Imposant ragt der mächtige Baum am Ufer der Seeve empor. Doch das Bild trügt. Immer mehr Bäume im Landkreis Harburg werden von einem Erreger befallen - vor allem an den Flüssen Seeve und Wümme.

Lüllau/Otter/Göttingen. Mit scharfem Blick schaut Förster Torben Homm (37) auf den mächtigen Baum, der am Ufer der Seeve steht. Ein Bild wie aus einem Bilderbuch: Kräftiger Stamm, dichtes Blattwerk, darunter plätschert das Flüsschen, am Ufer wächst die gelbe Wasserlilie und drum herum das Grün auf den Wiesen. Eine Idylle im Landkreis Harburg, zwischen Jesteburg und Lüllau. Aber leider nur eine scheinbare Idylle. Denn der Baum, der der Landschaft die Anmut verleiht, ist vielleicht krank. "Die Erle sieht noch kerngesund aus, aber vielleicht trägt sie einen Erreger in sich, der sie umbringen wird", sagt der Förster.

Torben Homm (37) ist Bezirksförster der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Er betreut 500 private Waldbesitzer in der Forstbetriebsgemeinschaft Forstverband Jesteburg sind - eine von fünf Forstbetriebsgemeinschaften im Landkreis Harburg. Wenn er in Sachen Erle unterwegs ist, sieht er in seinem Beritt immer mehr Bäume, denen es nicht gut geht. Bäume, die dem Tode geweiht sind. Denn sie sind von einem pilzähnlichen Erreger befallen: der Erlen-Phytophthora (Phytophthora alni). "Der Erreger verursacht eine Wurzelhalsfäule, die die Bäume zum Absterben bringt", sagt der Förster. Schütteres Laub und kleine gelbliche Blätter sind die ersten sichtbaren Hinweise. Dann bilden sich schwarze, oft nässende "Teerflecken" am Stammgrund und im unteren Stammbereich, die Rinde platzt. "Wenn man die Rinde an diesen Stellen vorsichtig abschält, werden orangerote bis bräunliche Verfärbungen des kambialen Gewebes und später zungenförmig ausgebildete, großflächig abgestorbene Rindenpartien sichtbar", sagt der Förster. Der Fachmann spricht von Nekrosen.

Hundert Meter von der scheinbar gesunden Seeve-Erle entfernt zeigt uns der Förster erkrankte Bäume: Die Rinde ist aufgeplatzt, die Blätter sind kleiner und nicht so satt grün, wie die der gesunden Erlenkollegen. "An der Wümme bei Otter und Todtshorn kann man schon Erlengerippe sehen", weiß Torben Homm.

Rainer Böttcher (62), Leiter der Abteilung Naturschutz/Landschaftspflege im Landkreis Harburg, zeigt sich denn auch ein wenig besorgt: "Die Erlen- Phytphthora tritt an vielen Gewässern immer stärker auf. Glücklicherweise hat sich der Erreger noch nicht in der Fläche ausgebreitet." Der Forstwissenschaftler Dr. Ulrich Bressem (53) von der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt in Göttingen, Abteilung Waldschutz, bestätigt: "In Niedersachsen sind schon viele Erlen an Fließgewässern von der Wurzelhalsfäule betroffen."

Erstmals beobachtet wurde der Erreger 1993 an der Schwarzerle in England, 1995 wiesen ihn Wissenschaftler auch erstmals in Deutschland nach. Mittlerweile ist die Erlen-Phytophthora in fast allen Bundesländern und in ganz Europa verbreitet. Der Erreger breitet sich vor allem entlang von Gewässerläufen in Fließrichtung aus. Und genau hier könnte auch auf den Landkreis Harburg ein großes Problem zukommen. "Sicherlich können wir das Problem nicht chemisch lösen", sagt Förster Torben Homm, "denn die meisten betroffenen Erlen stehen an Gewässern. Wenn diese Erlen abstürben, wäre das ein ökologischer Verlust für die Region, denn die Bäume sind wichtig für die Uferbefestigung." Der Göttinger Forstwissenschaftler Dr. Ulrich Bressem bestätigt: "Ein großflächiger Zusammenbruch von Erlensäumen an Fließgewässern hätte erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Ökologie der Gewässer."

Erlen bilden etwa ein Zwanzigstel des Baumbestandes im Landkreis Harburg. "Der Ausbruch dieser Erlen-Krankheit erfolgt sofort oder erst einige Jahre nach der Infektion", sagt der Förster. "Manche Bäume sterben dann schnell nach wenigen Monaten ab, manche erst nach mehreren Jahren."

Wie ist der Erle zu helfen? Wie kann der Schaden begrenzt werden? "Wir müssen verhindern, dass der Erreger durch Baumschulware verbreitet wird", sagt Dr. Ulrich Bressem. "Pflanzungen sollten wegen hoher Anfälligkeit der Erle nicht im Herbst, sondern nur im Frühjahr mit bestem Pflanzenmaterial und in bislang befallsfreien Bereichen durchgeführt werden. Erkrankte und gefällte Erlen sollten verbrannt werden."

Vielleicht rettet sich die Natur aber auch selbst: Wissenschaftler haben kranke Erlen gefällt - neben den Stümpfen treiben dann neue Stockausschläge aus der Wurzel. Förster Homm: "Bislang haben die neuen Triebe überlebt, aber es fehlt an Langzeitversuchen."