Kapitän der gekaperten Hadag-Fähre “Elbmeile“ konnte noch einen Notruf absetzen. Schiffsverkehr auf der Elbe war für 40 Minuten gesperrt.

Hamburg. Die meisten Passagiere werden die feindliche Übernahme der "Elbmeile" wohl erst spät wahrgenommen haben. Als neugierige Touristen getarnt, hatten sich acht Frauen und Männer nach und nach auf die Brücke geschlichen. "Wir wollen mal den Führerstand besichtigen", sollen die Entführer dem ahnungslosen Kapitän sinngemäß mitgeteilt haben. Dass daran etwas nicht stimmen konnte, merkte der Schiffsführer spätestens, als ihm das Ruder aus der Hand genommen wurde. Die Elbfähre steuerte daraufhin für knapp eine halbe Stunde führerlos über die Elbe.

Warum die mutmaßlichen PKK-Aktivisten gestern am frühen Abend die Elbfähre nahe Finkenwerder kaperten, ist noch nicht völlig geklärt. Möglicherweise handelte es sich um eine reine Protestaktion: An Bord sollen sie mindestens eine Fahne mit dem Antlitz des Kurdenführers und Chefs der Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan, entrollt haben. Öcalan verbüßt in der Türkei eine lebenslange Haftstrafe.

Gegen 17.30 Uhr hatte die "Elbmeile", vom Museumshafen kommend, die Station Finkenwerder anlaufen sollen, als vier Männer und vier Frauen etwa auf Höhe der Hafenlotsenbrüderschaft am Bubendeyweg die Brücke übernahmen. Sie sollen dem Kapitän untersagt haben, Finkenwerder anzulaufen. Ein anderes Ziel wurde nicht vorgegeben. Knapp eine halbe Stunde später ergaben sich die Entführer widerstandslos, als Beamte der Wasserschutzpolizei die Brücke stürmten. Bewaffnet soll keiner der Entführer gewesen sein. Ein neunter Aktivist wurde später unter den fast 60 Passagieren der Elbfähre entdeckt. Warum er nicht mit auf die Brücke stieg, ist nicht bekannt. Verletzt wurde im Laufe des Geschehens niemand.

Mit einer Lautsprecherdurchsage sollen sich die Aktivisten zu erkennen gegeben haben: Der Kapitän sei nicht mehr Herr des Schiffes, habe eine weibliche Stimme in äußerst gebrochenem Deutsch verkündet, berichten Zeugen später. Dem Kapitän soll es kurz zuvor noch gelungen sein, einen Notruf abzusetzen, der die Polizei in höchste Alarmbereitschaft versetzte. Andere Quellen berichten davon, dass Passagiere die Polizei über ihr Mobiltelefon informiert haben. Der Schiffsverkehr auf der Elbe wurde daraufhin für 40 Minuten gesperrt, der Polizeihubschrauber "Libelle" beobachtete die Entführer aus der Luft, an Land bereiteten sich die Beamten des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) auf einen Einsatz vor.

Während die Vorbereitung für eine Befreiung begannen, blieben die Passagiere in Ungewissheit und auch Angst zurück: Sandra H., 37, Redakteurin bei einer Frauenzeitschrift, war mit ihrem zweijährigen Sohn John an den Landungsbrücken zugestiegen und erlebte die Entführung hautnah: Als die Fähre etwa in der Mitte der Elbe war, habe sich eine Frau über die Bordlautsprecher gemeldet. "Wir hörten Parolen", berichtet sie später. Die Motoren seien ausgeschaltet worden, die Fähre sei im Fahrwasser Richtung Teufelsbrück getrieben. Kurz vor dem Anleger seien die Motoren wieder angeworfen worden. "Die Besetzer sagten, dass sie keine Gewalt anwenden werden", erinnert sich H., Waffen habe sie bei den jungen Männern und Frauen nicht gesehen.

Die Rückeroberung der "Elbmeile" gestaltete sich knapp 30 Minuten später leichter und vor allem friedlicher als befürchtet. Mit ihrem größten Streifenboot, der fast 30 Meter langen MS "Bürgermeister Weichmann" und einem weiteren Boot legten Wasserschutzpolizisten beiderseits der gekaperten Fähre an und nahmen alle Passagiere an Bord, sagte Polizeisprecherin Karina Sadowsky gestern Abend. Mitten auf der Elbe mussten die etwa 60 Menschen - die genaue Zahl der Passagiere stand gestern noch nicht fest - über eine Brücke die Schiffe wechseln. Nach der Evakuierung gingen die Beamten, ihre Waffen im Anschlag, zur Brücke - die Freibeuter ergaben sich ohne Widerstand und wurden festgenommen.

Eskortiert vom Polizeihubschrauber und anderen Streifenbooten liefen die Fähre der Linie 62 und das Streifenboot wenig später Finkenwerder an, wo ein Gefangenentransporter bereits auf die neun Entführer wartete. Sie wurden direkt ins Polizeipräsidium in Winterhude gebracht und sollten noch am Abend von Beamten des Staatsschutzes vernommen werden. Die Polizei geht von einer politisch motivierten Tat aus.

Ob die neun Entführer der Hadag-Fähre noch in der Nacht einem Haftrichter vorgeführt wurden und in Untersuchungshaft kamen, war zu Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Polizeiangaben zufolge werden sie sich mindestens wegen des gefährlichen Eingriffs in den Schiffsverkehr verantworten müssen.