Würde man eine Umfrage machen, welche Viertel den Hamburgern am geläufigsten sind, Hoheluft-Ost landete wohl eher auf den hinteren Plätzen. Dabei zählt die Gegend zwischen Hoheluftchaussee und Lehmweg, Ring 2 und Eppendorfer Baum zu den begehrtesten - und stadtbildlich attraktivsten - der ganzen Stadt.
Und doch geht Hoheluft-Ost, ebenso wie sein ähnlich kleiner Nachbar Hoheluft-West, im Bewusstsein der Bürger zwischen den großen Nachbarn Eimsbüttel und Eppendorf gern mal verloren. Letztere haben klingende Namen, stehen für eine bestimmte Stadtkultur (Eppendorf für gediegenes, Eimsbüttel für alternativ-gediegenes Stadtbürgerflair) und blicken auf eine lange Historie zurück. Hoheluft-Ost hingegen ist als eigenständiger Stadtteil gerade mal gut 50 Jahre alt. In weiten Teilen wähnt man sich "gefühlt in Eppendorf", dann wieder "gefühlt in Eimsbüttel".
Modernes in historischem Ambiente
Hoheluft-Ost ist insofern ein Nahtstellen-Viertel. Und hat bei näherem Hinsehen doch einige bemerkenswerte Eigenheiten zu bieten. Gleich zwei der markantesten Orte finden sich am Falkenried vis-à-vis. Auf dem Gelände am Straßenbahnring, dessen Anfang und Ende den Falkenried kreuzt, wurde über viele Jahrzehnte ein Großteil der Fahrzeuge des Hamburger Nahverkehrs gebaut und instand gehalten. Die Fahrzeugwerkstätten Falkenried GmbH (FFG) hatte hier ihren Sitz. Von 1892 an wurden auf der zehn Hektar großen Anlage Pferdebahnwagen gewartet, 1894 entstand eine Straßenbahnfabrik, von 1968 an wurden hier U-Bahnen und Busse gebaut und repariert. 1999 wurde der Betrieb nach Hummelsbüttel verlegt. Vier Jahre später zogen die ersten Privatfirmen in das komplett neu gestaltete Areal.
Heute haben hier unter anderem RTL Nord, das Modeunternehmen Closed und der Küchentempel Cucinaria ihre Geschäftsräume, dazu Dutzende Agenturen, vor allem aus Werbung, Film und Neuen Medien. Das alte FFG-Gelände ist mit seinen Büros in historischem Ambiente ein Beispiel gelungener Modernisierung. Die Mieten sind hoch, vor allem in den schicken Loft-ähnlichen Privatwohnungen entlang des Falkenrieds. Joachim Mars, der in dem ehemaligen Pförtnerhaus die Marsbar betreibt, sagt: "Die ersten Jahre waren schwierig, aber inzwischen funktioniert die Infrastruktur hier sehr gut." Hier zeigt sich Hoheluft-Ost von seiner modernen, finanzstarken Seite.
Wohnen mit WG-Charakter
Auf der anderen Straßenseite des Falkenrieds ist das Leben ein gänzlich anderes. Zwischen 1890 und 1902 entstand hier ein Wohnquartier für die FFG-Arbeiter, die Falkenried-Terrassen. Fünfeinhalb Innenhöfe ziehen sich von hier parallel hin bis zur Löwenstraße, zweigeschossige Häuserreihen mit kleinen Wohnungen und begrünten Gehwegen. Von den 30er-Jahren an verfielen die Terrassen, ehe sich in den 70ern eine Initiative zum Erhalt gründete, aus der 1991 eine Mietergenossenschaft hervorging. Bis 1999 wurden die Häuser wiederhergestellt, seither bilden sie eine Oase inmitten der betuchten Gegend - lebensweltlich wie sozial. Die Genossenschaft achtet auf eine ausgewogene Sozialstruktur, die Mieten liegen deutlich unter dem Mietspiegelschnitt, ein Paragraf-5-Schein ist Voraussetzung für den Einzug in eine der 324 von der Genossenschaft vermieteten Wohnungen. Der Großteil ist klein, 28 bis 40 Quadratmeter, es gibt einige Familienwohnungen und 15 "Projektwohnungen" für Sonder- und Härtefälle, die sonst auf dem Wohnungsmarkt ohne Chance wären. Ein Belegungsausschuss nimmt sich viel Zeit, geeignete Bewerber im Sinne der Genossenschafts-Satzung auszuwählen.
Aber neben solch ungewohnter Political Correctness ist es vor allem das Flair, das die Terrassen zu einem besonderen Ort macht und das täglich von neugierigen Passanten bestaunt wird.
Die Höfe sind öffentlich begehbar, und doch kommt man sich vor wie in einer riesigen WG. Die Grünstreifen zwischen den Häusern sind mit Blumen, Sträuchern und Obstbäumen bepflanzt, Tische und Korbstühle stehen in der warmen Jahreszeit durchgehend draußen. Morgens, mittags und abends trifft sich aus der Nachbarschaft, wer gerade essen, trinken, klönen oder in der Sonne entspannen will. Neben dem ehemaligen Bunker, der eine Terrasse zur Löwenstraße hin begrenzt, gibt es einen Versammlungsraum für bis zu 80 Leute, in dem regelmäßig Kunst ausgestellt wird oder Kinofilme gezeigt werden. "Es ist schon sehr speziell hier", sagt Philip Bartkowiak, der seit vier Jahren in den Falkenried-Terrassen wohnt: "Manchmal komme ich mir vor wie in einem gallischen Dorf."
Früher studentisch, heute solvent
Die benachbarten Lebenswelten haben in der Tat mit den Falkenried-Terrassen wenig gemein. An den Freilufttischen im Loewen an der Ecke Löwenstraße und Eppendorfer Weg sonnt sich tagsüber bei Kaffee und Mittagstisch gut situiertes Akademiker-Publikum, wie auch in den zahlreichen Restaurants und Cafés entlang des Eppendorfer Wegs, der Gastro-Meile des Viertels. Einige Straßen weiter nördlich, etwa der Abendrothsweg oder die kopfsteingepflasterte Husumer Straße, zählen mit ihren prächtigen Gründerzeithäusern zu den teuersten Hamburgs. Es gibt viele Familien hier, Kinderspielplätze und eine hohe Dichte an Range Rovern. Bis in die 80er-Jahre hinein war das Viertel eher studentisch geprägt, Klubs wie das Jazzlokal Onkel Pö waren über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Heute ist da, wo einst das Onkel Pö war, ein Schweinske-Restaurant. Viele der ehemaligen Pö-Besucher sind im Viertel geblieben, die Bevölkerungsstruktur ist heute deutlich älter und solventer.
Qual der Wahl
Zugleich hat sich Hoheluft-Ost, wie nur wenige andere Viertel in der Stadt, eine intakte und sehr vielfältige Boutiquen- und Kleinläden-Kultur erhalten. Entlang der Hegestraße, des Lehm- und des Eppendorfer Wegs finden sich Geschäfte für fast jeden Bedarf. Schmuck, Kindermode und Antiquitäten sind besonders verbreitet - vor allem mit Letzteren gibt es, nach einigen mageren Jahren, in jüngster Vergangenheit wieder einige neue Läden am Lehmweg, wie Johanna Schultz, Wohnen 1700-1980. Das Aurim bietet selbst gemachten Schmuck, wie auch das Bialy's, die Silbermine oder Botho Nickel. Es gibt Concept Stores wie Chi Chi Fan oder Peter Judd, das bekannte Hamburger Designerlabel FKK hat hier seinen Sitz. Und die Kunden kommen längst nicht nur aus dem Viertel. Wer in Boutiquen stöbern will, Besonderes sucht und nicht auf niedrige Preise achtet, kommt gern hierher. Gerade zu besonderen Anlässen - mit dem Torrox, feminin und Ella Deck gibt es am Lehmweg gleich drei Geschäfte für Brautmoden in direkter Nachbarschaft.
Geschäfte mit Tradition
Dass die Ladenkultur hier vergleichsweise intakt ist, sieht man nicht zuletzt an den alteingesessenen Anbietern für den täglichen Bedarf. Die Fleischerei Harms ist die letzte ihrer Art im Umkreis, die Kaffeerösterei Burg bietet seit mehr als 80 Jahren selbst geröstete Sorten, und am Eppendorfer Weg haben sich gleich zwei Elektroläden erhalten. Wer will, muss eigentlich gar nicht weg aus Hoheluft-Ost. Es gibt ja alles. Man muss es sich nur leisten können.
+++ Der Stadtteil-Pate: Jochen Förster +++
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In der nächsten Folge am 30.7.: Altengamme
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