Vereinsvorstand Christoph Selke ist stolz darauf, die Werke des Bildhauers und Architekten in die Nordheide bekommen zu haben.

Buchholz. Ob ein Stuhl von Stefan Wewerka im heimischen Wohnzimmer auf die Dauer glücklich macht, sollte man ausprobieren: Mal stehen dessen Entwürfe nämlich nur auf drei Beinen, mal befinden sie sich in gefährlicher Schräglage, dann wieder erinnert ein Objekt wie zum Beispiel der "Aufseherstuhl", den Wewerka für die documenta anfertigte, an ein Mahnmahl in Beton gegossener Autorität.

Unweigerlich bekommt man das Gefühl: Dieser Mann muss das Schräge lieben, die Irritation des Normalen und irgendwie wohl auch die Beseelung unserer Dingwelt. In rot, gelb, grün stehen sie jetzt da in Buchholz: die berühmten "Krümmlinge" von Wewerka - zusammengekrümmte Stühle, die nur noch entfernt an Sitzgelegenheiten erinnern. Kunstvereinsvorstand Christoph Selke streicht stolz um sie herum.

Wo diese wertvolle Ladung aus Köln in seiner Wewerka-Ausstellung allerdings genau platziert werden soll, ist ihm noch nicht klar. Die Ausstellung steht noch nicht vor Augen. Das kommt erst in den nächsten Tagen, wenn Selke wie vor jeder Ausstellung Stunden um Stunden im Kunstverein verbringen wird und versucht, die Ausstellung zu verstehen. Irgendwann funktioniert es dann: "Es prickelt."

Stolz ist der Kunstvereinsvorstand, mit Stefan Wewerka einen so dicken Fisch nach Buchholz gelockt zu haben. Eigentlich stammte die Idee von dem Lüneburger Kunstsammler Rik Reinking, mit dem der kleine Kunstverein guten Kontakt pflegt, und der wiederum mit dem Architekten und Bildhauer Stefan Wewerka befreundet ist. Wewerka, mittlerweile über 80 Jahre alte, sagte zu: "Klar, das machen wir." Selke erzählt das fast ein bisschen überrascht über den eigenen Erfolg: Der Kunstverein Buchholz genieße mittlerweile wohl einen ziemlich guten Ruf.

In den weißen Räumlichkeiten in der Nordheide wird schon beim Aufbau und Sichten der Artefakte die Vielfältigkeit des Künstlers Stefan Wewerka klar. Doch da fängt es schon an: "Künstler". Wie sollte man diesen Allrounder nur am besten nennen? Architekt, Designer, Skulpteur, Filmemacher, Zeichner, Maler oder doch lieber Modemacher?

In Buchholz gibt es neben zwei obligatorischen Stuhlmodellen, "Classroom Chair" und "Krümmling", auch zwei Stahlskulpturen zu sehen, vier Originalzeichnungen, einige Radierungen, Aquarelle, eine holländische Flagge, die man per Reißverschluss teilen und verbinden kann und eine dem Dramatiker Heiner Müller gewidmete Münze: ein halbes fünf Markstück, das durch ein Scharnier mit einer halben DDR-Münze verbunden ist.

Doch nicht nur den großen Theaterregisseur Heiner Müller kannte Wewerka persönlich. Auch Beuys, Dieter Roth oder Hundertwasser kreuzten seinen Weg, um nur einige zu nennen, die auch zu Freunden und Ratgebern wurden. Der große Hans Scharoun war für den Architekten und Bildhauer so etwas wie eine Vaterfigur und ein rettender Engel, als er einst aus Paris nach Deutschland zurückkam, und es finanziell schwierig war: Drei Jahre arbeitete er in seinem Büro.

Blickt man auf Wewerkas Objekte, so fällt der Witz auf, den der Künstler seinen Formen und Objekten stets einhaucht - oft noch unterstrichen durch deren Namensgebung: Der "Vertreterstuhl" ist zum Beispiel devot gen Boden verbogen, deformiert. Oder es gibt im Oeuvre des Wewerka einen komplett schrägen Kamin, einen um 75 Grad geneigten Tisch. Ach ja, und der "M1", eine Art "demokratischer" Tisch, wäre natürlich auch noch da.

Der Tisch wurde wegen seiner Dreiecksform so genannt, die jeden am Tisch gleichberechtigt sitzen lässt. Die Dinge und entworfenen Objekte scheinen sich bei Wewerka in ihrer verdrehten und angeschrägten Form zu verneigen, manchmal so, als wollten sie sagen "ganz zu Diensten". Manchmal wiederum scheint es eher, als würden sie sich eigenwillig entziehen.

Mal ist ihre Funktionalität betont, dann wieder scheinen sie der Funktionalität komplett zu entsagen und präsentieren sich ganz spielerisch und in ihrem Eigensinn. Damit eröffnet Wewerka so etwas wie eine Sichtbarkeit der Dinge, die meist ja darin aufgehen, dass sie uns "zu Händen" sind, also einfach funktionieren. Im Werk Stefan Wewerkas blicken uns die Dinge an: überlegen, schön, ästhetisch - in sich ruhend, aber vielleicht nicht unbedingt zu benutzen.

Aus einer Künstlerfamilie stammt der 1928 Geborene: Sein Vater war der Bildhauer Rudolf Wewerka, Großvater und Onkel arbeiteten ebenfalls künstlerisch. Vielfältige Kreativität war Stefan Wewerka, dem bekennenden Hutträger, also mitgegeben: Er gestaltete das Bühnenbild für "Warten auf Godot" in Zürich. Ein Stück, das in seiner absurden Geste wohl komplett zum Eigensinn des kreativen Querdenkers passte.

Weitere Streiflichter seines vielfältigen Erfolges waren der Entwurf eines Barhockers für den Bonner Bundestag und die Gestaltung eines Pavillons für die documenta 8. Und überhaupt: wahrscheinlich wäre es einfacher zu listen, was Wewerka nicht gemacht hat, denn einige Kleidungsstücke gibt es von ihm, die er als Modedesigner zusammen mit der Firma Tecta realisierte.

Christoph Selke wird das Material für die Ausstellung, die am Sonntag eröffnet, noch ein wenig arrangieren. Spannend war die Beschaffung einiger Exponate schon: Ein Sammler aus Rausdorf stellte Teile seiner Sammlung zur Verfügung. Mitten auf dem platten Lande standen da mit größter Selbstverständlichkeit die schönsten Kunstwerke herum, zum Teil auch auf der Wiese. Skurril und aufregend, wie es zum Jubilar Stefan Wewerka passt.

Vernissage 31. Januar, 11 Uhr. Ausstellung bis 28. Februar. Di. - Fr. 16-8 und am Wochenende 11-17 Uhr. 28. Februar, 12 Uhr: "Reden über Kunst" - Dokumentarfilm über Stefan Wewerka. Kunstverein Buchholz, Kirchenstraße 6.