Das afghanische Ehepaar Popal betreibt in Hamm an einem kleinen Eckladen an der Sievekingsallee einen außergewöhnlichen Tante-Emma-Laden.

Hamm. Najla Popal sitzt hinter der Kasse ihres Tante-Emma-Ladens und wartet auf Kundschaft. Am späten Vormittag kommen nur wenige, um in dem kleinen Eckladen an der Sievekingsallee einzukaufen. In den türkis gestrichenen Regalen und den beiden Kühlvitrinen findet man fast alles für den täglichen Bedarf. Dazwischen auch vieles, was man seltener braucht: Bücher und alte Schallplatten, Fußballschuhe, Spielzeugautos, Gläser und einen Teekessel.

Doch bei Najla Popal und ihrem Mann Makhdam gibt es noch mehr. Sie verleihen den Wörtern "Service" und "Kundenbindung" eine ganz neue Bedeutung - doch ohne Bonuskarten oder Sammelpunkte zu verteilen. Sie belohnen ihre Kunden, indem sie ihnen die Einkäufe nach Hause bringen, ihnen beim Umzug helfen, sie zu Ärzten und Behörden begleiten, sich ihren Kummer anhören und sie anschreiben lassen - obwohl ihre eigene finanzielle Lage alles andere als rosig ist. "Wir können einfach nicht Nein sagen", sagt das afghanische Paar, das vier erwachsene Söhne hat und in Kirchsteinbek lebt.

+++ Der Überlebenskampf der Tante-Emma-Läden +++

Dabei hatte es sich sein Leben eigentlich anders vorgestellt. Beide stammen aus der ehemaligen afghanischen Oberschicht - Makhdam Popals Mutter war eine Urenkelin des Emirs Amir Dost Mohammed, der Afghanistan zwischen 1826 und 1863 regiert hat. Der junge Makhdam, einer von sieben Geschwistern, besuchte die von deutschen Entwicklungshelfern errichtete Amani-Schule in Kabul. "Ab der achten Klasse hatten wir Deutschunterricht", erinnert sich der mittlerweile 57-Jährige. 1976, nach dem Abitur, kam er nach Hamburg, um Mineralogie zu studieren. "Danach wollte ich eigentlich wieder nach Hause", sagt er. Doch dort kamen die Kommunisten an die Macht, verboten alle Kontakte zur Außenwelt - und seine Familie konnte ihn nicht länger finanziell unterstützen. Also gab er das Studium auf und fing an zu arbeiten.

Dann lernte er Najla kennen. Auch sie entstammte der Bildungsschicht Kabuls. Nachdem sie ihr Anglistikstudium in Kabul beendet hatte, kam sie 1980 nach Hamburg. Von hier aus wollte sie erst einen ihrer Brüder besuchen, der in Berlin Architektur studierte (sie hat noch sieben weitere Geschwister), und dann nach Amerika reisen. Doch dann lernte sie Makhdam kennen - und Amerika war vergessen. "Wir hatten eine Turbobeziehung", sagt Najla Popal. "Im April 1981 kennengelernt, im Juli verlobt, im Oktober geheiratet."

Ihr Mann arbeitete mittlerweile in einem Coop-Markt und hatte es dort bis zur zweiten Führungskraft geschafft. "Nach 15 Jahren hatte ich keine Lust mehr", sagt er. "Ich war für Umsatz, Sauberkeit und Personalpolitik verantwortlich - doch es fiel mir schwer, diesen Druck an meine Mitarbeiter weiterzugeben." 1995 gab er auf. Und übernahm mit seiner Frau den Eckladen in Hamm.

Mittlerweile waren die vier Söhne auf der Welt, die heute zwischen 18 und 28 Jahre alt sind. Damals war der Jüngste zwei. "Unser Leben war harte Arbeit", erinnert sich Najla Popal. Sie brachte nach dem Frühstück die Kinder zur Schule, kaufte mit dem Kleinen für den Laden ein, kehrte nach Hause, um Mittagessen zu kochen, holte die Kinder von der Schule, machte mit ihnen Hausaufgaben und fuhr sie dann zum Sport- und Musikunterricht. Ihr Mann hielt im Laden Stellung, fuhr mittags und nach Feierabend Liefertouren.

Seit die Kinder größer sind, steht Najla Popal im Laden und ihr Mann ist unterwegs - zum Einkaufen oder um Kunden einen Gefallen zu tun.

Bis 2002 lief der Laden gut, dann kamen immer weniger Kunden. "Immer mehr unserer Kunden, denen es früher gut ging, haben trotz Arbeit nicht mehr genug Geld zum Leben", sagen sie. Auch sie selber müssen jonglieren, um mit dem, was sie verdienen, über die Runden zu kommen. Die Ladenmiete und die Raten fürs Häuschen müssen bezahlt, die Söhne unterstützt werden. Drei studieren, der Jüngste sucht einen Ausbildungsplatz als Mediengestalter.

In dem dicken Buch, in dem ihre Stammkunden anschreiben lassen können, sammeln sich jeden Monat viele Hundert Euro Außenstände an. Die meisten Kunden zahlen ihre Schulden zuverlässig zurück, manchmal aber müssen die Popals ihre Schulden eintreiben. "Jetzt kriegen nur noch die jungen Menschen mit Kindern und die Alten Kredit", sagt Najla Popal. Es gibt jedoch nur Lebensmittel, keine Luxuswaren wie Zigaretten oder Alkohol. "Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe gehören zu unserer Mentalität", sagt Makhdam Popal. Und so nehmen er und seine Frau Schülerpraktikanten aus einer Förderschule, die sonst keinen Praktikumsplatz fänden. Sie hören zu, wenn ihre Kunden ihnen bei einer Tasse Kaffee ihr Herz ausschütten.

Sie helfen ihnen, wenn eine Wohnung aufzulösen ist. Oder sie fahren jemanden, der sich bei schlechtem Wetter nach dem Weg zur S-Bahn erkundigt, mal eben zum Bahnhof. So geschehen im letzten Jahr mit einer Gruppe Franzosen. Unter denen war auch Jean-Luc Guizonne, mittlerweile neuer Star beim Musical "König der Löwen" - und Kunde bei den Popals.

Manchmal holen sogar Ärzte den Rat des afghanischen Paares ein. "Neulich rief um zwei Uhr nachts ein Arzt aus dem Marienkrankenhaus an", erzählt Najla Popal. Dorthin hatte ihr Mann einen Kunden gebracht und seine Telefonnummer hinterlassen, "falls Fragen sind". Der Patient randalierte, nachdem er aus der Narkose aufgewacht war. Nun wollte der Arzt wissen, ob der Mann Trinker sei oder es sich um eine Nebenwirkung des Narkosemittels handele. "Wir konnten ihm versichern, dass der Mann kein Alkoholiker ist."

Geld nehmen sie für ihre Dienste nicht an. Als Gegenleistung erwarten sie nur, dass die Kunden bei ihnen einkaufen. "Es ist so sinnvoll, etwas für andere zu tun", sagen sie. "Ein guter Mensch zu sein, hilfreich, tolerant und entgegenkommend."