Hamburg. Mieter und Gewerbetreibende beschreiben dramatische Situation im Kontorhausviertel. Zwei Bewohner griffen schon zur Selbstjustiz.

  • Die Anwohner am Altstädter Hof sind in großer Sorge: Fäkalien, Mull und mehr türmen sich um den denkmalgeschützten Wohnblock.
  • Doch weder die Stadt Hamburg noch das Wohnungsunternehmen Saga fühlen sich zuständig

Birte Beussel wohnt seit fast 30 Jahren im Altstädter Hof. Aber vielleicht nicht mehr lange. „Sie sind kurz davor, mich zu vertreiben“, sagt die 52-Jährige. Dann zückt sie ihr Handy und zeigt Bilder, aufgenommen rund um ihren denkmalgeschützten Wohnblock. Zu sehen sind Fäkalien und Müll, obdachlose Menschen, die im Innenhof auf dem Boden liegen oder in Gruppen herumstehen. „Der Hall geht durch Mark und Bein. Das ist, als ob sie im Wohnzimmer wären.“ Ihren Müll bringt Beussel nur noch sonntags weg, wenn niemand mehr die Tonnen belagert. Abends mag sie schon gar nicht mehr aus dem Haus gehen, „da kriege ich Panik“.

Beussel ist eine von etwa 40 Anwohnern und Gewerbetreibenden aus dem Hamburger Kontorhausviertel, die sich an diesem Mittwochabend auf Einladung einer Mietergemeinschaft in der Bierstube Kombüse versammelt haben. Für sie alle ist ihr Quartier, das seit 2015 zusammen mit der Speicherstadt zum Unesco-Weltkulturerbe zählt, nicht mehr der lebens- und liebenswerte Ort, der er einmal war. Zu viel Lärm, zu viel Schmutz, zu viel Gestank. Und zu viele Drogensüchtige, mit denen die Probleme hier eingezogen sind.

Etwa 40 Anwohner und Gewerbetreibende aus dem Hamburger Kontorhausviertel trafen sich am Mittwochabend auf Einladung einer Mietergemeinschaft mit Vertretern der Politik in der Kombüse.
Etwa 40 Anwohner und Gewerbetreibende aus dem Hamburger Kontorhausviertel trafen sich am Mittwochabend auf Einladung einer Mietergemeinschaft mit Vertretern der Politik in der Kombüse. © Funke Medien Hamburg | Privat

Die Stimmung in der Bierstube ist aufgeladen. Aber der Groll, das wird in vielen Wortmeldungen betont, richtet sich weniger gegen die Obdachlosen als vielmehr gegen die Caritas. Sie betreibt an der Altstädter Twiete seit eineinhalb Jahren die Obdachloseneinrichtung CariCare. Doch der „Tagestreff“ hat sich de facto längst in den Innenhof des 30er-Jahre-Ensembles verlagert – und sowohl die Caritas als auch das städtische Wohnungsunternehmen Saga als Vermieter schauten tatenlos zu, so der Vorwurf.

Hamburg City: Blut, Schmutz und Spritzen im Kontorhausviertel – „es reicht!“

Die Folgen ließen sich überall im Quartier beobachten. „Mir bricht das Herz, wenn ich durch meine Innenstadt gehe“, sagt Anwohnerin Diana Bauer. In dem Beet an der Altstädter Straße habe sie selbst Samen gepflanzt. „Jetzt finde ich dort Spritzen. Und überall wird vor die Tür gekackt.“ An der Garageneinfahrt zum Altstädter Hof, wo allnächtlich Obdachlose kampieren, sorgte kürzlich eine große Blutlache für Aufregung im Viertel. Woher sie kam, weiß niemand.

Diese Blutlache versetzte vor Kurzem die Anwohner am Altstädter Hof in Aufregung.
Diese Blutlache versetzte vor Kurzem die Anwohner am Altstädter Hof in Aufregung. © Funke Medien Hamburg | Privat

Ulrich „Ulli“ Marsau erzählt, dass er jeden Tag Kot auf der Terrasse seiner Rösterei Coffeum finde, die er seit 25 Jahren betreibt. Doch dabei bleibe es nicht. Kürzlich sei er von einem Obdachlosen bedroht worden. „Der kam mit erhobener Faust auf mich zu und hat noch auf die Außenbestuhlung gepinkelt. Es reicht.“

Hamburg City: Vorwürfe gegen Caritas und Saga

Jörg Schröder ist einer der Initiatoren des Protests. Er sagt: „Die Caritas nimmt die Missstände in Kauf und zieht sich komplett raus, obwohl sie weiß, dass ein kleiner Personenkreis sich teilweise nicht an Drogen- und Alkoholkonsumverbot hält. Und die Saga hätte die Verpflichtung, ihren Mieter in den Griff zu bekommen.“

Eineinhalb Jahre habe man es mit Reden versucht, habe die Politik und immer wieder auch die Polizei eingeschaltet – ohne Erfolg. Nun gelte es, den Druck zu erhöhen. In einem sogenannten Lärmprotokoll sollen die Störungen und Belästigungen dokumentiert werden. 68 Einträge umfasst die Datenbank bereits.

Obdachlose haben vor einem Antiquitätengeschäft an der Steinstraße ihr Nachtlager aufgeschlagen.
Obdachlose haben vor einem Antiquitätengeschäft an der Steinstraße ihr Nachtlager aufgeschlagen. © Funke Medien Hamburg | Achim Leoni

„So ein Protokoll ist extrem wichtig, damit die Polizei und auch der Bezirkliche Kontrolldienst nicht darauf verweisen können, dass es keine Beschwerdelage gäbe“, sagt Gunter Böttcher, der Vorsitzende der CDU-Fraktion in der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte. Er verspricht den Anwesenden: „Dieser Abend wird nicht folgenlos bleiben.“

Hamburg City: Zwei Mieter im Kontorhausviertel griffen zur Selbstjustiz

Sein Fraktionskollege Roland Hoitz will mit der Caritas ein ernstes Wort reden. Auch er sei zwar froh gewesen, nach dem Abriss des City-Hofs einen neuen Standort für die Hilfsorganisation in den ehemaligen Redaktionsräumen von „Hinz&Kunzt“ gefunden zu haben. „Aber das Konzept war ein anderes, von einer Tagesaufenthaltsstätte war damals keine Rede.“ Auch möge sich CariCare ein Beispiel am Pik As nehmen: Die Obdachlosenunterkunft in der Neustadt stoße auf Akzeptanz, weil sie auf ihre Klientel eingewirkt und dafür gesorgt habe, auch die Umgebung sauber zu halten.

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Rolf Bosse vom Mieterverein zu Hamburg hält Lärmprotokolle für ein gutes Instrument „zum Beweis des Mangels“ – zumal bauliche Maßnahmen wie etwa eine Absperrung des Innenhofs wegen des Denkmalschutzes nicht möglich sind. Um auf die Saga einzuwirken, könnten die Anwohner eine Mietminderung in Betracht ziehen. Bosse: „Wohnungsunternehmen spüren Schmerzen häufig nur am Portemonnaie.“

Zwei Mieter griffen bereits entnervt zur Selbstjustiz. Einer warf vom Fenster ein Ei in den Innenhof, ein anderer lieferte sich eine körperliche Auseinandersetzung mit einem Obdachlosen. Gegen beide Bewohner wurden Strafverfahren eingeleitet.