Wohnhaus im Karoviertel ist nach jahrelangem Verfall einsturzgefährdet. Politiker kritisieren städtisches Unternehmen. Schon im März 2010 sind die letzten Mieter ausgezogen.

Hamburg. „Achtung! Einsturzgefahr!“ steht auf dem gelben Warnschild an einem Bauzaun an der Turnerstraße 10. Das Haus dahinter ist eine Bruchbude. Die Fassade bröckelt, ein Dach gibt es nicht mehr. Fenster und Türen sind mit Holzlatten verrammelt – und das mitten im angesagten Karoviertel zwischen Feldstraße und Marktstraße.

Ein Sicherheitsdienst fährt hier regelmäßig Streife und kontrolliert, dass keiner das Haus betritt. Wer hier hineingeht, begibt sich in Lebensgefahr. Die 1860/1861 erbaute, denkmalgeschützte Immobilie gehört nicht etwa einem privaten Investor, sondern seit 1997 dem städtischen Wohnungsunternehmen Saga GWG.

Schon im März 2010 sind die letzten Mieter ausgezogen. Eigentlich sollte das Haus, das in einem Sanierungsgebiet steht, modernisiert werden. Doch jetzt bleibt nur der Abriss: „Dieses Haus ist einsturzgefährdet, darf nicht mehr betreten werden, könnte also gar nicht saniert werden“, sagte Andreas Lüllau, Leiter Neubau bei Saga GWG. Das städtische Wohnungsunternehmen sieht sich deshalb scharfer Kritik von Verwaltung und Politik ausgesetzt.

Hat die Saga das Haus absichtlich verfallen lassen? Jörn Frommann, CDU-Fraktionschef im Bezirk Mitte: „Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Saga über Jahre nichts zur Sanierung dieses Hauses beigetragen hat, außer teure Gutachten in Auftag zu geben. Und das in einem Sanierungsgebiet, in dem der Erhalt der Häuser oberste Priorität hat.“ Die Saga trage eine besondere Verantwortung im Umgang mit Immobilien in der Stadt und sollte als Vorbild für den privaten Bereich fungieren. Auch SPD-Fraktionschef Falko Droßmann übt Kritik: „Dass die Saga sich offensichtlich zu lange Zeit gelassen hat und dieses Gebäude immer mehr verfallen ist, ist ärgerlich.“

Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) sagt dazu: „Was mit dem Objekt Turnerstraße passiert ist, kann man nur als unglücklich bezeichnen. Der Prozess hat sich über Jahre hingezogen, ohne dass die geplante Sanierung zumindest der Fassade in Angriff genommen wurde.“ Der Stadtentwicklungsausschuss der Bezirksversammlung hatte – was äußerst selten vorkommt – noch im September einen gemeinsamen Antrag beschlossen, in dem sich die Politiker „gegen den vollständigen Abriss des Gebäudes nebst Fassade“ aussprachen.

Obwohl das Haus jetzt abgerissen werden muss, hatte die Saga sehr viel Geld investiert – bislang genau 842.632,77 Euro. Das Geld wurde unter anderem für Sicherungsmaßnahmen, Planungskosten, Untersuchungen des Gebäudes und mehrere Gutachten ausgegeben. Dabei wurden Schäden wie Schwammbefall und Risse im Innen- und Außenmauerwerk festgestellt. Die immensen Kosten machen CDU-Politiker Frommann ärgerlich: „Dieses Missmanagement hat den Steuerzahler indirekt fast eine Million Euro gekostet. Es ist schon erstaunlich, wie die Saga das Geld mit vollen Händen ausgibt und dann am Ende nur der Abriss bleibt.“ Eigentlich steht das Haus unter Denkmalschutz, doch das Denkmalschutzamt hat einem Abriss zugestimmt.

Im Laufe der Untersuchungen hatte die Saga laut einer internen Chronologie, die dem Abendblatt vorliegt, bereits im August 2011 das Dach abgebaut. Das kommentiert Grünen-Fraktionschef Michael Osterburg so: „Wenn ein Haus jahrelang ohne Dach ist, dürfte das für den allgemeinen Zustand des Gebäudes nicht gerade förderlich sein.“ Außerdem kritisiert Osterburg: „Wir verlieren wieder ein Haus mit einer großen Bedeutung für den Stadtteil.“

Das Wohnungsunternehmen ist sich keiner Schuld bewusst: „Es gab keine Verzögerungstaktik von Seiten der Saga GWG. Diese Zeit wurde gebraucht, um die zwingend notwendigen Gutachten einzuholen“, sagte Saga-Prokuristin Ulrike Jensen. Vielmehr hätten sich aus dem laufenden Modernisierungsprozess heraus stets neue Schwierigkeiten ergeben, die nicht vorhersehbar gewesen seien. Jensen: „Wir wollten diese Immobilie modernisieren. Doch mit jedem weiteren Gutachten wurde deutlich, dass dieses Haus aufgrund des maroden Zustandes nicht mehr saniert werden kann.“ Im Frühjahr 2013 sei dann klar gewesen, dass die einzige Möglichkeit ein Abriss sei.

Der Ernst der Lage ist allen Beteiligten bekannt. Wie dramatisch es ist, geht auch aus einem Schreiben hervor, das Michael Mathe, Leiter des Fachamtes Stadt- und. Landschaftsplanung, verfasst hat. Hier ist im Bezug auf das weitere Verfahren zu lesen: „Erheblicher Zeitdruck wegen Standfestigkeit der Fassade im Zusammenhang mit einer möglichen Gefährdung von Personen.“ Er habe dazu auch mit Saga-Vorstand Willi Hoppenstedt telefoniert und kommt zu der Erkenntnis: „Ernstes Thema.“

Einen Abbruchantrag hat die Saga GWG im September gestellt. Der Bezirk signalisierte bereits, dass diesem zugestimmt wird. Dazu Bezirksamtschef Andy Grote: „Ein Erhalt der Fassade, wie es auch die Politik favorisiert hat, ist aufgrund des schlechten Zustands des Hauses jetzt nicht mehr realisierbar. Ein schneller Abriss des einsturzgefährdeten Gebäudes und ein Wiederaufbau des Hauses mit historischer Fassade ist der beste Weg.“

Die Saga plant einen öffentlich geförderten Neubau mit neun Wohnungen und will diesen bis Mitte 2016 fertigstellen. Dass die Fassade der heutigen nachempfunden wird, hat das Unternehmen bereits zugesagt. Die alten Mieter haben ein Rückkehrrecht und werden anfangs eine Nettokaltmiete von 5,05 Euro pro Quadratmeter bezahlen. Neumieter zahlen zunächst eine Nettokaltmiete von 6,10 Euro pro Quadratmeter.