Der Sinstorfer Kantor Michael Thom erklärt die Königin der Instrumente und warum er sich zum Kirchenmusiker berufen fühlt.

Harburg. Die britische Nationalhymne gehört für viele zu den schönsten Hymnen der Welt. Sie klingt aber nicht nur beeindruckend, wenn sie von Tausenden Fans in einem Stadion inbrünstig gesungen wird, wie dieser Tage wieder bei der Fußball-EM in Polen und der Ukraine. Ein besonderes Hörerlebnis bietet "God Save The Queen" auch, wird die Hymne meisterhaft auf einer Orgel gespielt. Noch dazu in der ältesten Kirche Hamburgs am Sinstorfer Kirchweg 21.

Für Michael Thom, den Kantor der evangelischen Kirchengemeinde Sinstorf, ist die britische Hymne weit mehr als nur eine Fingerübung. Was schon deshalb eine unzutreffende Beschreibung ist, weil ja nicht nur die 64 Tasten der Manuale und 15 Register zu bedienen sind, sondern auch 32 Fußpedale. Nein, "Gott schütze die Königin" könnte sinnbildlich auch über der Beziehung Thoms zu seinem Instrument stehen. "Schon Mozart adelte die Orgel als Königin der Instrumente. Zieht man alle Register, entfaltet sie einen mächtigen, voluminösen Klang, die den Menschen dem Himmel ein Stück näher bringt", sagt der 34 Jahre alte Kirchenmusiker.

Seit September 2007 ist Thom Kantor der Kirchengemeinde Sinstorf. Und bezeichnet seinen Arbeitsplatz als "echten Glücksfall". Nicht nur, weil Stellen für Kirchenmusiker in Zeiten knapper Kassen rar gesät sind. "Vor allem deshalb, weil ich mein Hobby zum Beruf machen konnte. Und das auch noch in der Sinstorfer Kirche, die sich als Zentrum für klassische Kirchenmusik weit über die Grenzen der Stadt längst einen Namen gemacht hat", so Thom.

Immer wieder organisiert der engagierte Förderkreis Kirchenmusik Oratorien und Konzerte mit Werken aus allen Epochen der geistlichen Chorliteratur. Die werden nicht nur von namhaften Interpreten der Sparte wie Professor Wilfried Jochens gestaltet, auch von der jungen Kantorei, die Michael Thom leitet. Als er den Chor vor vier Jahren übernahm, zählte er gerade sechs Mitglieder. Heute sind es 20. Zur Gemeinde gehören überdies die Musiker der Sinstorf-Marmstorfer Kantorei unter Leitung von Steffi Gerken.

Einen besseren Ort für die Werke von Bach, Brahms oder Mendelssohn-Bartholdy könne er sich kaum vorstellen. Denn die Felsstein-Basilika aus dem frühen 11. Jahrhundert mit seiner Holzdecke und vielen Goldintarsien wartet mit einer ganz speziellen Akustik auf. "Es gibt faktisch keinen Nachhall. Deshalb ist hier beim Musizieren höchste Präzision vonnöten, weil dieser Raum alle Schwächen und Fehler eines Organisten gnadenlos offenbart", erklärt Thom. Dennoch sei das Gotteshaus wegen seines "reinen Klangs" und seiner guten Atmosphäre bei CD-Produktionen immer wieder nachgefragt.

Die Orgel aus dem Jahr 1976 ist das letzte Werk des Hamburgers Rudolph von Beckerath. Der renommierte Orgelbauer hat das Instrument mit seinen 960 Pfeifen aus Holz und Metall in seiner Werkstatt zwar noch selbst intoniert, verstarb jedoch noch vor dem Einbau in Sinstorf. Thom: "Die Orgel zählt sicher nicht zu den prächtigsten ihrer Art, sie ist aber von hoher handwerklicher Qualität."

Für die Güte der Musik sei letztlich aber immer der Organist selbst verantwortlich, so Thom. Ohne innere Haltung keine Leidenschaft, habe der Franzose Daniel Roth, einer der bedeutendsten zeitgenössischen Organisten, einmal gesagt. Thom: "Eine Orgel verlangt dem Musiker viel ab. Sie ist schwierig und ernst zugleich." Wer sich nicht quälen könne, dem verweigere sich das unglaublich komplexe Instrument regelrecht: "Es zu spielen, muss Passion sein, sonst kannst du die Zuhörer nicht erreichen, in ihnen nichts bewegen."

So sitzt Michael Thom Tag für Tag bis zu vier Stunden an Klavier oder Orgel. Dabei schienen die Weichen in eine ganz andere Richtung gestellt. In Anklam nahe Usedom vor dem Mauerfall geboren, bestanden die Eltern nämlich auf einer Ausbildung zum Elektroinstallateur. Doch ohne rechte Perspektive im postsozialistischen Vorpommern, zog es ihn nach Hamburg, wo er auf der Schanze als IT-Kaufmann sein Geld verdiente. Bis er mit 28 endlich seiner wahren Berufung folgte und an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater Kirchenmusik studierte.

"Wir waren in meinem Studiengang nur zu zweit. Und ich wusste, dass es nach dem Abschluss schwierig werden würde, eine Stelle zu finden", sagt der Vater der siebenjährigen Elisa. Dennoch sei es die richtige Entscheidung gewesen. Michael Thom: "Die großen Werke der Kirchenmusik gehören zu unserer Tradition. Sie zu bewahren und weiter zu geben, ist eine wichtige und schöne Aufgabe."