Wo die Bürger ihren Meister finden und das einst höchste Bauwerk der Welt steht.

An einem schönen Frühlingstag auf dem Rathausmarkt kann man es schlagen hören, das Herz der Stadt. Pärchen sitzen auf den Stufen am Reesendamm, Schwäne paddeln gemächlich über die Kleine Alster, und von der Schleusenbrücke wehen die Klänge eines Saxofons oder Akkordeons herüber. Hier befindet sich ohne Zweifel das Zentrum Hamburgs. Die Altstadt ist nicht nur die Wiege der Elbmetropole, sondern mit drei von fünf Hauptkirchen, der Kunstmeile, den großen Einkaufsstraßen und dem Rathaus auch der kulturelle, wirtschaftliche und politische Mittelpunkt.

Im Rathaus entscheiden sich die Geschicke der Hansestadt - und ingewisser Weise spiegelt schon seine Entstehung die bis heute langwierigen politischen Abstimmungsprozesse. Volle 55 Jahre mussten die Hanseaten im 19. Jahrhundert nämlich auf eine neue Regierungszentrale warten, nachdem das Alte Rathaus während desGroßen Brands gesprengt worden war. Die zuständigen Architekten und Politiker konnten sich einfach nicht auf den richtigen Baustil einigen. Als das Gebäude 1897 endlich eingeweiht wurde, war es mit elf Millionen Goldmark auch noch fast doppelt so teuer geworden wie geplant - damals wie heute ist das offenbar keine Seltenheit bei großen Bauvorhaben.

Erst das Geld, dann die Macht

Dafür ist das symmetrische Gebäude mit seinen 647 Räumen nun der Stolz der Hamburger. Wer die öffentliche Rathausdiele betritt, bemerkt gleich die Struktur des Doppelhauses - auf der linken, bescheideneren Seite die Bürgerschaft, auf der rechten, prunkvolleren der Senat. Insbesondere der Pomp des Großen Festsaals mit seinen tonnenschweren Kronleuchtern lässt viele Besucher mit offenen Mündern zurück. Und erklärt vielleicht, weshalb manch Erster Bürgermeister eine leicht monarchische Haltung annimmt, sobald er in das Hohe Haus einzieht.

Wie eng in Hamburg die Verbindung zwischen Politik und Wirtschaft ist, zeigt sich daran, dass sich die Börse direkt an das Rathaus schmiegt und mit ihm einen gemeinsamen Innenhof hat. Allerdings verweist man in der Handelskammer, die heute in dem klassizistischen Bau von Carl Ludwig Wimmel sitzt, gern darauf, dass die Börse weitaus früher fertig war als das Regierungszentrum. Mit Aktien gehandelt wird im Börsensaal schon längst nicht mehr. Stattdessen wird der Raum für Messen, Hauptversammlungen oder Ausstellungen genutzt.

Alte Mauern zum Kaffee

Wenn der Rathausmarkt das aktuelle Zentrum der Stadt ist, dann ist der Domplatz der historische Mittelpunkt, so etwas wie Hamburgs Wiege. Lange Zeit wurde hier der Standort der legendären Hammaburg vermutet, Gründungszelle und Namensgeberin der Stadt. Diese fanden die Archäologen zwar nicht, dafür aber die Überreste der Domburg, einer im 9. oder 10. Jahrhundert erbauten Wallanlage zum Schutz des erzbischöflichen Mariendoms.

Die nur wenige Meter entfernte Filiale von Dat Backhus am Speersort ist übrigens Hamburgs "historisch wertvollste" Bäckerei. In ihrem Keller versteckt sich nämlich ein Café, in dem man die Fundamente des Bischofsturms aus dem 12. Jahrhundert bestaunen kann, des ältesten erhaltenen Steingebäudes der Altstadt.

Die meisten Hamburger dürften die Altstadt wohl vor allem aus einem Grund aufsuchen: zum Einkaufen. Ob in der Mönckebergstraße, in der Spitalerstraßeoder in der extravaganten fünfstöckigen Europa-Passage - überall geben die Filialisten den Ton an. Traditionsreiche Geschäfte wie das Technikkaufhaus Brinkmann haben hingegen schon vor Jahren angesichts der Konkurrenz kapitulieren müssen. Dennoch gibt es sie bis heute, die alteingesessenen Hamburger Geschäfte wie zum Beispiel den Juwelier Wempe an der Spitalerstraße oder das Porzellanhaus Lenffer am Großen Burstah.

Der Behüter des Altkanzlers

Kleine Geschäfte wie der Schallplattenladen Michelle Records am Gertrudenkirchhof stemmen sich mit ungewöhnlichen Ideen wie Schaufensterkonzerten gegen die großen Wettbewerber.

Auch ein Geschäft wie der Tropen- und Marineausrüster Ernst Brendler an der Großen Johannisstraße hat noch seinen Platz in der Innenstadt. Ebenso wie der Mützenmacher Eisenberg an der Steinstraße. Chef Lars Küntzel fertigt Mützen wie "Elbsegler" oder "Fleetenkieker" in seiner kleinen Werkstatt noch selbst. Zu seinen Kunden gehört Altbundeskanzler Helmut Schmidt.

Wer vom Trubel der Mönckebergstraße entspannen möchte, braucht nur die paar Schritte bis zur Hauptkirche St. Petri zu gehen. Die ihrer Gründung nach älteste Pfarrkirche Hamburgs empfängt den Besucher mit einem schlichten, kühlen Inneren. In einem kleinen Raum der Stille treffen sich Gläubige regelmäßig für ein kurzes Mittagsgebet.

Zu einem "Cappuccino mit Gott" lädt hingegen das Kirchencafé an der Steinstraße, das sich ganz dicht an St. Jacobi, die zweite Hauptkirche in der Altstadt, schmiegt. Latte macchiato und Kuchen servieren die meist ehrenamtlichen Helfer kostenlos; wer möchte, kann eine Spende in eine rote Box auf dem Tresen werfen. "Zu uns kommen Büroangestellte ebenso wie Obdachlose", sagt die angehende Diakonin Sarah Zimmermann, die regelmäßig in dem Café arbeitet. "Manche wollen einfach nur einen Kaffee trinken, andere ihr Herz ausschütten."

An den schrecklichen Teil der Hamburger Geschichte mahnt die ehemalige Hauptkirche St. Nikolai am Hopfenmarkt, von der nach den Luftangriffen 1943 nur noch der rußgeschwärzte Turm übrig geblieben ist. Seit dem Jahr 2005 führt ein gläserner Fahrstuhl zu einer Aussichtsplattform auf 76 Meter Höhe. Mit 147 Metern war St. Nikolai übrigens nach der Fertigstellung 1874 drei Jahre lang das höchste Gebäude der Welt.

Künstlerisch wertvoll

Kulturinteressierte haben reichlich Auswahl in der Altstadt. Großes Theater im Thalia oder doch lieber zum heimeligen Theaterschiff am Nikolaifleet? Alte Meister in der Kunsthalle, die Moderne im kühlen Kubus der Galerie der Gegenwart oder zeitgenössische Fotografie in den Deichtorhallen? Wesentlich kleiner, aber dafür auch überschaubarer ist das Bucerius Kunst Forum am Rathausmarkt, das mit mehreren Ausstellungen jährlich lockt.

Auch wenn sie gegenüber Touristen und Einkaufslustigen eindeutig in der Minderheit sind - es gibt Menschen, die in der Altstadt wohnen. Im Schatten der dritten Hauptkirche St. Katharinen, entlang der Reimerstwiete, findet sich ein erstaunlich ruhiger Hinterhof, in dem Kirschbäume blühen und Vögel zwitschern. Abends dann kehren die Bewohner des kleinen Viertels im Weinlokal Schoppenhauer ein. Die urige Atmosphäre in dem alten Fachwerkhaus aus dem Jahr 1633 und der dazugehörige schmale Garten, in den man durch ein geöffnetes Fenster im Erdgeschoss gelangt, machen einen Besuch in diesem Lokal zu einem ganz besonderen Erlebnis.

In der nächsten Folge am 9.7.: Groß Flottbek

Die Serie finden Sie auch unter www.abendblatt.de . Die Serie bald als Buch: jetzt bestellen unter www.abendblatt.de/shop oder Telefon 040 / 347 265 66