdeckung soll das Eindringen von Regenwasser verhindern. Gleichzeitig verhindert sie, dass Deponiegase und Sickerflüssigkeiten in die Umgebung austreten. Die Vegetation auf der Deponie schützt die Abdeckung gegen Erosion und reguliert den Wasserhaushalt.

Doch damit nicht genug: Der Berg sollte zum "Energieberg" umgewandelt werden: Mit einer Windkraftanlage auf dem Gipfel. An dem Südhang ist eine Fotovoltaikanlage installiert, die auf eine Fläche von 16 000 Quadratmeter ausgedehnt werden soll, und der Wiesenschnitt kann zur Umwandlung in Biogas genutzt werden. Und auch im Inneren des Berges kann Energie gewonnen werden: Durch permanente Zersetzungsprozesse im Hügel entsteht Deponiegas mit hohem Methananteil. Bereits jetzt wird es systematisch aufgefangen und an die benachbarte Aurubis AG geliefert

Etwa 2000 Haushalte sollen in Zukunft mit den erneuerbaren Energien versorgt werden können. Wer sich über die Geschichte und die neue Nutzung der ehemaligen Mülldeponie informieren möchte, kann dies ab Juni 2011 auch in dem geplanten Informationszentrum tun, dass ebenfalls auf dem Gelände errichtet werden soll.

"Ich bin sicher, dass die Öffnung der Deponie mit ihrer ungewöhnlichen Aussichtspromenade die Menschen immer wieder für den Ort interessieren und begeistern wird", so IBA-Geschäftsführer Uli Hellweg. Die Wäschestücke wurden übrigens am Sonnabendabend wieder abgenommen und der Kleiderkammer Wilhelmsburg gespendet.