Wer weit weg will, kommt hierher. Doch es lohnt sich, auch mal zu verweilen zwischen Alsterlauf und Airport

Jeder Hamburger weiß, wo der Flughafen ist. Wer bei Fuhlsbüttel aber nur an Jets, Terminals und Landebahnen denkt, unterschätzt die Vielfalt in dem weitläufigen Stadtteil zwischen Langenhorn, Ohlsdorf, Niendorf und Groß Borstel. Sie zu entdecken lohnt sich - was auch viele jüngere Zuzügler, die sich in den vergangenen Jahren niedergelassen haben, bestätigen können.

Auftakt in der Bücherstube

Will man mehr über Fuhlsbüttel erfahren, ist die Bücherstube ein guter Anlaufpunkt. Dort, an der Ecke Hummelsbütteler Landstraße/Erdkampsweg, arbeitet Dörte Hell-Rubow. Als Vorsitzende des Gewerbebundes Alstertal ist die Buchhändlerin eine profunde Kennerin der örtlichen Verhältnisse. Sie weiß, was sich hier tut - und was vielleicht getan werden müsste, damit das Quartier seine Attraktivität behält oder sogar noch steigert. "Ein funktionierender Stadtteil", sagt sie, "ist auf seine Akteure und Bewohner sowie Kunden aus der Nachbarschaft angewiesen." Soll heißen: Wenn jeder zum Shoppen und Bummeln gleich ins nahe AEZ oder in die City fährt, haben ortsansässige Geschäfte kaum eine Zukunft. Und ohne diese Läden würde die Lebensqualität rund um Erdkampsweg, Ratsmühlendamm, Kleekamp und Alsterkrugchaussee ein Stück weit sinken.

Verliebt ins Café Luise

Noch sieht es zum Glück gut aus mit der Vielfalt, nicht nur wegen des großen Wochenmarktes mittwochs und freitags. Neben den Discounterfilialen, Budni, Hansebäcker und Edeka-Schlemmermarkt finden sich auch viele inhabergeführte Geschäfte, die seit Jahren ihre Stammkunden haben. Ob Teppichböden, Elektrogeräte, Brillen, Fotos, Bettwaren oder einen Schuster - all das und noch mehr muss man nicht woanders suchen. Vieles, was Baumärkte nur im Paket anbieten, gibt es einzeln und mit fachkundiger Beratung bei Behnke in der Hummelsbütteler Landstraße. Raritäten aus Haushaltsauflösungen versilbert Margrits Stöberlädchen, die neuesten Filme verleiht Susanne Böhm in ihrer Videothek. Auch Reformhaus, Reinigung, Fisch-Fachgeschäft und Fahrradladen fehlen nicht. Läden wie Markenliebe (Mode), Wollvik (Garne und Wolle) und Stoppelhopser (Spielzeug) beweisen, dass man mit speziellen Sortimenten erfolgreich neu starten kann. Und sollte jemand klagen, es gebe in ganz Hamburg nur noch Ketten-Bäckereien mit Standardsortiment, wird er hier eines Besseren belehrt: Das Café Luise, 2008 von Heiko Fehrs mit seiner Frau Caroline eröffnet und nach der Tochter benannt, ist eine Bäckerei, wie man sie sich besser kaum vorstellen kann. Brotspezialitäten und Kuchen aller Art werden liebevoll von Hand gemacht, statt industrieller Vorprodukte kommen selbst gemischte Teige in den Ofen. Die sahnigen Torten, die perfekten Franzbrötchen und die mit Himbeerschicht bedeckten Cheesecakes sind so gut, dass viele sie gleich vor Ort oder nebenan in der gemütlichen "Guten Stube" verdrücken, am besten zusammen mit einem Kaffee.

Auch Manfred Sengelmann kommt gerne ins Café Luise. Der Pensionär kennt die Geschichte Fuhlsbüttels wie kaum ein Zweiter, er hat darüber sogar schon ein Buch verfasst (Reihe Zeitsprünge aus dem Sutton Verlag). Zudem ist er Schriftführer des Bürgervereins sowie fleißiger Autor und Fotograf der Vereinszeitschrift. Er kann vieles erklären, zum Beispiel dies: Wer auf die offizielle Fuhlsbüttel-Karte schaut, stellt fest, dass manches, was man im Stadtteil wähnt, gar nicht zu ihm gehört, sondern zu Ohlsdorf. "Die Stadt hat die Grenzen mehrfach neu gezogen, zuletzt 1980", sagt Sengelmann. "Deshalb zählen weder die Schleuse noch das Gefängnis heute zu Fuhlsbüttel, obwohl bei beiden der Stadtteil im Namen vorkommt. Und auch der Ratsmühlendamm ist ab dem Kreisel eigentlich zweigeteilt: Eine Seite gehört zu Ohlsdorf, die andere zu Fuhlsbüttel." Doch das wissen selbst die meisten Anwohner nicht. Oder es ist ihnen schlicht egal, dass das von Amts wegen so geregelt wird.

Das Dorf und seine Mühle

Ein offizieller Stadtteil Hamburgs ist Fuhlsbüttel erst seit 1913. Bis dahin stand der Vorort unter Verwaltung der Landherrenschaft der Geestlande. Siedler an diesem Teil des Alsterlaufs gab es wohl schon in der Steinzeit, erstmals urkundlich erwähnt wurde "Fulesbotle" im Jahr 1283. Damals existierten schon ein kleines Dorf und eine Mühle, an die noch heute der Straßenname Ratsmühlendamm erinnert. Im 15. Jahrhundert baute man die Schleuse. Vor 200 Jahren lebten in Fuhlsbüttel hauptsächlich Bauern in ihren typischen reetgedeckten Fachwerkhäusern, von denen es in der Umgebung leider fast keines mehr gibt. Die Landwirte setzten damals auf Viehhaltung und lieferten Milch sowie Butter in die Stadt. Die wiederum schickte ab 1865 Strafgefangene nach "Santa Fu", was auch Arbeitsplätze im Justizwesen mit sich brachte.

Ein neues Kapitel begann mit dem Flughafen, der 2012 schon seinen 100. Geburtstag feiern konnte. Zunächst war er als Start- und Landepunkt der mächtigen Zeppelin-Luftschiffe angelegt und als solcher für viele Hamburger ein interessantes Ausflugsziel, erst später kamen die Flugzeuge hinzu. Wirklich bedeutend wurde Hamburgs Airport allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Lufthansa nahm von hier aus im April 1955 den innerdeutschen Flugbetrieb und im Juni den internationalen Verkehr nach New York wieder auf. Was nicht nur Reisende, sondern auch Anwohner schätzen: In der Plaza zwischen den zwei modernen Terminals gibt es einen großen Supermarkt, der auch sonntags geöffnet hat.

Die Bebauung im Stadtteil ist bunt gemischt, man findet große schöne Altbau-Wohnungen in dunklem Rotklinker ebenso wie Doppel- und Einzelhäuser aus der Fritz-Höger-Ära, Hamburger Kaffeemühlen und schmucke Jugendstil-Villen. Das Gymnasium Alstertal wurde nach Plänen von Fritz Schumacher errichtet.

Migge-Park und Magischer Zirkel

Zu den grünen Oasen Fuhlsbüttels gehört neben dem Alstertal der Wacholderpark, um 1910 angelegt vom Gartenarchitekten Lebrecht Migge. Das zur Erholung bestimmte Areal sollte zugleich auf vielfältige Weise für Sport und Spiel nutzbar sein. Obwohl die Parkanlage im 20. Jahrhundert mehrfach verändert wurde und unter anderem ihren Haupteingang verlor, ist das ursprüngliche Konzept noch gut zu erkennen. Besonders eindrucksvoll ist ein Spaziergang in den tunnelartig angeordneten Linden-Bögen entlang der Südwest- und Südostseite.

Aber es gibt noch ganz andere zauberhafte Ecken in Fuhlsbüttel - zum Beispiel das Magiculum. Das kleine Theater an der Röntgenstraße hat 55 Plätze und ist Sitz des Magischen Zirkels. Der 4,50 Meter hohe Raum mit goldenem Stuck und einer Deckenmalerei aus Himmel, Sternen und Kometen dient der Hamburger Zauberer-Gilde seit 2010 als Vereinsheim und Bühne.

In der nächsten Folge am 3.9.: Rissen

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