Sie kam der Liebe wegen nach Hamburg. Sie leitete als erste Frau einen Traditionsmännerchor, gründete die Schietgäng und die Inseldeerns.

Hamburg. 60 Inseldeerns in weißen Blusen und mit maritimen Halstüchern lockern Körper und Stimmbänder. Sie recken sich und lassen die Schultern kreisen, prusten durch die geschlossenen Lippen, zischen, summen und trällern die Tonleiter hoch und runter. Das zackige Tempo gibt Suely Lauar am Klavier vor. Mit Temperament und Leidenschaft für Musik mischt die Brasilianerin - zierlich, dunkle Haare, Augen voller Glut - seit Jahren ganz Wilhelmsburg auf.

Aus Scharen von Kindern, Frauen und Männern hat sie professionelle und erfolgreiche Chorsänger gemacht, mit denen sie bei Veranstaltungen auftritt. Die Sängerin, Dirigentin und Pianistin arbeitet als Musiklehrerin, bringt beim "Umzug der Kulturen" die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen der Elbinsel zusammen - und ist doch immer auch für ihre zwei Kinder und ihren Mann Holger Kolodziej da.

Aufgewachsen ist Suely Lauar als jüngstes von sechs Geschwistern inmitten von Kaffeeplantagen und Bergen mit Wasserfällen in einem Haus, in dem das Radio den ganzen Tag klassische Musik spielte. Alle - Eltern und Kinder - spielten Gitarre. "Es war zu schön, wenn wir gemeinsam am Lagerfeuer saßen und musizierten", erinnert sie sich. Als Achtjährige lernte sie Klavierspielen und erhielt mit 16 Jahren das Diplom "Tecnico em Piano", mit dem sie selbst Klavierunterricht geben konnte. Doch das reichte ihr nicht.

"Ich wollte Musik. Tag und Nacht." Diesen Wunsch ließ sie sich auf die Hand tätowieren, zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand: einen Violinschlüssel, eine fliegende Möwe und einen Mond. Weil ihre Eltern ihr von einer Laufbahn als Musikerin abrieten, studierte sie zunächst Medizin. "Doch das war nichts für mich", sagt sie. Nach einem Semester warf sie hin. Stattdessen studierte sie zwei Jahre lang Klavier und Musiktheorie in Rio de Janeiro, dann Orchester- und Chorleitung an der staatlichen Musikhochschule vom Minas Gerais in Belo Horizonte, dazu kam der Magister in Kammermusik. Mit vier Chören unternahm sie, als Sängerin und Dirigentin, Konzertreisen in 16 Länder. Dass sie jetzt keinen Opernchor in Brasilien, sondern die Inseldeerns im Gemeindehaus der Wilhelmsburger Kreuzkirche auf dem Klavier begleitet, liegt an der Liebe zu ihrem Mann Holger Kolodziej. Den Aachener lernte sie kennen, als er für zwei Jahre als Chefdirigent des Orchestra Sinfonica de Minas Gerais nach Belo Horizonte kam. Gemeinsam führten sie die "Carmina Burana" auf. "Wir haben ein Jahr lang zusammengearbeitet. Bei dem Intermezzo von ,Cavalleria Rusticana' hat es dann gefunkt", erinnert sich Suely Lauar und lacht. Dann ging Holger zurück nach Deutschland, um in Stuttgart "Tanz der Vampire" zu dirigieren. Sie kannte seine Heimat bereits von mehreren Konzertreisen, hatte 1989 den Mauerfall in Berlin live miterlebt - und wusste: Das Wetter hier gefiel ihr überhaupt nicht. Doch die Liebe war stärker. Im März 2001 folgte sie ihm; erst nach Stuttgart, ein Jahr später nach Hamburg. Dort hatte sich ihr Mann beim "König der Löwen" beworben, wurde zunächst Assistent und ist dort seit 2007 Musikalischer Leiter.

Suely Lauar hat es nie bereut, ihrer Heimat den Rücken gekehrt zu haben. Als ihr Sohn Roman 2002 geboren wurde, beschloss sie, schnell Deutsch zu lernen. "Ich wollte nicht, dass mein Kind die Sprache schneller kann als ich", sagt sie. Plattdeutsch lernte sie auch, denn ihr erstes Projekt war die Leitung des Wilhelmsburger Männerchors von 1872. Eine Frau hatte es in dessen mehr als 130-jähriger Geschichte noch nicht gegeben, doch das Bedürfnis nach kompetenter Führung war größer als das Traditionsbewusstsein. Außerdem unterrichtete sie die Kinderdarsteller vom "König der Löwen". 2005 wurde Tochter Sarah geboren, trotzdem übernahm sie 2006 die Leitungen des Gospelchores Wings of Faith sowie des Polizeichors und gründete die Männerband Schietgäng. Seit 2007 ist sie Musiklehrerin an der katholischen Bonifatiusschule in Wilhelmsburg.

Weil der jungen Mutter die Arbeit damals zu viel wurde, gab sie alle Chöre ab, rief aber schon 2008 die Inseldeerns ins Leben. "Auf einer Chorreise hatten sich Sänger-Ehefrauen beschwert, dass ich nur mit Männern arbeite", erinnert sich die Brasilianerin.

"Aus Spaß" lud sie zu einem ersten Treffen ein - und siehe da: Es kamen gleich 18 Frauen. Keine hatte jemals in einem Chor gesungen. Heute sind es 60, und sie singen richtig gut. Sie sind schon in der TV-Show von Ina Müller gewesen, haben mit Achim Reichel, Stefan Gwildis, Lotto King Karl und Rolf Zuckowski gesungen und sind auf Privatpartys, Geburtstagen und Firmenfeiern aufgetreten.

Und da es ihr eben doch nie genug Musik sein kann, dirigiert sie am 25. Mai die Oper "Don Pasquale" (20 Uhr, Johannes-Brahms-Konservatorium, Eintritt frei) und veranstaltet am 9. Juni zum dritten Mal den "Umzug der Kulturen". Da wird sie als Stimmungskanone vorn auf einem Trecker stehen, dem viele Musikgruppen folgen: afrikanische Trommler, türkische Hochzeitstänzer, der Kinderchor, brasilianische Sambamusiker, albanische Sänger und natürlich die Inseldeerns.