Teppichhändler Massoud Rismanchi macht das Zeltdorf auf dem Gertrudenkirchhof für den sinkenden Umsatz seines Einrichtungsgeschäfts verantwortlich. Es schrecke Kunden ab. „Faktisch bin ich insolvent.“

Altstadt. Vermutlich kommt die Räumung des Occupy-Camps am Gertrudenkirchhof für sein Einrichtungsgeschäft zu spät. Massoud Rismanchi, Iraner, 49 Jahre alt, und nach eigenen Angaben seit genau 20 Jahren im Teppichgeschäft, schiebt seine Designerlesebrille ins gegelte Haar hoch und blickt durch die Schaufensterscheibe auf die Reste des Camps, die ihm seit Jahren ein Dorn im Auge sind. Und die – so sagt er jedenfalls – auch der Hauptgrund dafür sind, dass er jetzt kurz vor der Insolvenz steht. Ganz kurz.

„Sie können es hier schwarz auf weiß lesen“, sagt er und deutet auf eine Reihe Aktenordner, „bevor diese Leute diesen Platz besetzt haben, habe ich mit meinem Geschäft monatlich 50.000 bis 60.000 Euro Umsatz erwirtschaftet. Jetzt sind es gerade mal noch 6000 Euro. Faktisch bin ich insolvent.“ Mit der Miete von 5500 Euro sei er seit Monaten im Rückstand, Vattenfall wolle jetzt auch 11.000 Euro für Strom, und in der Ablage fänden sich zahlreiche unbezahlte Rechnungen von Lieferanten. „Schließlich verkaufe ich Luxuswaren. Meine gut betuchte, osteuropäische Stammkundschaft fühlte sich von dem Schmutz da draußen belästigt.“

Dass ein Orientteppichhändler Insolvenz anmeldet, ist nicht neu. Dass es einige schwarze Schafe in dieser Branche gibt, die einen „Räumungsverkauf wegen Geschäftsaufgabe“ mithilfe einer häufig weit verzweigten Verwandtschaft schon lange als florierendes Geschäftsmodell entdeckt haben, auch nicht. Immer wieder fallen derartige Zeitungsannoncen ins Auge.

Neu aber ist die radikale Offenheit, mit der Rismanchi nun versucht zu retten, was vielleicht nicht mehr zu retten ist: Er ließ am letzten Wochenende des vergangenen Jahres eine Zeitungsannonce schalten, in der er die vermeintlich Schuldigen an seiner Misere klar benennt: die Occupy-Bewegung. In der er seine finanzielle Situation mit ziemlicher Deutlichkeit benennt („250.000 Euro Umsatzverlust im vergangenen Jahr“). Und in der er Rabatte auf Teppiche und Möbelstücke von bis zu 70 Prozent verspricht. Eine halbe Million Euro müsse er jetzt irgendwie zusammenbekommen, um weiterzumachen, sagt Rismanchi. Aber Optimismus kling anders.

Der Gertrudenkirchhof, knapp 50 Meter von der Spitalerstraße entfernt, könnte an und für sich ein recht attraktives Pflaster für Einzelhandelsunternehmen sowie Gastronomien sein, auch wenn der große Strom der Passanten – Einheimische wie Touristen – an ihm auf der Mönckeberg- und Spitalerstraße vorbeifließt.

„Aber bis zur Besetzung der Fläche durch Occupy konnte man sein Geschäft noch aufbauen und erweitern“, sagt auch Paolo Sardina, Inhaber des italienischen Restaurants L’Italiano Vero, der in den vergangenen 14 Monaten fünf seiner einstmals sieben Angestellten entlassen musste. Seinen Laden hält er inzwischen nur dank seiner 35 bis 40 Mittagstischstammgäste mehr schlecht als recht über Wasser. „Vor drei Jahren haben wir gedacht, so, jetzt können wir zum ersten Mal nach drei Jahren Urlaub machen. Aber dann kamen diese Leute und haben uns das Abendgeschäft und den Umsatz mit unseren Außenplätzen kaputtgemacht.“

Strafverschärfend kam für den Gastronom jedoch auch ein Baugerüst hinzu, dass in diesem Jahr anstatt 40 Tagen praktisch den gesamten Sommer lang den Blick auf die weiße Fassade des Altbaus versperrte, in dem das L’Italiano Vero im Souterrain residiert. „Dem Besitzer gefiel die renovierte Fassade nicht. Daraufhin ließ er alles noch einmal machen. Doch wer abends aus der Spitalerstraße kommt, und der Blick fällt auf eine Müllhalde, der dreht normalerweise sofort wieder um.“

Die Müllhalde ist jedoch inzwischen beseitigt. Das Occupy-Camp hat sich räumungsfein gemacht. Es sieht zumindest aufgeräumt aus. „Drei Müllwagen der Stadtreinigung haben das erledigt“, sagt Sardina. Am Silvestertag musste laut des Bescheides des Bezirksamts Mitte vom 3. Dezember 2013 dieser „auf dem im öffentlichem Wegeeigentum der Freien und Hansestadt Hamburg errichteten Zelt- und Lagerplatz Occupy Hamburg Camp endgültig beseitigt werden“.

Was aber auch einige andere Geschäftsinhaber rund ums Camp richtig sauer macht, ist das Verbot, sogenannte Kundenstopper aufzustellen – Aufsteller, die auf ein Geschäft werbewirksam aufmerksam machen können, das sich etwas abseits der Flanierhauptzonen befindet. Karen Davtian, der mit seiner Ehefrau das Beanie Bee an der Ecke Lilienstraße/Gertrudenkirchhof betreibt, eine Mischung aus Bistro und Café, versteht das nicht: „Als uns das Bezirksamt unsere beiden Aufsteller entfernt hatte, haben wir von heute auf morgen 30 Prozent weniger Umsatz kreiert.“ Den Occupy-Aktivisten, die den Gertrudenkirchhof seit 2011 besetzt hielten, sieht der gebürtige Armenier jedoch nur als mit und nicht allein entscheidend für den Umsatzrückgang an.

„Die allgemeine Krise trifft ja jeden“, sagt er, „aber es wäre doch wenigstens fair, wenn uns die Stadt ein wenig Werbung in eigener Sache erlauben würde, wenn sie doch ausgerechnet mitten in der Stadt privates Camping gestattet!“ Dem widerspricht jedoch das in diesem Fall zuständige Bezirksamt Mitte mit dem Hinweis „auf den Verstoß gegen eine Sondernutzungserlaubnis des öffentlichen Wegerechts“.

Auch Massoud Rismanchi durfte kein Schild aufstellen. Er hat inzwischen seinen Rechtsanwalt damit beauftragt, eine Zivil- oder Schadenersatzklage gegen die Stadt zu prüfen. Aber er weiß selbst, dass seine Chancen hierfür nur äußerst gering sein dürften.