Die Stadt plant 200 Wohnungen hinter Backstein. Die ersten Mieter sollen 2015 einziehen. 127 Architekten präsentieren ihre Ideen.

Hamburg. Ende des 19. Jahrhunderts wurden rund 20.000 Bewohner der hafennahen Stadtviertel Wandrahm und Kehrwieder umgesiedelt, um den weltgrößten Speicherkomplex für den damals neuen Freihafen zu bauen. Heute ist diese Hamburger Speicherstadt Kandidat für das Unesco-Weltkulturerbe - und soll jetzt wieder Wohnort werden, 130 Jahre nach der Umsiedelung.

Derzeit arbeiten die Behörden an einem Entwicklungskonzept und planen die Entlassung aus dem Geltungsbereich des Hafenentwicklungsgesetzes, das eine Wohnnutzung in den Backsteinbauten noch nicht zulässt. Voraussichtlich nach der Sommerpause könnte die Speicherstadt nach Abendblatt-Informationen bereits aus dem Klammergriff dieses besonderen Hamburger Gesetzes befreit sein. Schon jetzt haben zudem die Stadtentwicklungsbehörde und das teilweise städtische Umschlagunternehmen HHLA als Eigentümerin der Speicherstadt einen Architekturwettbewerb ausgelobt, um Ideen für Wohnungen in den Speichern zu sammeln. Gestern Abend wurden die besten Arbeiten prämiert. Insgesamt gibt es nach ersten Schätzungen ein Potenzial von etwa 200 Mietwohnungen.

+++ Leben in die City +++

+++ Senatorin: Wohnen in der Innenstadt muss möglich sein +++

"Wir unterscheiden hier zwei Kategorien", sagt Thomas Kuhlmann, Chef bei der HHLA-Immobilienabteilung. Wegen des Hochwasserschutzes sei im ersten Schritt Wohnen nur im Block E an der Kibbelstegbrücke möglich - weil dort mit der Brücke ein hochwassersicherer Fluchtweg bereits vorhanden ist. Im Bereich Block X müsste es zudem eine zusätzliche Brückenlösung zur Anbindung an den hochwassersicheren Brooktorkai geben - dann wären auch dort Wohnungen möglich. Bis etwa 2015 könnten 20 bis 50 Wohneinheiten in Block E gebaut werden. "Wir sprechen da aber nicht von normalen Dreizimmerwohnungen", sagt Kuhlmann. Wegen der besonderen Tiefe und Speichersituation werde eher an größere Lofts gedacht - auch in der Kombination aus Atelier und Wohnung.

Für die Entwicklung von etwa 150 weiteren Wohnungen sei indes ein größerer Hochwasserschutz notwendig. Tatsächlich liegt die Speicherstadt außerhalb der Deichlinie und deutlich tiefer als die benachbarte HafenCity, die von Anfang an auf einer künstlichen Erhöhung und damit hochwassersicher angelegt wurde. Und außerhalb der Deichlinie dürfen in Hamburg keine Wohnungen gebaut werden - auch aus der Erfahrung mit der tödlichen Sturmflut von 1962.

Für die Speicherstadt müssten daher etwa fünf Sperrwerke in den Fleeten gebaut werden sowie eine mobile Hochwasserwand am Sandtorkai - dann wäre das historische Backstein-Ensemble auch vor klimabedingten höheren Fluten geschützt. Kosten in dreistelliger Millionenhöhe müssten nach ersten Schätzungen eingeplant werden, eine Entscheidung steht noch aus.

Das HHLA-Konzept sieht eine langfristige Entwicklung der Speicherstadt bis etwa zum Jahr 2018 vor: Rund 300 000 Quadratmeter Nutzfläche stehen dort zur Verfügung, in den vergangenen zwölf Jahren ist die Hälfte davon bereits saniert worden und wird neu genutzt: Kultur ist in die alten Speicher gezogen, Gastronomie und Büros. Zuvor schon waren Teppichhändler den Quartiersleuten gefolgt, die heute ihre Kaffee- und Gewürzlager in modernen Logistikhallen auf dem Kleinen Grasbrook haben. Bis 2018 sollen etwa Büros die Hälfte der Speicherstadt ausmachen, zehn Prozent könnte dem Wohnen dienen, der Rest kulturellen Nutzungen, Restaurants und eben auch dem Teppichhandel. Kuhlmann: "Wir wollen ja nicht alles entwickeln, sondern manche Teppichspeicher so lassen - die Vielfalt ist es ja auch, die den Charme der Speicherstadt ausmacht."

Dabei ist die Idee nicht neu: Schon 1988 hatte der Senat laut darüber nachgedacht, die Speicherstadt in ein Büro- und Wohnviertel zu verwandeln. Klaus von Dohnanyi (SPD), damals Bürgermeister, argumentierte, die Speicherstadt sei den Anforderungen des modernen Hafenbetriebs nicht mehr gewachsen und müsse nun neuen Zwecken dienen. Binnen 15 Jahren sollten in die historischen Speicher Wohnungen, Läden, Restaurants und Büros einziehen. Doch die Pläne fanden im damaligen rot-gelben Senat letztlich doch keine Mehrheit - unter anderem fürchteten Politiker, dass dem Bau von Luxuswohnungen Priorität eingeräumt werde und die 150 im Gewerbezentrum ansässigen Betriebe verdrängt werden könnten, sollte das Viertel den Plänen entsprechend umgewandelt werden.

Wie heute Wohnungen in die Speicherstadt passen könnten - dazu hatten sich jetzt 127 Architekturbüros Gedanken gemacht. Vorgabe: Die Wohnungen sollen dem Charakter der Speicherstadt gerecht werden sowie funktional, wirtschaftlich und dabei auch mit dem Denkmalschutz vereinbar sein. Als Lösung sahen die meisten Entwürfe Lofts und Maisonettes mit Flächen von 100 bis 200 Quadratmetern vor. Der Architekt Volkwin Marg, der die Jury des Wettbewerbs "Wohnen in der Speicherstadt" leitete, überreichte die Preise im Gesamtwert von 70 000 Euro. Der Mitbegründer des Architektenbüros gmp (Gerkan, Marg und Partner) hatte 1996 die Machbarkeitsstudie für die benachbarte HafenCity entwickelt - die ebenfalls wieder Wohnungen an Hafen und nahe der Innenstadt vorsah. "Heute, nach vier Generationen, kehren die Bewohner zurück", sagte Marg. Viele in die neuen Quartiere der HafenCity, künftig hoffentlich auch eine wachsende Zahl in die Speicherstadt selbst. Marg: "Dass dort vielfach anstelle von Lagerböden kulturelle Attraktionen entstanden sind und nun auch noch Wohnungen folgen sollen, begeistert mich. Diese Belebung unseres Stadtzentrums ist jeder Mühe wert."

Alle 127 Arbeiten werden im Speicherblock L, Am Sandtorkai 36a, präsentiert (Eintritt frei; Mo, Mi und Fr bis So von 12 bis 19 Uhr, Do 12 bis 20 Uhr).