Das Ehepaar Siemss wohnt neben dem Airport. Den Lärm haben sie immer akzeptiert. Doch jetzt bringt ein Kahlschlag in ihrem Vorgarten im Auftrag des Flughafens die beiden an die Grenzen ihrer Geduld.

Langenhorn. Ein schwerer Lastwagen steht tuckernd vor dem Haus. Mit einer Hebebühne fährt ein Arbeiter hoch in die Wipfel der Tannen im Vorgarten. Er wirft eine brüllende Motorsäge an und säbelt die hohen Bäume ab, Meter für Meter. Dicke Äste fallen zu Boden und auf das Garagendach. Als der Laster zum nächsten Haus rollt, stehen von den einst stolzen Tannen im Vorgarten von Hanna und Willy Siemss nur noch hohe Stämme, aus denen ein paar Äste herauswachsen.

Willy Siemss hat die Dreiviertelstunde gefilmt, in der im Auftrag des benachbarten Hamburger Flughafens seine Bäume gekappt wurden. In dieser Zeit ist die Loyalität zu seinem Nachbarn, die länger als 20 Jahre währte, ins Wanken geraten. „Die Bäume müssen alle paar Jahre gestutzt werden. Aber so radikal wie dieses Mal war es noch nie“, sagt der Rentner. Auch seien er und seine Frau von der Aktion vorher nicht informiert worden.

Hanna und Willy Siemss leben bescheiden. Sie haben keine großen Ansprüche an ihren Wohnort – ihr Haus liegt direkt in der Einflugschneise am Flughafenzaun – und auch nicht an ihren Nachbarn, der seine Kapazitäten seit Jahren ausbaut. In immer kürzeren Abständen donnern die Flugzeuge über das Ehepaar hinweg. Die beiden haben Verständnis, schließlich sind sie manchmal ja auch selbst an Bord. So werden sie auch in diesem Jahr wieder zur Kur an den ungarischen Plattensee fliegen.

Schon mehrfach hätten sie Anlass gehabt, sauer auf den Flughafen zu sein. Im vergangenen Jahr ließ man sie stehen, nachdem sie aus dem Flugzeug gestiegen waren – der 84-jährige Willy, die 76-jährige Hanna mit Rollator und eine alte Dame, die während des Fluges mehrmals ohnmächtig geworden war.

Eigentlich sollten sie mit einem Sondertransport zum Terminal gebracht werden. „Aber man hat uns vergessen und im Regen stehen lassen“, so Willy Siemss. Er nahm die beiden Damen und ging zu Fuß, musste erst einmal das Gepäck suchen und marschierte in die Verwaltung.

In 50 Meter Höhe donnert schon mal eine Tupolew übers Haus

Dort beschwerte er sich über die Behandlung. „Am nächsten Tag kam ein Entschuldigungsschreiben von Geschäftsführer Michael Eggenschwiler“, erinnert sich Willy Siemss. „Das war sehr in Ordnung, mehr konnte er nicht tun.“ Vergeben ist auch, dass vor einiger Zeit eine Tupolew sehr niedrig und laut donnernd über den Garten flog. Vor Schreck bekam Hanna Siemss auf der Terrasse eine Herzattacke. „Der Flieger war nur etwa 50 Meter hoch. Ich kann das abschätzen, weil ich früher Segelflieger war“, sagt Willy Siemss. Er meldete den Vorfall beim Flughafen, seine Frau bekam am nächsten Tag einen großen Blumenstrauß. Wieder waren die beiden versöhnt. Willy Siemss informierte sogar die European Passengers Federation darüber, wie vorbildlich der Airport in beiden Fällen reagiert hatte. Die belgische Organisation hatte dem Hamburger Flughafen die Auszeichnung „Best Airport“ verliehen, unter anderem wegen des „transparenten Dialogs mit den Nachbarn“. Zu Recht, fand Willy Siemss. Und sah es als seine nachbarschaftliche Pflicht an, die Begründung der belgischen Organisation in einem Brief, auf Englisch, zu bestätigen.

Seit einigen Monaten aber ist der Dialog zwischen Flughafen und den Siemss’ empfindlich gestört. Es begann damit, dass das Ehepaar im vergangenen Sommer Rollläden als Lärmschutz vor die mehr als 20 Jahre alten Spezialdoppelfenster montieren ließ. Es war eine der ersten Maßnahmen gegen den Lärm, die Hanna und Willy Siemss ergriffen haben, seit sie 1992 von Barmbek hierhergezogen sind. Sie baten den Flughafen, die Kosten zu übernehmen. Der Nachbarschaftsbeauftragte kam und drückte Willy ein Formular in die Hand. Er sollte beim Bezirk Hamburg Nord die „Kostenübernahme von Lärmschutzeinrichtungen“ beantragen. Willy Siemss wollte sich nicht an die Stadt wenden, weil er davon ausging, dass dann der Steuerzahler zur Kasse gebeten wird. Dass im Endeffekt der Flughafen zahlt, wusste er nicht. Vielleicht hätte er sich mit der Tatsache, auf den Kosten sitzenzubleiben, abgefunden.

Doch dann kam der Kahlschlag im Vorgarten – und sein Vertrauen in den Nachbarn schmolz endgültig dahin. Ein Berg abgesägter Zweige im Garten, Sägespäne in der Dachrinne – „wie soll ich alter Mann das wegräumen?“, fragt er. Der Nachbarschaftsbeauftragte habe gesagt, die abgesägten Bäume sähen „beschissen“ aus, sagt Willy Siemss und entschuldigt sich sofort für das Wort.

Zweimal haben die Siemss den Airport angerufen – und wurden ignoriert

Er wollte den Flughafen bitten, die Tannenstämme zu entfernen und stattdessen Büsche anzupflanzen. „Zweimal habe ich angerufen, aber das wurde ignoriert“, sagt er. Niemals würde er sagen: „Jetzt reicht’s!“ Dafür ist er zu sehr guter Nachbar. Aber er hat bei seiner Rechtsschutzversicherung nachgefragt, ob die ihm einen Anwalt bezahlt. „Dann stehen wir nicht so alleine da“, sagen Hanna und Willy Siemss.

Am Flughafen bedauert man die Verstimmung. „Natürlich hätte die ausführende Firma die Anwohner über die Baumarbeiten informieren müssen“, sagt eine Sprecherin. Das radikale Zurückschneiden begründet sie mit der Tatsache, dass einige Jahre lang nichts gemacht worden sei und es jetzt eine entsprechende Anweisung der Deutschen Flugsicherung gegeben habe. Betroffen gewesen seien davon mehrere Hundert Bäume in den An- und Abflugschneisen in den Stadtteilen Niendorf und Langenhorn.