Hitzige Debatten bei Anwohner-Infoveranstaltung für geplantes Heim im Klotzenmoorstieg – vor allem aus einem Grund.

  • Im geplanten Heim Casa Luna sollen Kinder mit „besonderem Betreuungsbedarf“ leben
  • Infoveranstaltung in Groß Borstel führt zu hitzigen Debatten
  • Gruppe „Heimrevolte“ stört die Veranstaltung

Hamburg. Seit Monaten, vielmehr Jahren, gibt es teils heftige, emotionale Diskussionen über die Planungen für eine neue Einrichtung am Klotzenmoorstieg in Groß Borstel. In das dort angedachte Kinderheim Casa Luna sollen laut Sozialbehörde „Kinder mit besonderem pädagogischen und psychiatrischen Betreuungsbedarf“ einziehen.

Am Montagabend informierte Sozialbehörden-Staatsrätin Petra Lotzkat gemeinsam mit Yvonne Nische, Sozialdezernentin vom Bezirksamt Hamburg-Nord, Peer Kaeding, Projektleiter der Sozialbehörde, sowie Katharina Barleben, Teilprojektleiterin vom Landesbetrieb Erziehung und Beratung (LEB), in der Kirche St. Peter über den aktuellen Stand des Bauprojekts, das 2027 fertiggestellt werden und 16 schwerstbelasteten Kindern mit psychischen Störungen und Erkrankungen ein Zuhause auf Zeit geben soll.

Hamburg: Heim am Klotzenmoorstieg in Groß Borstel soll sichelförmig gebaut werden

Baulich geplant ist ein sichelförmiges Gebäude mit vier Funktionseinheiten und einem Innenhof. Dazu zählen ein Zentrum mit Räumen für Bewegung, Therapie, Beschulung und Verwaltung, für die Clearing-Phase (hier wird zunächst der Bedarf des Patienten ermittelt) sowie zwei Wohngruppen für die Anschlussbetreuung. Mit einem professionellen Team aus Spezialisten vom UKE, einer umfangreichen Diagnostik, (Erlebnis-)Pädagogik und therapeutischen Angeboten sollen passgenaue Maßnahmen für die Kinder gefunden und umgesetzt werden.

Die Einrichtung soll Aspekte einer „heilenden Architektur“ aufweisen: Ausrichtung der Fenster ins Grüne, möglichst viel natürliches Licht, gedämpfte Farbgestaltung, inklusive Wegführung in den Gebäuden und auf dem Gelände, Ateliers, Sporträume, Therapieräume, Gemüsebeete zur Selbstbewirtschaftung durch die Kinder. So beschreibt die Sozialbehörde die Pläne. Der Innenhof biete Raum im Freien, der jedoch von Blicken von außen geschützt sei.

Klotzenmoorstieg: Proteste vor dem Grundstück gab es im September

Die Veranstaltung am Montag – eigentlich gedacht als erneutes, informelles Angebot für die Anwohner – artete allerdings in den gut zweieinhalb Stunden in eine fachliche Debatte aus. Zu Wort meldeten sich nicht nur Nachbarn, sondern auch meinungsstarkes Fachpersonal aus anderen Stadtteilen.

Kurz nach den ersten Beiträgen der Akteure auf dem Podium übernahm eine schauspielernde Gruppe die Regie: Eine junge Frau trat ans Mikrofon, ein imaginärer Zeitungsartikel wurde vorgelesen. Renzo Martinez, ein früherer Bewohner der inzwischen geschlossenen Haasenburg-Heime, spielte eine Szene, in der ein Arzt ihn Liegestützen absolvieren ließ und ihm danach Pillen verabreichte. Während diese „Störaktion“ einige Anwohner dazu brachte, die Kirche zu verlassen, schauten sich die Beteiligten auf dem Podium alles ruhig an, baten aber auch darum, dass ihre Perspektive ebenso gehört werde.

V.l .: Sozialbehörden-Staatsrätin Petra Lotzkat, Lars Schulhoff, Katharina Barleben, Teilprojektleiterin vom Landesbetrieb Erziehung und Beratung (LEB), Yvonne Nische, Sozialdezernentin vom Bezirksamt Hamburg-Nord, Peer Kaeding, Projektleiter der Sozialbehörde in der St.-Peter-Kirche in Groß Borstel bei der Infoveranstaltung.
V.l .: Sozialbehörden-Staatsrätin Petra Lotzkat, Lars Schulhoff, Katharina Barleben, Teilprojektleiterin vom Landesbetrieb Erziehung und Beratung (LEB), Yvonne Nische, Sozialdezernentin vom Bezirksamt Hamburg-Nord, Peer Kaeding, Projektleiter der Sozialbehörde in der St.-Peter-Kirche in Groß Borstel bei der Infoveranstaltung. © Camilla John | Camilla John

Diese Aktion der Gruppe „Heimrevolte – Demokratisches Jugendwohl e. V.“ war nicht die erste ihrer Art. Bereits im September hatten ehemalige Heimkinder mit Plakaten und Durchsagen am Klotzenmoorstieg gegen das Konzept protestiert. Sie forderten Anwohner auf, sich dagegenzustellen. Hauptkritikpunkt: ein Trakt im Obergeschoss, in dem einige der Kinder geschlossen untergebracht, also zeitweise eingeschlossen werden sollen.

Bei der Infoveranstaltung zur Kindereinrichtung Casa Luna am Klotzenmoorstieg in Groß Borstel hielt die Gruppe „Heimrevolte – Demokratisches Jugendwohl e. V.“ ein Plakat hoch.
Bei der Infoveranstaltung zur Kindereinrichtung Casa Luna am Klotzenmoorstieg in Groß Borstel hielt die Gruppe „Heimrevolte – Demokratisches Jugendwohl e. V.“ ein Plakat hoch. © Camilla John (FMG) | Camilla John (FMG)

Staatsrätin Lotzkat energisch: „Wir bauen hier keine geschlossene Einrichtung“

Die Sachlage benötigt allerdings eine Einordnung, das wurde auch Staatsrätin Lotzkat nicht müde zu betonen: „Egal, wie oft es hier noch wiederholt wird, es stimmt nicht: Wir bauen hier keine geschlossene Einrichtung.“ Ein Betreuungsschlüssel von drei Fachleuten pro Kind solle dazu beitragen, dass auch Kinder, die einen entsprechenden familiengerichtlichen Beschluss nach Paragraf 1631b (Bürgerliches Gesetzbuch) erhalten haben, ohne Einschluss untergebracht werden können. Dabei geht es vor allem um Kinder, die eine Gefährdung für sich selbst und andere sind.

So wird die Einrichtung Casa Luna später aussehen.
So wird die Einrichtung Casa Luna später aussehen. © Wacker/Zeiger Architekten | Wacker/Zeiger Architekten

Für diese kleine Gruppe besonders schwer belasteter Kinder gibt es weder in Hamburg noch bundesweit ausreichende Angebote, sodass diese zwischen Einrichtungen der Psychiatrie und Jugendhilfe wechseln, in anderen Bundesländern untergebracht werden müssen oder über längere Zeit überhaupt keine passende Einrichtung für sie gefunden werden kann.

Groß Borstel: Versorgungslücke soll mit Casa Luna geschlossen werden

Mit der Casa Luna in Groß Borstel will der Senat diese Versorgungslücke schließen und alle Angebote in einem Gebäude vereinen: Schule im Haus, Therapie, Freizeitprogramm. Hier sollen diejenigen herkommen, die von den bestehenden Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe nicht mehr aufgefangen werden können. „Systemsprenger“, so nennt man sie umgangssprachlich: Sie stammen aus instabilen oder fehlenden familiären Strukturen, sind geprägt von Gewalt und Vernachlässigung, Beziehungsabbrüchen und Misserfolgserlebnissen.

Bei diesen Kindern versagte bereits eine Vielzahl von Hilfsmaßnahmen, sie werden durch die Einrichtungen gereicht, wechseln häufig den Lebensort. Kritiker merkten immer wieder an, dass eine Betreuung und Therapie unbedingt in Wohnortnähe stattfinden müsse, um keine erneuten Bindungsabbrüche zu provozieren.

Junge Menschen erlebten Gewalt und Vernachlässigung

Bei Bewohnern der ehemaligen Haasenburg-Heime sowie dem geschlossenen Heim in der Hamburger Feuerbergstraße kommen bei diesen Themen furchtbare Erinnerungen hoch: In den privatwirtschaftlich betriebenen Haasenburg-Heimen mit geschlossener Unterbringung in Brandenburg – wohin auch Hamburg extrem auffällige Kinder und Jugendliche schickte, da die Stadt keine adäquate Unterbringung hatte – wurden die Schutzbefohlenen erniedrigt und gequält. Jeder noch so kleine Regelverstoß habe die Betreiber konsequent reagieren lassen, körperlicher Zwang wurde angewendet. Die Heime mit insgesamt 114 Plätzen gab es von 2001 bis 2013.

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Hamburger Linksfraktion zur Einrichtung in Groß Borstel: „Kein neuer Kinderknast!“

Schon im März 2022 war der Bau am Klotzenmoorstieg und vor allem das Konzept und die Entstehung viel diskutiertes Thema. Sabine Boeddinghaus, Co-Fraktionsvorsitzende und jugendpolitische Sprecherin der Linksfraktion, forderte damals mit drastischen Worten: „Kein neuer Kinderknast“.

Sie kritisiert weiter: „Nach der geschlossenen Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in der Feuerbergstraße und in den Haasenburg-Heimen begibt sich der Senat erneut auf einen Irrweg. Dabei sollten das Scheitern geschlossener Systeme und das Leiden der jungen Menschen dort eigentlich fachliche Alternativen befördern.“