Ingeborg Helms hat für die deutsche Jakobusgesellschaft das ursprüngliche norddeutsche Wegenetz wieder entdeckt und pilgert mit.

Stade/Lüneburg/Winsen. "Hier werden wir lang gehen", sagt Ingeborg Helms und fährt mit dem Finger den Weg auf der Landkarte nach. "Ich empfehle etwa 20 Kilometer am Tag. Das schafft man. Jedenfalls, wenn man gute Wandersocken anhat." Die 73-Jährige lacht. Jetzt, in den Tagen nach Ostern, beginnt sie wieder, die Pilgersaison. Für einige der Pilgerwege in Norddeutschland ist Ingeborg Helms verantwortlich. Die pensionierte Architektin hat vor vier Jahren für die deutsche Jakobusgesellschaft Teilstücke der Via Jutlandica und der Via Baltica, norddeutsche Teilstrecken des europäischen Pilger-Streckennetzes, freigelegt. Seitdem geht sie diese Wege jedes Frühjahr.

Darauf freut sie sich dieses Mal ganz besonders. 2010 ist heiliges Compostelanisches Jahr. "Das wird immer dann ausgerufen, wenn der 25. Juli, der Geburtstag des Heiligen St. Jakobus, auf einen Sonntag fällt", erklärt Ingeborg Helms. Ein wichtiges Ereignis, nicht nur im spanischen Santiago de Compostela, einem der bedeutendsten Wallfahrtsorte christlicher Pilger.

"Gruppen aus ganz Europa wollen erstmalig Pilgerstäbe nach Santiago de Compostela tragen, mehr als 20 000 Kilometer weit, über das europäische Wegenetz. Und das führt mitten durch unsere Region", erzählt Ingeborg Helms stolz.

Daran, dass die Pilgerstäbe aus Dänemark und Schweden Spanien erreichen, wird sie sogar maßgeblich beteiligt sein.

"Ich starte am 7. Mai in Wedel", sagt Ingeborg Helms und tippt mit dem Finger auf das Städtchen nahe der Elbe. Vier Frauen aus dem Netzwerk der Soroptimisten Norddeutschland wollen sie begleiten. "In Wedel übernehmen wir den dänischen Stab und ein goldenes Buch. Einen Tag später treffen wir in Harsefeld eine andere Gruppe, die uns den schwedischen Stab übergibt." Weiter geht es nach Heeslingen, über Zeven, Otterstedt, Ottersberg, Fischerhude und Borgfeld: Rund 148 Kilometer in sechs Tagen. Ingeborg Helms kümmert sich um die Unterkünfte, meist Doppelzimmer in kleinen Pensionen.

Eine anstrengende Tour. "Natürlich, für Ungeübte schon", räumt Ingeborg Helms ein, "aber auch wunderschön. Wir gehen an duftenden Rapsfeldern vorbei, durch beschauliche Dörfer und dichte Laubwälder." Wer möchte, kann sich der Gruppe anschließen. Pilger-Experte muss dafür keiner sein. "Jeder kann für sich entscheiden, ob er nur ein Teil des Weges mit geht oder Zeit, Kraft und Lust für den ganzen Weg hat", erklärt sie. Am 12. Mai möchte sie die Stäbe in Bremen an die nächste Gruppe übergeben.

Ingeborg Helms aus Stade hatte mit dem Pilgern im Frühling 2004 angefangen. "Ich war zu der Zeit total überarbeitet, hatte schlimme Hüftbeschwerden", erinnert sie sich. In einer Bücherei entdeckte sie zufällig das Pilgerbuch: "Mit dem Esel auf den Himmelspfaden". Eineinhalb Monate später war sie selbst unterwegs, auf dem Jakobsweg in Frankreich - zehn Wochen lang. Damals war sie 67 Jahre.

Zurück in Deutschland ließ das Thema sie nicht mehr los. Warum muss man erst Hunderte Kilometer zurücklegen, um losgehen zu können? "Vor der Reformation im 16. Jahrhundert hatte es auch Pilgerwege in Norddeutschland gegeben, Anschlusstücke zwischen Skandinavien und dem Süden. Nur, keiner ist die Wege mehr gegangen, so wurden sie vergessen." Im Auftrag der Deutschen Jakobusgesellschaft forschte sie im Stader Stadtarchiv nach den mittelalterlichen Pilger-Orten. "Natürlich gab es die Wege zwischen den Orten so nicht mehr - Häuser wurden gebaut, Straßen angelegt. "Also bin ich losgegangen und habe neue Verbindungs-Wege zwischen den Orten gesucht", erinnert sich Ingeborg Helms. Diese kennzeichnete sie mit Aufklebern auf Laternenpfählen: Eine gelbe Muschel auf blauem Grund soll den Pilgern die Richtung weisen.

Aber ist das Pilgern in Deutschland überhaupt mit den Erlebnissen in Frankreich und Spanien vergleichbar? "Unbedingt", Ingeborg Helms nickt, "die Strecken haben eine ebenso lange Tradition. Pilgern in der eigenen Region hat für Anfänger sogar Vorteile", betont sie. "Wer müde wird oder von Blasen geplagt wird, kann schnell wieder nach Hause." Beim Pilgern gehe es darum, einfach loszugehen. So komme man irgendwann zu sich selbst. Dieser Effekt trete in Deutschland genauso ein wie in Spanien. "Außerdem: Hat man einmal sein selbst gestecktes Ziel erreicht, möchte man sowieso weiter machen." Und das heißt? "Richtung Santiago de Compostela pilgern", sagt Ingeborg Helms und faltet ihre Landkarten zusammen. Für sie geht es in wenigen Wochen wieder los.