In Souvenirläden stehen Buddelschiffe meist als Billigware aus China. Aber es gibt auch noch Hamburger, die das Handwerk beherrschen. Eine Millimeterarbeit, beobachtet von Irene Jung.

Blau oder grün? Das kommt ganz darauf an, findet Eda Binikowski. Der Atlantik sieht bei schönem Wetter schwarzblau aus, bei bewölktem Himmel sogar braun. Der Pazifik dagegen in manchen Bereichen grün. Hauptsache, die Wellenkämme sind weiß. Sonst wäre ein Schiff mit geblähten Segeln unlogisch. Aber erst mal muss das Meer noch trocknen.

Jedenfalls, wenn es aus Fensterkitt mit Abtönfarbe besteht. Mit der Hand hat Eda Binikowski die Meer-Masse zu einer langen Wurst geformt, die sie mit einer chirurgischen Fasszange in den Flaschenbauch schiebt. Mit der Zange – „so etwas kaufen wir auf dem Flohmarkt“ – modelliert sie auch die Wellen. Die Masse trocknet an, in die Mitte kommt ein Kleber. Jetzt muss es schnell gehen.

Eda Binikowski nimmt vorsichtig das Schiffchen in die Hand, die „Gorch Fock“, drückt die drei Masten mitsamt Segeln und Takelage flach an den Rumpf und schiebt ihn mit dem Heck voran vorsichtig durch den Flaschenhals. Nur die Fäden an der Takelage hängen noch aus der Flaschenöffnung – kein schwarzer Zwirn, sondern echte, lange Menschenhaare. Mit der Zange wird das Schiff auf den Kleber gesetzt und angedrückt. Mit zartem Zug richtet Eda Binikowski Masten und Segel jetzt einzeln an den Haaren auf. Die dürfen sich nicht an Rahen oder Reling verheddern. Mit einer überlangen Pinzette lassen sich die Segel in der Flasche noch zurechtzupfen. Mit Sekundenkleber werden die Untermasten am Rumpf fixiert. „Diese Feinarbeit mache ich, wenn ich allein bin und mich konzentrieren kann“, sagt Eda Binikowski. „Kein Telefon, keine Kunden, keine Unterbrechung.“ So, auf diesen Wellen wird die „Gorch Fock“ nun segeln, solange die Flasche hält.

In der Werkstatt des Maritim Shops der Familie Binikowski an der Barmbeker Straße werden jährlich mehrere Hundert Buddelschiffe auf diese Weise befüllt. In einer Kammer türmen sich Kartons mit Glasflaschen. Buddelschiffe gibt es in allen Flaschengrößen, von 10-Milliliter-Penicillinfläschchen über den 225-Milliliter-Flachmann und die 0,75-Liter-Weinflasche bis zu großen Fünf-Liter-Apothekerflaschen. Edas Mann Jochen Binikowski, seit 1976 auf maritimes Dekor spezialisiert, hat das Buddelschiffbauen von seinem Großvater gelernt, der noch zur See gefahren war. So sind die Schiffe in den Flaschen ja entstanden: Wenn die Seeleute in eine Flaute gerieten und sich auf den Segelschiffen irgendwie beschäftigen wollten. Dann nutzten sie zum Basteln alles, was es an Bord so gab – Holz, Tauwerk, Stoff und natürlich die leeren Rumflaschen. Binikowski guckte sich von seinem Großvater vieles ab, machte sein Hobby zum Beruf und lernte Künstler und Sammler kennen, die in der Buddelschiff-Branche große Namen haben. Darunter sind Deutsche wie Jonny Reinert und der Husumer Theodor Carstensen, aber auch Amerikaner und Japaner.

Dass Buddelschiffe international sind, sieht man in einer großen Vitrine an den Schaustücken, die noch aus dem inzwischen geschlossenen Buddelschiff-Museum im Schulauer Fährhaus übrig sind. Darunter die „HMS Victory“, Admiral Nelsons Flaggschiff in der Schlacht von Trafalgar, in einem großen Glasballon, der eigentlich für die Herstellung von Apfelwein gemacht war. Oder die japanische Buddelschiff-Variante: eine Dschunke vor einer Tsunamiwelle, dem berühmten Holzschnitt des japanischen Künstlers Hokusai nachempfunden. Oder der Ostindienfahrer „Batavia“, der 1629 vor der Westküste Australiens zum Schauplatz einer furchtbaren Meuterei mit 125 Toten wurde; ein Nachbau liegt heute im niederländischen Lelystad – und in einem Buddelschiff in Hamburg.

Genau darum geht es den echten Liebhabern: um Schiffs-Schicksale, die auf ein paar Kubikzentimetern in einer Flasche verewigt sind. Alles muss so authentisch wie möglich sein. Dabei hilft Edas Familie auf den Philippinen. Dort hatte Jochen Binikowski vor 30 Jahren seine spätere Frau kennen und lieben gelernt. Seither werden die Urmodelle der Schiffe, die er in Hamburg anfertigt, in einem kleinen Betrieb auf den Philippinen in Serie hergestellt. Masten und Rahen etwa werden aus Kokos- und Palmblattrippen gemacht. Bei besonders hochwertigen Modellen sind die Schiffsrümpfe aus Holz gebaut, normalerweise aber aus einem Spezialpolyester handgegossen. „Die Segel sind aus Baumwollstoff“, sagt Eda Binikowski. „Damit sie schön steif werden, legen wir sie in Tee.“

Solche Tricks kennt auch Michaela Richter, die die begehrten Hingucker seit 2005 in ihrer „Buddelschiffwerft“ in Barmbek baut und in alle Welt verschickt. Genaue Details schlägt sie in Fachbüchern nach oder holt sich den Rat eines nautisch versierten Freundes.

Wer kauft eigentlich noch Buddelschiffe? Zum großen Teil Hamburger Firmen und Hotels, die sie oft als Werbegeschenke an Kunden weitergeben, sagt die junge Frau. „Aber auch viele junge Leute interessieren sich dafür.“ Ein Renner ist zum Beispiel die Dreimastbark „Alexander von Humboldt“ mit den schönen grünen Segeln, bekannt aus der Fernsehwerbung, die es auch in einer Beck's-Bierflasche gibt. Für 24,50 Euro. Sonderanfertigungen sind möglich, etwa noch eine Landkulisse mit Leuchtturm und Hafen, individuell bedruckte Segel oder nach Vorgaben gravierte Messingschilder, das wird natürlich teurer.

Die chinesische Konkurrenz mit den Billig-Buddeln, die in jedem Touristenladen stehen, macht Hamburgs Buddelschiffbauern zu schaffen. „Da kräuseln sich mir die Haare“, sagt Michaela Richter. Aber für 15 Euro bekommt man eben kein so liebevoll und detailreich bestücktes Modell wie die „Cutty Sark“, 1870 der schnellste Teaclipper der Welt. Für sie muss man je nach Flaschengröße bis zu 300 Euro hinlegen – eine bleibende Anschaffung.