Hamburg. Ungewollte Berührungen in Hamburger Clubs und sexistische Sprüche: Drei junge Frauen erzählen, was ihnen beim Feiern widerfahren ist.

Bunte blinkende Lichter, wummernder Bass und Tausende Menschen, die in die Clubs drängen: Die Reeperbahn ist Hamburgs größte Feiermeile und damit auch weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Doch hinter den Türen der Clubs auf der Großen Freiheit oder dem Hamburger Berg wird einigen schnell die Freude am Tanzen genommen – meist sind es Frauen.

Der Grund: unerwünschte Berührungen, aufdringliche Blicke, sexistische Sprüche. Im Jahr 2022 lag der Stadtteil St. Pauli bei den Delikten der sexuellen Belästigung mit 113 Fällen unangefochten auf Platz eins im Bezirk Hamburg-Mitte. Das zeigen Daten der Hamburger Polizei. Die Dunkelziffer dürfte noch viel höher liegen. Das Abendblatt hat mit drei Frauen über ihre Erlebnisse auf dem Hamburger Kiez gesprochen.

Hamburger Kiez: Unangenehme Situationen gibt es jedes Mal

„Das letzte Mal, als ich das akut erlebt habe, ist vielleicht knapp einen Monat her. Ich war mit einer Freundin zu zweit auf dem Hamburger Berg unterwegs“ erzählt Nele F. (Anm. d. Red.: alle Namen geändert). Die beiden Freundinnen seien von Bar zu Bar gezogen, „einfach, weil es in jeder Bar sehr schnell unangenehm wurde“.

Unangenehm werde es für Nele F. immer dann, wenn sie sich beim Tanzen extrem „von oben bis unten, ein bisschen herabwürdigend“ beobachtet fühlt oder von Männern im Vorbeigehen „am Arm gestreift oder gegriffen“ wird. Diese Situationen kämen aber so gut wie jedes Mal vor, wenn die 29-Jährige auf dem Kiez feiern geht.

Unerwünschte Berührungen in Clubs oft nicht mehr zuzuordnen

„Und dann, gerade in sehr vollen Läden, und das habe ich eben zuletzt an dem Abend auf dem Hamburger Berg erlebt, wird man auch wirklich anderweitig angefasst“, berichtet Nele F. ohne weiter ins Detail gehen zu wollen.

Das Problem: „Oft ist es dann so voll, dass man die Berührung niemandem zuordnen kann. Das ist danneine richtige Ohnmachtssituation, weil man keine Handhabe hat, aktiv zu werden. Also weder verbal, noch Anzeige zu erstatten oder wie weit es dann eben auch immer gehen kann“, sagt die Hamburgerin.

Hamburgerin: „Man wird einfach nur sexualisiert in dem Moment“

Wie einige Menschen solche Situationen als Kompliment deuten können, kann die 29-Jährige nicht verstehen. „Man wird einfach nur als Objekt und sexualisiert behandelt in dem Moment. Es hat nichts mit meiner Person zu tun“, stellt die junge Frau klar. Letztendlich seien solche Übergriffe nichts anderes als Machtdemonstrationen, die etwas „Bloßstellendes“ an sich hätten – und negative Gefühle nach sich ziehen.

„Lange hat das wirklich funktioniert, dass ich mich klein gemacht gefühlt habe. Mittlerweile löst das aber ein richtiges Wutgefühl bei mir aus“, sagt Nele F.

Betrunkener Mann ließ sich im Club nicht abschütteln

Dieses Gefühl kennt auch Franziska S. nur zu gut. Die 33-Jährige erzählt von einer Situation, die ihr besonders präsent in Erinnerung geblieben ist. „Da war ein Typ sehr, sehr betrunken und hat sich immer wieder angenähert, obwohl ich ihm mehrmals ‚bitte nicht‘ kommuniziert hatte. Er hat sich wirklich nicht abschütteln lassen“, erinnert sich die Hamburgerin.

„Häufiger bin ich aber nur die Freundin, die einfach dabei ist, wenn es passiert“, sagt Franziska S. Ein Grund dafür könnte sein, dass sie oft „etwas lauter“ auftrete und in der Freundesgruppe „eher eine Aufpasserrolle“ übernehme.

Übergriffe von Menschen aus allen Bildungs- und Einkommensschichten

„Ich bin dann eher die, die während meine Gruppe Freundinnen ausgelassen tanzt, die Umgebung scannt, sich dazwischen stellt oder abschirmt“, erzählt Franziska S. Doch auch diese Strategie scheint nicht wirklich zu funktionieren.

Viele würden es eher noch als Ansporn sehen, um „sich wieder dazwischenzudrängen“ und Sprüche wie „Na, bist du eifersüchtig?“ zu machen, sagt die junge Frau. Sie versteht nicht, wie diese Art der Annäherung als Kompliment verstanden werden könne.

Die Übergriffe kämen übrigens von Männern aus allen Bildungs- und Einkommensschichten. „Es gibt keinen Stereotyp – außer männlich“, sagt Franziska S.

Hamburgerin über Belästigung: „Es löst einfach Verzweiflung aus“

Ein weiterer Gedanke beschäftigt die junge Frau: „Ich würde uns Freundinnen als sehr selbstbewusst bezeichnen. Wenn dann schon bei uns ein ‚Nein‘ nicht wirkt, wie geht es dann anderen Frauen? Und was passiert, wenn dir jemand aus dem Club folgt?“ Das löse Verzweiflung aus, sagt Franziska S. Man habe in dieser Situation keinerlei Macht mehr.

Dass Machtlosigkeit das übergeordnete Gefühl für viele Betroffene ist, bestätigt auch Sophia L. Die 32-Jährige geht nach eigenen Angaben nicht oft feiern. Erfahrungen mit sexueller Belästigung auf dem Kiez hat sie trotzdem schon gemacht.

„Die Sätze, die man dann in der Situation sagt, reichen einfach nicht aus“, so die Hamburgerin. Auch sie erinnert sich an einen konkreten Abend auf der Reeperbahn. Dort habe sie versucht, mit einem Mann über eine ungewünschte Annäherung zu diskutieren – und keine Chance gehabt. „Da mussten dann erst seine Freunde kommen und ihn wegziehen, um die Situation aufzulösen“, berichtet Sophia L.

Frauen fordern: Sexueller Belästigung mehr Aufmerksamkeit schenken

„Wir rätseln im Freundeskreis schon sehr lange über die richtige Strategie im Umgang mit dieser Art von Belästigung“, erzählt die junge Frau. Gefunden habe man sie bis jetzt allerdings noch nicht.

Nele F., Franziska S., Sophie L.: Alle drei Frauen fordern, dieser Art von sexueller Belästigung mehr Aufmerksamkeit zu schenken. „Es ist super wichtig zu verstehen, was da passiert. Man dachte zu lange, es sei normal“, sagt Nele F.

Prävention sollte schon in der Schule ansetzen

Und auch Franziska S. fordert zum Handeln auf: „Man muss den Leuten schon in der Schule beibringen, wie Grenzen aufgestellt und eingehalten werden.“ In der Schule anzusetzen, hält auch Sophie L. für sinnvoll: „Bereits im jungen Alter sollten Kinder und Jugendliche für Gleichberechtigungsthemen sensibilisiert werden und in der Auseinandersetzung mit Weiblichkeits- und Männlichkeitskonzepten unterstützt werden.“

Auf dem Hamburger Kiez ist die Polizei an den Wochenenden auch mit Unterstützung der Landesbereitschaftspolizei unterwegs. „Wir betreiben einen hohen Aufwand und begegnen der Situation auf dem Kiez mit einem bereits lange bewährten Maßnahmenpaket“, sagt Sprecher Sören Zimbal und verweist auf Präsenzmaßnahmen, zivile Beamte und Videoüberwachung.

Hamburg: Mit Code-Satz in Clubs Hilfe bekommen

Doch auch mehr Sichtbarkeit von Sicherheitsmitarbeitern innerhalb der Clubs halten die jungen Frauen für einen wichtigen Baustein zur Eindämmung von sexueller Belästigung.

Derzeit können sich Betroffene schon in vielen Clubs und Bars mit dem Code-Satz „Ist Luisa hier?“ an die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wenden. Je nach Wunsch werden dann Maßnahmen ergriffen, die Situation aufzulösen – zum Beispiel durch das Kontaktieren von Freunden, eines Taxis oder auch indem der Aufenthalt beispielsweise im Personalraum ermöglicht wird.