Hamburg. Das gleichmäßige Brummen könnte von einem Zahnarztbohrer stammen. Ganz so anders als eine Praxis sieht das Studio, in dem Ernst Günter Götz seine „Schmerzpatienten“ begrüßt, auch gar nicht aus: zwei Liegen, Drehstühle und ein Empfangstisch, hinten ein kleiner Wartebereich. Doch Götz trägt nicht Kittel und Mundschutz, sondern ein schwarzes Kurzarmhemd. Wo er tagsüber arbeitet, tobt nachts das Kiezleben. Seine Adresse ist der Hamburger Berg 8 auf St. Pauli. Und seine Kunden haben keine Zahnschmerzen, sondern Lust darauf, ihrem Körper eine individuelle Handschrift zu geben: sie wollen Tattoos.
Heute nimmt Britta aus Ahrensburg bäuchlings auf einer der beiden Liegen Platz. Sie lässt sich in der ersten von voraussichtlich drei Sitzungen ein aufwendiges Motiv über den gesamten Rücken tätowieren: drei Rosen und ein Kolibri – mit vielen Schnörkeln und kunstvollen Details. Genaugenommen ist es kein komplett neues Tattoo, sondern ein sogenanntes Cover-up. Es soll ein älteres Bild, das Britta sich vor zehn Jahren auf das rechte Schulterblatt hat stechen lassen, überdecken. Der Weg dahin ist offensichtlich kein Vergnügen. „Es fühlt sich an, wie ein heftiger Sonnenbrand – so, als wenn es die Haut zerreißt“, sagt die 43-Jährige. Die unangenehme Prozedur nimmt Britta in Kauf.
Herbert Hoffmann – Urvater der professionellen Tätowierung
Ein so aufwendiges Tattoo sticht Götz nicht alle Tage und doch ist er ganz routiniert bei der Sache. Als kleiner Junge hat er gern gezeichnet. Das Hobby machte er später zum Beruf – nur eben nicht auf Papier, sondern auf der menschlichen Haut. Vor nunmehr 34 Jahren, erzählt der gebürtige Franke, übernahm er „Die Älteste Tätowierstube in Deutschland“ von seinem Halbonkel Herbert Hoffmann. Zum ersten Mal angemeldet wurde das Geschäft aber bereits 1946 von dem Tätowierer Paul Holzhaus.
Damit ist Götz‘ Wirkungsstätte tatsächlich deutschlandweit als das Tattoogeschäft bekannt, das sich am längsten an einem Ort befindet, wie der Kunsthistoriker Ole Wittmann bestätigt. Der Wissenschaftler forscht aktuell über den Tätowierer Christian Warlich, der bis in die 50er Jahre unweit der Hamburger Reeperbahn ein Tattoo-Studio führte. „Er war der Urvater der professionellen Tätowierung in Deutschland“, sagt Wittmann.
Typische Hamburg-Motive sind beliebt
„Die Tattookunst hat einen engen Bezug zur Seefahrt“, erklärt Historiker Wittmann. Seeleute ließen sich Tattoos auf Schiffen und in Hafenstädten zum Andenken an ihre Reisen stechen. Über die Haut wanderten die Motive um die Welt. Trotzdem seien Tattoos nie eine reine Seemannstradition gewesen. „Tätowierungen gab es in allen Gesellschaftsschichten“, betont der Forscher. Das ist heute nicht anders, wie Tätowierer Götz bestätigt. „Zu mir kommen Menschen aus dem öffentlichen Leben, Ärzte und Rechtsanwälte“, sagt der 63-Jährige.
Der letzte Schrei beim Stechenlassen? „Vor kurzem habe ich die Elphi zum ersten Mal einem Kunden auf den Unterarm gestochen“, sagt Götz ganz stolz zum quasi „fleischgewordenen“ Konzerthaus. Dass sich daraus in Zukunft ein Trend entwickeln könnte, schließt der Profi nicht aus. Denn auch andere typische Hamburg-Motive, wie Michel, Fernsehturm oder Köhlbrandbrücke, seien schon seit Jahren bei seinen Kunden beliebt.
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