Harburgs Politiker diskutieren über Kieler Vorbildprojekt für die Alkoholszene vorm Rathaus

Harburg/Kiel. Schöne öffentliche Plätze wie die großzügige Freifläche vor dem Rathaus werden von den Harburgern gut angenommen - von einigen ganz besonders gut. Und genau diese Gruppe Alkoholiker, die sich auf den Bänken vor dem Verwaltungsgebäude mit dem Konsum diverser Spirituosen den Tag vertreibt, sorgt seit Jahren für viel Ärger. Denn Harburg ganz unten - das ist ausgerechnet in der Innenstadt zu finden, verdirbt den Geschäftsleuten den Umsatz und bringt den ganzen Stadtteil nachhaltig in Verruf, hieß es einmal mehr vor einigen Wochen beim Stammtisch der CDU Harburg-Mitte.

Das Angebot vom Freitzeitverein wird nicht so gut angenommen

Das Angebot des Freizeitvereins mit Containern an der Knoopstraße, in denen Suchtabhängige Rat und Hilfe erhalten, wird augenscheinlich nicht so gut frequentiert wie erwartet. Hilfe erhofft man sich von einem Kieler Projekt. "Dort ist in der Innenstadt ein Trinkraum für Alkoholiker eingerichtet worden. Er wird gut angenommen. Warum sollte das nicht auch in Harburg funktionieren", fragt sich Michael Hagedorn, Vorsitzender der Bezirksversammlung und Vize-Chef der CDU Harburg-Mitte.

Das Angebot vom Freizeitverein wird nicht so gut angenommen

Tatsächlich haben sich schon viele Vertreter aus Politik und Verwaltung im Hamburger Süden über das "Café Sofa" an der Schaßstraße in Kiels City informiert. Auch Jürgen Heimath, Chef der SPD-Fraktion in der Bezirksversammlung, hatte vor kurzem die Einrichtung besucht: "Ein ähnliches Angebot kann für die Hardcore-Trinker mehr als hilfreich sein."

Das Café Sofa wird vom Straßenmagazin "Hempels" mit der Stadt Kiel betrieben. Frauen und Männer, die sich sonst in der Innenstadt betrinken würden, können sich werktags dort in den Räumlichkeiten in der Zeit von 9 Uhr an bis 15 Uhr aufhalten. Ihren Alkohol, Bier und Wein, müssen sie mitbringen. Grölen, Gewalt und Randale sind verboten. 60 bis 80 Personen gehen regelmäßig dorthin, setzen sich dann auf die Plastikstühle an den einfachen Tischen - und trinken. Hinter dem Tresen stehen ehemalige Alkoholabhängige, zwei Sozialarbeiter bieten den "Gästen" Hilfe an - wenn sie wollen. Denn 2003, als der Trinkraum eingerichtet worden ist, galt es primär, die Klientel aus den Innenstädten herauszulocken und ein Auge auf sie zu haben, nicht ihnen Wege aus der Sucht aufzuzeigen. "Viele wollen einfach nur in Ruhe trinken. Das muss man aushalten können. Verfolgende Sozialarbeit - das gibt es hier nicht", sagt Manfred Wagner, Leiter des Amtes für Wohnen und Grundsicherung der Stadt Kiel.

Dass diese Rechnung so einfach aufgeht und es tatsächlich keine Trinkerszene zwischen Kieler Sophienblatt und Hafen mehr gibt, damit hatte man nicht gerechnet. "Das Projekt ist ein großer Erfolg, wir erreichen viele Abhängige mit unserem niedrigschwelligen Angebot", sagt Reinhard Böttner, Geschäftsführer von "Hempels". Warum das so ist, darüber geben Umfragen Aufschluss, die die Stadt in Auftrag gegeben hatte. "Viele Alkoholabhängige fühlen sich in einem geschützten Raum ohne neugierige Blicke akzeptierter und weniger einsam", berichtet Behördenvertreter Wagner. Einige hätten sogar schon den Absprung geschafft. "Die haben auch von einer Art regelmäßigem Tagesablauf profitiert, wollten irgendwann mehr, als sich täglich zu besaufen."

Bislang ist das Café Sofa die einzige Einrichtung in Deutschland, in der man die Trinker sie selbst sein lässt. "Es bestehen viele Bedenken", so Wagner. Ordnungspolitikern sei das ganze suspekt. Betreutes Saufen wie in Kiel, das könne man nicht dulden. "Sozialpolitiker sagen, dass man den Alkoholikern unbedingt helfen müsse. Sozialarbeit, die aufgezwungen wird, bringt aber keine Erfolge. Diese Erfahrung hatten wir hier ja jahrelang gemacht", so Wagner. Hamburg-Mittes Bezirksamtsleiter Markus Schreiber hat Wagner allerdings überzeugt. Er hat sich den Kieler Trinkraum angeschaut und will sich bei der Behörde für Soziales über Realisierung und Finanzen informieren. "Wenn wir immer wieder versuchen, die Trinkerszenen durch Platzverweise aufzulösen, siedelt sie sich woanders an. Probleme müssen sinnvoll angegangen werden", so Schreiber.

Die Entscheidung über den Trinkerraum muss die Bezirksversammlung treffen

Trinkhallen einrichten will er eher jenseits der Elbe auf St. Pauli und in Billstedt. Im Hamburger Süden habe eher Harburg ein großes Alkoholiker-Problem, heißt es aus seiner Verwaltung. Und dort tut man sich schwer mit der Kieler Lösung. "Die Idee ist gut. Man muss prüfen, ob die Verhältnisse dort auf Harburg zu übertragen sind und ob bestehende Hilfsangebote für Alkoholiker integrierbar sind", sagt Harburgs Sozialdezernent Holger Stuhlmann. Es sei auch eine politische Entscheidung, die die Bezirksversammlung treffen müsste. Ralf Dieter Fischer, Chef der CDU-Fraktion, lehnt den Trinker-Treff ab: "Das entspricht nicht christlichen Grundsätzen. Man kann diese Menschen doch nicht einfach in einem Saufraum abstellen." Argumente, die dem Kieler Dezernenten allzu bekannt vorkommen. Er schüttelt den Kopf: "Wir werden in einigen Tagen einen zweiten Trinkerraum eröffnen." In einer ehemaligen Eckkneipe.