Jochen Brandt ist einer der letzten echten Bäcker in der Hansestadt. Wie Kleinbetriebe im Konkurrenzkampf mit großen Ketten bestehen.

Hamburg. Nachts um halb eins, kurz nachdem der letzte Bus der Linie 25 die Kreuzung Hoheluftchaussee und Breitenfelder Straße passiert, beginnt für Jochen Brandt, 52, ein neuer Tag. Sein kleiner Rundstückladen am Ring 2 liegt dann noch im Dunkeln, dafür geht es in Brandts Backstube an der Henriettenstraße - ein paar Ecken westwärts - zur Sache. Beziehungsweise: zum Rundstück. Vier Angestellte kneten hier täglich nachts Teig und backen. 16 Großkunden hat Jochen Brandt, vor allem Hotels und Restaurants, die wollen frühmorgens beliefert werden. Von 7 Uhr an steht er dann selbst in seinem Laden an der Breitenfelder Straße hinter der Theke, verkauft sein Kosakenbrot, seine Franzbrötchen und Laugenstangen, belegte Brötchen und Kaffee, Zeitungen und Milch. Vor allem aber: seine Rundstücke.

Jochen Brandt verkauft hier nur Backwaren, die er selbst gemacht hat, darauf ist er ein bisschen stolz. Er sagt: "Für mich gibt's nichts Schöneres als diese Arbeit." Es ist ein ungewöhnliches, ein hartes, ein aus der üblichen Zeit gefallenes Arbeitsleben, das der 52-Jährige führt im Stadtteil Hoheluft-Ost, schon seit mehr als 20 Jahren. Um 12.30 Uhr macht er Feierabend, dann geht er anderthalb Stunden mit dem Hund spazieren, um 19 Uhr geht er schlafen, um Punkt 0.45 Uhr steht er auf, um eins steht er in der Backstube. 1991 übernahm Brandt den Betrieb von seinem Vater, der hatte ihn 1950 vom Großvater übernommen, der wiederum um 1900 vom Urgroßvater. Ein alter Familienbetrieb eben. Und ein Unikat in der Bäckerlandschaft - fast alle anderen Einzelkämpfer sind Bäcker und Konditoren zugleich, die Bäckerei Brandt hingegen bietet klassische Bäckerware.

+++ Ketten wachsen weiter +++

Das Bäckerleben war auch für Brandt schon einmal leichter. "Klar haben wir früher mehr verkauft", sagt er. Früher, das heißt: als noch fast jeder Bürger nicht ohne ein Brot im Magen aus dem Haus ging. Vor der Müsli-Kultur. Vor der "Noch schnell auf dem Weg zur Arbeit ein Croissant schnappen"-Mode. Bevor Tankstellen die Lizenz erhielten, Backwaren zu verkaufen.

Heinz Essel, Chef der Bäckerinnung: "Wenn Sie ein, zwei Verkaufsstellen haben, müssen Sie schon über sehr günstige Lagen verfügen, um auf Ihre Kosten zu kommen." Die Nachteile gegenüber den sogenannten Ketten sind offensichtlich und unüberbrückbar. Stichwort Rationalisierung: Branchenriesen backen an einem zentralen Standort und beliefern von dort ihre Subunternehmer - Dat-Backhus-Waren werden an der Billstraße (Rothenburgsort) produziert, Nur-Hier-Rundstücke an der Niendorfer Straße (Lokstedt), Franzbrötchen der Marke Von Allwörden in Rellingen und Mölln.

Stichwort Standortwahl: Große Unternehmen wie Nur Hier beschäftigen Profi-Scouts für die Suche nach aussichtsreichen Lagen mit möglichst viel Laufkundschaft, Kleinstbetriebe sind zumeist da, wo sie immer schon waren. Stichwort Risikoauslagerung: Die Ketten funktionieren nach dem Franchise-Prinzip, sprich Subunternehmer mieten die Filialen, schließen Abnahmeverträge mit den Multis und tragen das Geschäftsrisiko. Diese Subunternehmer müssen zudem keineswegs Bäcker sein, sie sind reine Verkäufer, mit Handwerk haben sie nichts zu tun. Ein weiterer Nebeneffekt: Die Verkäufer bei den Ketten müssen nicht so früh aufstehen. Es reicht, wenn sie kurz vor Ladenöffnung die Ladung in Empfang nehmen.

Für den Kunden ändert der Branchenwandel eher wenig - Branchengrößen wie Dat Backhus backen nach bewährten Rezepten und bieten "keine schlechte Ware", wie auch Jochen Brandt zugibt. Die Kostenersparnis durch Rationalisierung merken die Käufer dagegen kaum, die Ketten verkaufen zu ähnlichen, oft sogar zu höheren Preisen als die Kleinstbetriebe.

Eigentlich logisch, denn bei Ketten teilen sich Subunternehmer und Großunternehmen die Gewinne. Außer bei den Preisen punkten die kleinen, meist alteingesessenen Einzelbäckereien vor allem durch zeitlose Tugenden: die persönliche Ansprache, das Vertrauensverhältnis. Sowie das gute Gefühl, ein Stück Tradition zu erhalten, ein alltägliches Zeichen gegen die Massenkultur zu setzen. "Es ist einfach was anderes, ob Sie ein Körnerbrötchen bei mir oder bei der Kette ums Eck kaufen. Bei mir wird alles per Hand gemacht, da sieht kein Brötchen aus wie das andere, das ist Handwerk im Wortsinn. Und bei mir können Sie sicher sein, was im Brötchen drin ist, denn alles liegt in einer Hand." Dass er nach wie vor erfolgreich einzelkämpferisch arbeitet, verdankt Jochen Brandt vor allem seiner Liefertätigkeit für die Gastronomie. Andere überleben dank einer Kombination aus Konditor- und Bäckerangebot. Selbst in betuchten Vierteln wie Eppendorf oder Winterhude, Hoheluft und Eimsbüttel, wo es noch eine intakte Kleinladenkultur und eine ganze Reihe kleiner Bäckerläden gibt, bieten klassische Konditoreien längst auch Brötchen an. Michael Gantert, 58, führt die gleichnamige Konditorei-Bäckerei in zweiter Generation. Er sagt: "Reine Konditorarbeit lohnt sich schon lange nicht mehr, es ist einfach zu teuer. Eine Sahnetorte herzustellen bedeutet rund eine Stunde Arbeit." Und das zum Stückpreis von 34 Euro, Material inklusive. "Wir Konditoren haben ganz schön zu kämpfen", sagt Gantert, das Tortengeschäft sei weniger einträglich als früher, das Brötchengeschäft lebenswichtig. Wie das in Konditoreien übliche Cafégeschäft.

Jeder Hamburger Konditor hat seit jeher ein paar Tische, um Kaffee und Kuchen vor Ort einzunehmen. Auch Peter Boyens lebt von Kaffee und Kuchen, und das ziemlich gut, der 74-Jährige zählt zu den bekanntesten Konditoren im Stadtgebiet. In seinen beiden Filialen an der Gertigstraße und am Hofweg bilden sich besonders am Wochenende am Eingang lange Schlangen. Der Käsekuchen und die Nougat-Marzipan-Rolle, der Baumkuchen und die Rumkugeln sind besonders begehrt - plus die Hochzeitstorten, und nebenbei gibt's natürlich auch Brötchen. Nebenan am Mühlenkamp haben sich einige Bäckerketten einquartiert, aber "die Ware spricht für uns", sagt Boyens.

Boyens' Problem: Er findet keinen Nachfolger. Dabei läuft das Geschäft blendend, die Lage ist begehrt, die Kunden sind treu. Doch Boyens' einzige Bedingung an neue Eigentümer ist eine zu viel: Alle 15 Angestellten sollen übernommen werden. Es gibt Interessenten, doch die wollen die Bedingung bis jetzt nicht erfüllen, und Boyens wiederum sind seine Leute wichtiger als seine Rente. "Wissen Sie, ich mach das jetzt seit mehr als 50 Jahren, jeden Freitag zum Beispiel 500 bis 600 Petits Fours. Es macht einfach immer noch Spaß."