Joachim Jens Hesse: Ein wirtschaftlich starker “Superlandkreis“ könnte das gesamte Land stützen. Landräte lehnen eine Zusammenlegung ab.

Winsen/Stade. Der renommierte Politik- und Verwaltungswissenschaftler Prof. Dr. Joachim Jens Hesse schlägt vor, aus den beiden Landkreisen Harburg und Stade einen einzigen Landkreis zu bilden. Im Auftrag des niedersächsischen Innenministeriums untersucht er die Möglichkeiten, die Kommunalstrukturen in dem Bundesland zu stärken. In der Fortschreibung seines Gutachtens aus dem Jahr 2010 ist der Wissenschaftler jetzt zu dem Ergebnis gekommen, dass ein wirtschaftlich starker Superlandkreis im Süden Hamburgs das gesamte Land stützen könnte.

In seinem Ausgangsgutachten hatte sich Hesse darauf konzentriert, durch den Zusammenschluss kleiner Kommunen, neue überlebensfähige Gebietskörperschaften zu schaffen. Der Verwaltungswissenschaftler sieht dazu in 20 von 37 niedersächsischen Landkreisen und in vier von acht kreisfreien Städten Handlungsbedarf. Seiner Ansicht nach stehen die meisten Kreise und Gemeinden in dem Bundesland vor "gravierenden hauswirtschaftlichen Problemen". Ursachen dafür seien Strukturschwächen, zu geringe Einwohnerzahlen und Randlagen.

Neu ist die Idee, die auch allein als wirtschaftlich stark geltenden Landkreise Harburg und Stade zusammenzuschließen. Hesse hält offenbar ein niedersächsisches Zentrum im Süden Hamburgs für sinnvoll, um das Bundesland insgesamt zu stärken. Dazu bringt der Experte vom Internationalen Institut für Staats- und Europawissenschaften in Berlin auch die Option ins Spiel, Lüneburg - nach Eingemeindung von Umlandgemeinden - als kreisfreie Stadt und starkes niedersächsisches Zentrum zu positionieren.

Die Vorschläge Hesses im weiterentwickelten Gutachten zu den Kommunalstrukturen in Niedersachsen sind so neu, dass sie noch nicht Thema in den Kreistagen in Winsen und Stade waren. Auch der Landtag hat sich noch nicht damit befasst. Bisher haben nur einige wenige Landtagsangeordnete eine Zusammenfassung der wesentlichen Inhalte und Ergebnisse erhalten.

In den Kreisverwaltungen in Winsen und Stade stößt die Idee einer Fusion auf Ablehnung. In Gegensatz zu dem vom Land beauftragten Verwaltungsexperten sehen Stades Landrat Michael Roesberg (parteilos) und Harburgs Landrat Joachim Bordt (FDP) keinen Handlungsbedarf.

Scharf geht Roesberg mit dem Vorschlag ins Gericht. Das Gutachten bringe aus seiner Sicht wenig Neues, in einigen Punkten widerspreche es sich sogar. "Einerseits gehe die Untersuchung davon aus, dass der Landkreis Stade alle Kriterien für die Zukunft erfüllt, anderseits favorisiert sie eine Zusammenlegung der beiden Landkreise." Besonders kritisch sieht Roesberg den Gedanken, mit einem sogenannten "Kragen-Landkreis" Front gegen Hamburg zu machen. "Wem soll das nützen?", fragt er. Das widerspreche allen bisherigen Bemühungen, in der Metropolregion enger zusammenzuarbeiten. Ebenso wenig hält er von der Idee, einen großen Landkreis mit Cuxhaven im Elbe-Weser-Dreieck zu bilden.

Ähnlich ist die erste Reaktion aus dem Kreishaus in Winsen. Landrat Joachim Bordt hat die Abteilungsleiter bereits kurz über das fortgeschrieben Hesse-Gutachten informiert. Eine Fusion, heißt es dort, sei wenn überhaupt erst eine Option für die ferne Zukunft. Erst wenn eine Gebietsreform für ganz Niedersachsen anstehe, käme ein Zusammenschluss der Landkreise Harburg und Stade in Betracht.

Dafür gebe es aber zurzeit keinen Ansatz, sagt Kreissprecher Georg Krümpelmann. Der Landkreis Harburg sei optimal aufgestellt. Aus Sicht der Bürgernähe und der Teilhaberechte wäre ein solcher Landkreis, der beinahe von der Nordsee bis nach Lüneburg reichen würde, alles andere als sinnvoll. "Das wäre ein Moloch", sagt Krümpelmann.

Hesse selbst hält in seinem Gutachten die Bildung von nur acht bis zwölf Großkreisen in Niedersachsen für nicht sinnvoll. Theoretisch hätte das Land aber das Recht, eine so radikale Gebietsreform "von oben" durchzusetzen.

Der CDU-Landtagsabgeordnete Heiner Schönecke aus dem Landkreis Harburg lehnt eine solche Strukturreform mit nur zehn Großlandkreisen ebenso ab wie eine Fusion der Landkreise Stade und Harburg. "Das ist Gigantonomie. Ich erkenne aber an, dass es Änderungsbedarf in Nordostniedersachsen gibt."

Der Verwaltungsexperte Hesse reihe in seinem Gutachten "richtige Tatsachen" aneinander, aber die Schlussfolgerungen widersprächen sich teilweise, kritisiert Schönecke. Er vermisse eine Aussage zur Struktur der kommunalen Spitzenverbände. Landkreistag, Deutscher Städtetag und Städte- und Gemeindebund konkurrierten miteinander. Schönecke schlägt vor, aus drei Verbänden einen starken zu machen. "Wir müssen zu einem Sprachrohr der kommunalen Ebene kommen."

Eine Fusion der beiden Landkreise ist aus seiner Sicht nicht notwendig. Es sei aber vorstellbar, die Zusammenarbeit auszubauen, zum Beispiel bei der Entwicklung der Fachhochschullandschaft oder bei der Kooperation der Krankenhäuser. Wegen der prognostizierten sinkenden Schülerzahlen sieht Schönecke noch anderen Handlungsbedarf: Kreisgrenzen sollten kein Hindernis mehr für den Schulbesuch sein.