Die 250 Angehörigen der syrisch-orthodoxen Kirche wollen in Sinstorf ihre religiöse Heimat finden.

Sinstorf. Der weiße Kalksandstein-Staub liegt überall in der syrisch-orthodoxen Kirche der Gemeinde St. Maria und St. Shmuni an der Winsener Straße 187. Im hellen Sonnenlicht, das durch die Fenster ins Innere des Gotteshauses fällt, sind die feinen Partikel besonders gut zu sehen. Auch auf Pfarrer Moses Dogans schwarzer Priesterkleidung. "Wir haben gerade frisch verputzt, außerdem müssen die Ornament-Steine zum Einsetzen zurechtgeschnitten werden", sagt er.

Bereits seit 2007 sind er und viele Gemeindemitglieder dabei, aus einem etwa 1000 Quadratmeter großen ehemaligen Fitness-Center eine Kirche zu bauen - größtenteils in Eigenarbeit und mittels Spenden. 395 000 Euro hat Kassenwart Simon Johansen ordentlich in seinem schwarzen Notizbuch aufgelistet. Geld, das von den 250 Mitgliedern der Gemeinde St. Maria und St. Shmuni stammt, aber auch von katholischen und evangelischen Einrichtungen sowie von orthodoxen Schwestergemeinden. Trotzdem sind die Finanzen knapp. Kirchenbänke, Taufbecken und viele andere Bauarbeiten müssen noch bezahlt werden. "Um Geld zu sparen, machen wir viele Bauarbeiten selbst", sagt Aziz Acan, Vorstandsvorsitzender der Gemeinde St. Maria und St. Shmuni. Wie viele Stunden er schon mit mauern, verputzen und streichen verbracht hat, weiß er nicht. Immer, wenn der Schlosser Feierabend auf der Sietas-Werft hat, kommt er zu "seiner" Kirche und packt kräftig mit an. Er ist stolz darauf, dass der Gemeinderaum in der unteren Etage so gut wie fertig ist. "Hier befand sich eine Büroetage. Wir mussten alles entkernen", sagt Vorstandsmitglied Zeki Aydin. Bis die Arbeiten am Kirchenraum abgeschlossen sind, finden hier die Gottesdienste statt. Vor kurzem wurden die Stühle geliefert. An einigen klebt noch die Verpackungsfolie. Die Industrie-Küche, ein Geschenk des Hamburger Spendenparlaments, wird oft genutzt, wenn die Bauarbeiter mal pausieren und sich Mahlzeiten zubereiten. Aber auch für Treffen der Gemeindemitglieder, die alle im Hamburger Süden leben, und für ökumenische Veranstaltungen wird sie gebraucht. "Außerdem können katholische und evangelische Christen ihre Trauerfeiern hier abhalten, wenn sie es wünschen", sagt Pfarrer Moses. St. Maria und St. Shmuni will gastfreundlich sein. Und Vorurteile abbauen. "Am Anfang waren viele Sinstorfer schon misstrauisch. Die haben halt Ausländer ein- und ausgehen sehen und befürchteten, dass eine Moschee gebaut wird", so Aydin. Doch als Acan und andere Kirchenmitglieder Glocke und Kreuze auf den First montierten, sei die Nachbarschaft beruhigt gewesen. Viele Harburger haben die Veranstaltung Nacht der Kirchen genutzt, um sich das Bauwerk mit den Kuppeltürmen anzuschauen. Gut, dass der Altar dann fertig war. Groß und aus massivem Kalksandstein steht er am Kopf des Kirchenschiffes, üppig verziert mit orientalischen Ornamenten, Ranken und Trauben. Auch Beichtraum und Taufpagode tragen Schmucksteine, ruhen auf dicken Säulen, ebenfalls mit Ranken versehen. Wer länger in der Kirche weilt, wähnt sich in einer anderen Welt, trotz der vielen Werkzeuge, die in der Mitte des Raumes auf großen Tischen auf ihren Einsatz warten. Demnächst werden die Friedenstauben aus Basalt, die auf einem Modell einer Kirchenbank ruhen, an vielen Stellen in der Kirche angebracht werden.

Pfarrer Moses erklärt den Altarbereich des Gotteshauses: "Vorne befindet sich das königliche Tor. Später wird hier ein Vorhang aufgehängt, dann kommen Ikonen, die die vier Evangelisten zeigen, in die runden Aussparungen." Er kann es kaum erwarten, hier Gottesdienste abzuhalten und sich während seiner Gebete gen Osten zu richten, wie es üblich ist bei den Aramäern.

Acan kennt jedes Fragment der Steinpakete, denn vor einem Jahr ist er in die Osttürkei gereist, um einen Steinmetz aufzutreiben, der die Ornamentbögen und -platten für die Gemeinde anfertigt. Jeder Stein ist aus dem türkischen Tur Abdin-Gebirge herausgehauen und bearbeitet worden. Nun werden die Bögen und Quader zusammengefügt. Stück für Stück. Alles soll so authentisch wie möglich sein, wie in der Heimat der Gläubigen im Südosten der Türkei oder im Irak. Von dort aus flüchteten viele Aramäer nach Deutschland, weil sie aufgrund ihres christlichen Glaubens verfolgt wurden. Lange Zeit lebten sie inmitten von Moslems. Das ging nicht ohne Konflikte ab. Immer wieder kam es zum Bürgerkrieg. Viele Gläubige flüchteten nach Schweden, Deutschland und in die Vereinigten Staaten. "Aus unseren Kirchen sind in der alten Heimat Moscheen geworden", sagt Pfarrer Moses traurig. Ein religiöses Zentrum in ihrer Nachbarschaft zu haben, sei vielen Familien, die sich in Harburg angesiedelt haben, vielleicht gerade aufgrund der Erfahrung von Vertreibung und Verfolgung sehr wichtig. Deshalb soll in der neuen Kirche alles so authentisch wie möglich sein. "Schon Jesus hat mit seinen Jüngern aramäisch gesprochen. Die ersten christlichen Liturgien wurden in dieser Sprache abgehalten. Und auch die Kircheneinrichtungen haben sich seit den Anfängen des Christentums in syrisch-orthodoxen Gemeinden wenig verändert", sagt der Pfarrer.

Bevor die Gemeindemitglieder ihren Gottesdienst im Gebäude an der Winsener Straße abhalten konnten, waren sie in anderen Kirchengemeinden zu Gast. "Wir konnten erst am frühen Nachmittag in die Kirchen. Unsere Gottesdienste dauern teilweise bis zu drei Stunden. Danach war kaum Zeit für Familienleben oder andere Freizeitaktivitäten. Jetzt können wir über unsere Zeiteinteilung selbst bestimmen und stören niemanden", so der Geistliche. Er hofft, vielleicht im August die Einweihung der Kirche feiern zu können. Dann sollen auch die Tafeln mit den zehn Geboten fertig sein. In deutscher und aramäischer Sprache.

Wer Pfarrer Moses und St. Maria und St. Shmuni unterstützen möchte, kann spenden: Hamburger Volksbank, BLZ: 201 900 03, Kto.: 32 09 03 07