Das Weiße Dinner unter freiem Himmel nach Pariser Vorbild lockte mehr als 5000 Gäste an. Immer mehr Menschen finden Gefallen an dem Spektakel.

Hamburg. Das satte Grün der Michel-Wiese war am Sonnabendabend gegen 20 Uhr kaum mehr zu erahnen: Rund um das Hamburger Wahrzeichen hatten sich bereits von 17 Uhr an die ersten Gäste zum dritten Weißen Dinner in der Hansestadt eingefunden und sich an die einzige Regel gehalten, die bei diesem Event zwingend vorgeschrieben ist: Die Kleidung der Gäste, die eingedeckten Tafeln, die Kerzen, der Tischschmuck aus Blumenkränzen und Luftballons müssen weiß sein - und Besteck möglichst aus Silber.

Von Jahr zu Jahr finden mehr Menschen Gefallen an diesem Spektakel, das seinen Ursprung im Paris der späten 1980er-Jahre hat, als ein gewisser François Pasquier seine überfüllte private Gartenparty spontan in den nahe gelegenen Bois de Boulogne verlegt haben soll. Zuletzt tafelten rund 7500 Menschen auf der Champs-Élysées, doch in Hamburg ist man auf bestem Wege, Paris zu übertrumpfen und noch mehr Teilnehmer zu locken.

Im Sommer 2010 feierte das kulturelle Event auf der Schopstraße mit rund 900 Gästen Premiere. Im vergangenen Jahr waren es auf der Osterstraße dann schon mehr als 3000, und nun kamen mehr als 5000 Menschen. Es gibt weder Sponsoren noch Werbebanner, auch keine Gastronomiestände, und der Eintritt ist frei. Die Initiatorin Manon Dunkel hat das Event mit 13 weiteren ehrenamtlichen Mitstreitern organisiert. "Das Weiße Dinner lebt ausschließlich von den Teilnehmern, denn sie gestalten dieses Fest mit und sorgen so für die stimmungsvolle Atmosphäre", sagt sie. Und dass so manche Eventveranstalter, Sektkellereien und andere Unternehmen inzwischen professionelle Weiße-Dinner-Veranstaltungen mit Eintrittspreisen und Catering anbieten, lehnten selbst die Nachkommen des Erfinders strikt ab, obwohl die Idee längst zu einer weltumspannenden Bewegung ausgebaut werde.

Wenige Meter vom Haupteingang entfernt hat es sich der Unternehmensberater Matthias C. Lischke mit seinen Freunden an einer langen Tafel bequem gemacht. Stilgerecht zelebrieren sie französische Lebensart - inklusive eines weißen Rosenbouquets als Tischschmuck, Champagnerflaschen im versilberten Kühler und weißen (!) Champagnerkelchen. "Die Atmosphäre ist unbeschreiblich. Es passt einfach alles, die Menschen haben sich in Schale geworfen und sind superrelaxed. Dazu lecker Essen und ein guter Tropfen, mehr geht nicht", sagt Lischke und wirkt selig. Tatsächlich geht doch noch mehr: Denn am Kopf dieser Tafel sitzt der Pianist Alexander Raytchev und bearbeitet hingebungsvoll ein mitgebrachtes Keyboard. Spontan gesellt sich eine Sängerin dazu, leider nicht wie eigentlich vorgeschrieben in Weiß gekleidet, doch das wird ihr dank italienischer Opernarien sofort und lächelnd verziehen.

Da bleiben auch Touristen stehen und zücken ihre Fotoapparate: "Wir wollten uns eigentlich nur den Michel anschauen, und dann haben wir uns über all die weiß gekleideten Menschen gewundert. Ich dachte zuerst, das sei eine Sekte", sagt eine Touristin aus Stuttgart lächelnd. Schließlich stünden auch die Tische, die wie die Stühle selber mitgebracht werden müssen, ordentlich aneinandergereiht.

Aber es handelt sich bloß um eine verschworene Gemeinschaft, die weder politische noch religiöse Ziele verfolgt, sondern einfach nur für pure Lebenslust sorgen möchte. "Mit den Nachbarn kommt man sofort ins Gespräch, denn alle sind irgendwie gut gelaunt", sagt Marlies Krempl, die sich extra für diesen Abend ein neues, passendes Outfit zugelegt hat: "Auf dem Flohmarkt. Angeblich stammt das Seidenkleid aus den 40er-Jahren." Bereits zum zweiten Mal besucht die Eimsbüttlerin mit Freunden das Weiße Dinner. Die Tafel biegt sich unter Rohmilchkäseplatten, Antipasti, Minipizzen und Salaten. Dazu wird gekühlter Weißwein getrunken. "Hier kann man nach Herzenslust das Leben genießen", sagt Marlies Krempl. Wenig später, als die Zeiger der Turmuhr 21.30 Uhr anzeigen, verwandeln die Gäste die Michel-Wiese in ein Meer aus Wunderkerzen.

Da lächelt auch Sascha Nadjafi, der Krempl gegenübersitzt, selig vor sich hin. Der 34-Jährige aus Mannheim hat sich noch rasch eine weiße Hose kaufen müssen. "Aber die Anschaffung und die Reise haben sich echt gelohnt. Das ist so genial, so etwas sollte man bei uns daheim auch mal auf die Beine stellen."