900 Besitzer des Kultmotorrades aus Europa treffen sich in der Winsener Elbmarsch

Drage. Die Dauercamper nebenan waren besorgt - ob kreischender Motorenlärm und rüpelige Rocker die Szenerie am beschaulichen Stover Strand bei Drage beherrschen würden? Das hat sich manch einer von ihnen in den vergangenen Tagen gefragt. Doch schnell kann Entwarnung gegeben werden. Die angereisten Biker gehören nicht in die Kategorie der Krachmacher, vielmehr erweisen sich die Goldwing-Fahrer als freundliche, friedliche Menschen.

Kein Wunder, schließlich sind die meisten von ihnen schon im eher gesetzten Alter - der Durchschnitt der "Goldwinger" liegt bei rund 50 Jahren, wie Burkhard Wedell (52) aus Hannover, der Präsident der deutschen Dachorganisation Goldwing Föderation Deutschland (GWFD), verrät. Die GWFD hat zum internationalen Treffen auf dem Campingplatz an der Elbe eingeladen - rund 900 Fahrer mit ihren Honda-Goldwing-Maschinen sind aus 17 europäischen Ländern von Schottland bis Rumänien, von Schweden bis Portugal hergekommen.

Die 650 Kilometer Anreise aus seiner schwedischen Heimat entlocken Jan Erik Nilsson nur ein Lächeln, schließlich nimmt der 56-Jährige regelmäßig an Treffen wie dem in Drage teil. Die weiteste Strecke führte ihn über 3600 Kilometer nach Spanien und 3600 Kilometer wieder zurück. 1975 kaufte er seine erste Goldwing - und gehört damit zu den Fahrern der ersten Stunde: In eben jenem Jahr hatte Honda das große Reisemotorrad erstmals auf den Markt gebracht (siehe Info-Kasten). Inzwischen ist Jan Erik mit Goldwing Nummer fünf kreuz und quer durch Europa unterwegs.

Der Zusammenhalt in dieser Szene, die Freude am Reisen und an den Kontakten mit Gleichgesinnten aus ganz Europa sind es, die ihn an seinem Hobby faszinieren. Genauso geht es Andrea Neas. Die 39-jährige Immobilienexpertin aus Prisdorf in Schleswig-Holstein bildet mit ihrer Goldwing eine attraktive Einheit ganz in weiß. Zur hellen Lederkluft kommt die Lackierung ihrer Maschine im gleichen Farbton, für die Ehemann Werner (49) in vierwöchiger Arbeit zuständig war. Überhaupt steckt viel Individualität in den Maschinen, hat Andrea festgestellt. Hier mal etwas mehr Chrom, dort noch ein Plüschtier auf dem Gepäckträger - "jede ist ein Einzelstück", sagt sie.

"Ein sehr angenehmes und entspanntes Fahren" sei es mit der Goldwing, benennt die Schleswig-Holsteinerin die Vorzüge ihrer Maschine. Auch stundenlange Touren seien mühelos machbar, die oft nur unterbrochen werden, weil die Tankuhr mal zu einem Stopp an der Zapfsäule auffordert. Weil Andrea und Werner dem norddeutschen Goldwing-Club "Funrider" angehören und sich in der Gegend gut auskennen, machen sie auch bei der Organisation mit. Ob bei der Einschreibung der Teilnehmer oder bei Ausfahrten während des fünftägigen Treffens - geholfen wird gern, schließlich sind die Goldwinger so etwas wie eine große Familie ohne nationale oder soziale Schranken.

Vom Handwerker bis zum Konzerngeschäftsführer reicht die Palette der beruflichen Hintergründe. Ganz ohne Bares geht es nicht: Das Hobby setzt in der Regel ein gut gefülltes Bankkonto voraus - Neufahrzeuge kosten mehr als 28 000 Euro. Allerdings gebe es auch schon gepflegte Gebrauchte für 4000 Euro, berichtet Präsident Wedell. Wer einmal auf Goldwing abgefahren ist, der bleibt treu - und hält seine Maschine liebevoll in Schuss. Motorleistungen von 300 000 Kilometern sind keine Seltenheit. Der älteste Goldwinger sei ein 92-jähriger Holländer, sagt Burkhard Wedell. Doch auch 18-Jährige können das riesige Reisemotorrad schon fahren, dann muss der mächtige Motor allerdings auf bescheidene 34 PS gedrosselt werden.

Mit dabei ist auch Jean Pierre Maes (55) aus Belgien. Nach einem Unfall hatte er Probleme mit dem Gleichgewichtsempfinden. Auf zwei Rädern zu fahren, war nicht mehr möglich. Kurzerhand nahm er eine serienmäßige Goldwing und baute sie in einjähriger Arbeit zum dreirädrigen Trike um - Umkippen ausgeschlossen.

Mit Ehefrau, Hund und Freunden ist Jean Pierre derzeit durch Europa unterwegs - Treffen in seinem Heimatland, in Frankreich, Deutschland, Tschechien und weiteren europäischen Ländern stehen auf dem mehrwöchigen Reiseprogramm des Belgiers, der seit 24 Jahren Goldwing fährt und nach eigenen Worten der erste in Europa war, der eine dreirädrige Ausführung besaß.

Dass Goldwing-Fahrer kultivierte Menschen mit Stil sind, ist auch Andrea Neas wichtig. "Wir sind keine Rocker", versichert sie. Seit einem Jahr hat sie eine eigene Maschine, Ehemann Werner ist schon seit den 1980er-Jahren in der Szene dabei. Er hat mit den benachbarten Dauercampern auf dem Campingplatz am Stover Strand gesprochen, die anfangs in Sorge wegen möglicher Lärmbelästigung waren. Denen hat er vorgeführt, wie elegant und fast lautlos eine Goldwing über die Straße gleitet - und schon waren die Sorgen verflogen.