Kritikpunkt: Internationale Bauausstellung und Wohnungsgesellschaften treiben die Preise in die Höhe.

Wilhelmsburg. Die Stimmung schwankt. Einerseits fordern Bewohner Wilhelmsburgs schon lange Aufbesserungen im Stadtteil, legten im Jahr 2002 nach einer "Zukunftskonferenz" ein "Weißbuch" mit ihren Vorstellungen vor und bewirkten, dass Hamburgs Stadtentwicklungsprozess "Sprung über die Elbe" in Gang kam. Damit verbunden sind die beiden anstehenden Großprojekte internationale Gartenschau (igs) und internationale Bauausstellung (IBA) für das Jahr 2013. Inzwischen sind durch ein Förderprogramm bereits mehrere Hundert Studenten nach Veddel und Wilhelmsburg gezogen. Das Erscheinungsbild der Elbinseln verbessert sich zunehmend. Und Vermieter stellen verstärkt Nachfrage nach ihren Wohnungen fest. Das treibt bereits - insbesondere im baulich reizvollen Wilhelmsburger Reiherstiegviertel - die Mietpreise in die Höhe. Daraus ergibt sich wiederum ein Umdenken. Können sich alteingesessene Wilhelmsburger das Leben in ihrem Stadtteil in Zukunft noch leisten?

Eine Gruppe junger Menschen bezweifelt, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist. Im "Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg" (AKU) wurde eine 40-seitige Broschüre "Die Insel denen, die darauf wohnen!" erstellt, in der vor allem die Aktivitäten der IBA-Organisation und des Hamburger Wohnungsbauunternehmens SAGA/GWG kritisch betrachtet werden. Denn: Für bauliche Veränderungen (Sanierung, Modernisierung, Abriss und Neubau) werden Mietverträge gekündigt, Mieter umgesiedelt, soziale Strukturen im Stadtteil aufgelöst und neu geordnet. Arbeitskreis-Teilnehmer Michael Klatz (27), Stadtplanungsstudent an der HCU, und Christian Gatermann (37), Pädagoge bei der ASB-Jugendorganisation, sprechen von einer "unsozialen Wohnungs- und Aufwertungspolitik" und von einer "Ökonomisierung der Stadt". Klatz: "Die Stadt muss lebenswert bleiben und darf nicht Leuchtturmprojekten und Imagephantasien untergeordnet werden". Gatermann: "Die Stadt muss Wohnraum für ein würdiges und bezahlbares Leben bieten. Und Stadtteilkultur statt unbezahlbarer Elbphilharmonie." Sie bemängeln, dass viele Mieter vor Kündigung und Umsiedlung nicht über ihre Rechte aufgeklärt sind. Als Beispiel werden die laufenden Vorbereitungen für das IBA/SAGA-Wohnprojekt "Weltquartier" (Weimarer Straße) genannt. Insgesamt will der Arbeitskreis gegensteuern. Ab 7. Juni, von 16 bis 17.30 Uhr, jeden ersten Sonntag im Monat informieren, bei einem offenen Mietertreff in der BI, Rudolfstraße 5. Und am Sonnabend, 13. Juni, 14 Uhr, Jungfernstieg/Ballindamm, beteiligt sich der Arbeitskreis an einer Demonstration "Die Stadt gehört allen".

Die von den Arbeitskreis-Teilnehmern kritisierten Unternehmen - außer der SAGA auch die Wilhelmsburger Genossenschaft "Bauverein Reiherstieg" - zeigen Verständnis für aufkommende Ängste, sehen dafür aber keinen Anlass gegeben. SAGA-Sprecher Mario Spitzmüller: "Gerade in das IBA-Projekt Weltquartier/Weimarer Straße haben wir in beispielhaften Aktionen Mieter in Versammlungen gehört und ihre Ideen in die Planung einbezogen. Wir haben eine mehrheitliche Zustimmung für den Umbau erfahren. Sonst hätten wir gar nicht angefangen. Natürlich müssen die Mieter wegen des Umbaus ausziehen. Wir bieten ihnen Ersatzwohnungen nach Möglichkeit in der Nachbarschaft oder im Stadtteil. Aus unserer langjährigen Erfahrung wissen wir, dass nach einem Wechsel längst nicht alle Mieter wieder zurück in ihr früheres Quartier wollen. Wir bieten ihnen dazu aber die Gelegenheit. Und der Mietpreis für eine komplett auf den neuesten Standard modernisierte Wohnung wird netto/kalt 5,65 Euro pro Quadratmeter betragen. Das liegt deutlich unter dem Durchschnittswert von 6,53 Euro des Hamburger Mietenspiegels. Und ab Herbst wird sich der Abstand durch einen neuen Mietenspiegel sicherlich noch weiter vergrößern. Was wir bauen, bleibt bezahlbar nach Hartz IV-Vergaberichtlinien. Es geht an der Weimarer Straße auch kein Wohnraum verloren. Der Bestand an 820 Wohneinheiten wird durch Neubauten an Gert-Schwämmle-Weg, Neuhöfer Straße, Veringstraße gleich bleiben. Ansonsten werden die Wohnungsgrößen dem Bedarf angepasst, speziell für Familien und Singles, von Eineinhalb- bis Vier-Zimmer, 40 bis 90 Quadratmeter."

Die Baugenossenschaft Reiherstieg steht in der Kritik, weil sie in der Fährstraße Wohnungsmieten um 20 Prozent, der größtmöglichen Anhebung, erhöhte. Genossenschaftsvorstand Thorsten Schulz: "Nach fünfjährigen Investitionen ist eine Konsolidierungsphase notwendig. Von den Mieterhöhungen betroffen sind 70 unserer insgesamt 1375 Wohneinheiten. Die Erhöhung ist aufgeteilt in elf Prozent sofort und neun Prozent 2010. Es erfolgt eine Anpassung an den Mietenspiegel". Die Nettokaltmiete liegt nach Erhöhung bei sechs Euro pro Quadratmeter und damit unter dem Hamburger Schnitt."