Bewohner der Elbinsel fühlen sich zu Hause und in der Arbeit von Emissionen der Nordischen Oelwerke - der “Katzenkocherei“ - belästigt.

Wilhelmsburg. Es stinkt auf der größten Flussinsel Europas. Und das stinkt immer mehr Wilhelmsburgern. Der Geruch ist draußen wie drinnen wahrzunehmen. Viele Wilhelmsburger beschreiben ihn als süßlich-klebrigen Geruch, den sie als unangenehm empfinden. Alle Wilhelmsburger, die den Geruch wahrnehmen, wollen, dass der unangenehme Gestank aufhört, weil er das Wohlbefinden in den eigenen vier Wänden oder am Arbeitsplatz mindert.

Der Geruch geht aus von einer Fabrik am Veringkanal - viele Wilhelmsburger nennen diese Fabrik "Katzenkocherei". Am 10. Oktober 1921 wurde der Grundstock für das Unternehmen gelegt. Die richtige Firmierung dieser Fabrik an der Industriestraße 61-65, Ecke Neuhöfer Straße, lautet Nordische Oelwerke Walther Carroux GmbH & Co. KG (NOW). 33 Menschen arbeiten bei den NOW. Sie verarbeiten nach Firmenangaben pflanzliche Öle und Fette und gewinnen daraus destillierte Fettsäuren und pharmazeutisches Glycerin.

Es stinkt nicht immer in Wilhelmsburg und nicht überall. Die Gerüche, die von den Nordischen Oelwerken ausgehen, sind mal mehr, mal weniger intensiv. Ob es stinkt, hängt vor allem von der Windrichtung ab: Weht der Wind von Ost, ist meist nichts zu riechen im Reiherstiegviertel. Weht der Wind von West, kann ein Gebiet, das vom Vogelhüttendeich bis zum Krankenhaus Groß-Sand reicht und Richtung Osten bis zur Wilhelmsburger Reichsstraße, vom NOW-Mief befallen sein.

Das Hamburger Abendblatt hat sich am Donnerstag, 12. Mai, selbst vor Ort einen Geruchseindruck verschafft. Wir parken um 17 Uhr am Veringkanal an der Neuhöfer Straße und öffnen die Autotür. Sofort erfüllt ein unangenehmer, süßlich-penetranter Geruch das Autoinnere. Wir gehen am Kanal entlang - es stinkt die ganze Zeit.

Um 17.30 Uhr treffen wir uns auf dem Puhsthof an der Neuhöfer Straße mit 27 Wilhelmsburgern, die alle eines riechen: "Es stinkt!" Der Puhsthof liegt rund 200 Meter östlich der Nordischen Oelwerke, hier arbeiten und leben rund 200 Wilhelmsburger und Menschen aus der ganzen Metropolregion Hamburg. Bewohner des Puhsthofes hatten sich im Juli 2009 an das Hamburger Abendblatt gewandt und ihren Unmut über den "unerträglichen Gestank" kundgetan. Vier Bewohner hatten beim Wilhelmsburger Polizeikommissariat Strafanzeigen wegen Körperverletzung gestellt. Das Ermittlungsverfahren liegt noch immer bei der Staatsanwaltschaft.

Der Stahldesigner Felix Hellenkamp, 50, arbeitet seit 26 Jahren auf dem Puhsthof, er lebt in der Veringstraße in Höhe der Neuhofer Straße. Sein Ermittlungsverfahren wird seit dem 14. Oktober 2009 unter dem Aktenzeichen 7400 Js 746/09 geführt. "Nichts ist seitdem passiert", sagt Felix Hellenkamp. Manchmal rieche es "nicht unangenehm nach Raps", manchmal "nach Klärgrube", das sei "zum Kotzen". Hellenkamp schätzt, dass er "die Katzenkocherei gut 200 Mal im Jahr" rieche, "bei Westwind immer, auch im Gebäude".

Alptekin Bozkurt, 38, Mitarbeiter der Honigfabrik, riecht in seinem Büro häufig einen "eklig-süßlichen Geruch", die Volkskunde-Studentin Anne Leutloff, 29, aus der Veringstraße nimmt seit vier Jahren Gerüche "von verwestem Fleisch und Tierkadavern" wahr, manchmal rieche es auch "süßlich" oder "nussig". Myriam Jah, 39, wohnt und arbeitet auf dem Puhsthof, sie hat drei Kinder. "Manchmal ist mir regelrecht schlecht, und ich kann mich nur schlecht konzentrieren." Niels Jensen, 42, Geschäftsführer des Schiffsausrüsters Vquipu GmbH sagt, "es riecht durchschnittlich zwei Tage in der Woche fäkal, total Appetit hemmend".

Ulli Haupt, 50, arbeitet bei Otto Meyer, gleich neben den NOW. Er wohnt in Kattendorf, 55 Kilometer entfernt, und wollte ins Reiherstiegviertel ziehen. "Wegen des Miefs habe ich Abstand davon genommen. Der Geruch bei meinem Bauern ist eine Wohltat gegen den NOW-Gestank. Ich entschuldige mich oft schon vorher bei unseren Kunden, weil viele denken, wir haben fünf tote Ratten unterm Regal liegen."

Als "geruchsemittierende Betriebe" hat ein 32 Seiten starkes bislang nicht veröffentlichtes Gutachten des TÜV Nord Umweltschutz vom 13. Februar 2009 "im wesentlichen" sechs Wilhelmsburger Betriebe ausgemacht. Im Untersuchungsgebiet selbst liegen nur die NOW: im Westen des dicht bewohnten Reiherstiegviertels. Das Gutachten trägt den Titel "Geruchsmessung nach der Geruchsimmissions-Richtlinie im Stadtteil Wilhelmsburg (westlich der Wilhelmsburger Reichsstraße)"; Auftraggeber ist die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt.

Am stärksten stinkt es auf der Elbinsel genau in jenem Abschnitt, in dem die NOW liegen. Bereits rund 200 Meter von den NOW entfernt leben Menschen. Hier beträgt der Wert 0,48 - der Höchstwert in Wilhelmsburg -, östlich davon 0,35 und nördlich davon 0,33. Die höchstzulässige Geruchsimmission laut der Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) beträgt 0,1 (das entspricht zehn Prozent der Jahresstunden) für Wohn- und Mischgebiete, 0,15 für Gewerbe- und Industriegebiete. Resümee: "Die für eine städtebauliche Rahmenplanung zu ermittelnde Kenngröße für die Geruchsbelastung beträgt auf der geringsten belasteten Beurteilungsfläche 0,17. Nach GIRL wäre damit die Ansiedlung von neuer Wohnbebauung auf keiner der begangenen Flächen möglich."

Der NOW-Geschäftsführer Christian Halfmann, 45, sagt: "Eine geruchsneutrale Produktion ist nicht möglich - nicht nur bei den Nordischen Oelwerken, sondern auch bei keiner Bäckerei oder Mälzerei." Er sagt auch: Die NOW hätten binnen zwei Jahren einen "zweistelligen Millionenbetrag" investiert - "das wird sich in weniger Geruchsemissionen niederschlagen".

Morgen lesen Sie, wie die NOW die Gerüche minimieren und mit der Internationalen Bauausstellung zusammenarbeiten will.