Das Box-Musical feiert am 18. November Weltpremiere im Hamburger Operettenhaus. Jetzt hat das Casting der Darsteller begonnen.

Hamburg. In "London" wird der Boden gewischt. Zu viel Schweiß ist auf das graue Linoleum getropft. Kein Wunder, schließlich sieht das, was die gut 30 Männer hier in einem der nach Musicalstädten benannten Räume machen, eher nach hartem Work-out als nach einer Choreografie aus: Sit-ups, Sidekicks und Liegestütze im Takt der "Rocky"-Hymne "Eye Of The Tiger".

Nach dem Geschmack einiger Frauen sind die Muskelmänner sicherlich nicht der schlechteste Anblick, aber Choreografin Kelly Devine lässt sich von Bizeps und Trizeps nicht ablenken. Aufmerksam verfolgt die Frau mit der pinkfarbenen Trainingshose und den offenen blondierten Haaren jede Bewegung des Testosteronrudels, schließlich sucht sie nach den Besten. Den besten Darstellern für das "Rocky"-Musical, das am 18. November im Operettenhaus Premiere feiern soll.

400 Frauen und Männer sangen, tanzten und spielten jetzt in den Räumen des Musicalproduzenten Stage in der Speicherstadt so gut sie konnten - nur bei jedem Zehnten wird das gut genug sein, um Teil des "Rocky"-Ensembles zu werden. Und dann geht die Suche richtig los, denn die Hauptdarsteller werden erst später ausgewählt.

+++ Einer wie Rocky +++

+++ Wladimir Klitschko testet Box-Ring für "Rocky"-Musical +++

Auf den Fluren der sechsstöckigen Stage-Zentrale herrscht Gedränge. In jeder Ecke des Gebäudes ist die Anspannung zu spüren. Eine Frau in schwarzer Stoffhose und Sport-T-Shirt dehnt sich konzentriert am Geländer der Treppe. Schnell huscht ein durchgeschwitzter Mann an ihr vorbei; in den Händen hält er Notenblätter. Immer wieder geht die Tür eines Casting-Raums auf, und eine Frau bittet mit einem gezischten "Pssssst" um Ruhe. Die Toilettenvorräume wurden von den Bewerbern kurzerhand zur Umkleide umfunktioniert.

In "Scheveningen" singt Rune Høck Møller, 30. "It's The Final Countdown", schmettert er in 80er-Jahre-Manier. Ein bisschen erinnert die Situation an "Deutschland sucht den Superstar" - nur eben ohne Dieter Bohlen und die flachen Witze. Verschanzt hinter Blättern und Wassergläsern sitzen unter anderem Regisseur Alex Timbers sowie Buchautor und Broadway-Größe Thomas Meehan - beide extra aus den USA angereist - und begutachten den 30-Jährigen mit der Strubbelfrisur, dem hellblauen Hemd und der beeindruckenden Stimme. Schon während der gebürtige Däne singt, nicken sich Regisseur und Autor zustimmend zu. Am Ende gibt es sogar noch ein "Awesome!" ("großartig!") von Regisseur Alex Timbers. Dann ist der Nächste dran.

"Es ist für mich wirklich interessant, die Talente hier zu sehen", sagt Alex Timbers. Er ist zum ersten Mal beruflich in Europa. Was das Niveau der Bewerber angeht, könne Hamburg locker mit New York mithalten. Mehr noch: "Die Gesangsfähigkeiten sind sogar überdurchschnittlich." Er muss es wissen, schließlich ist er gerade für das Broadway-Stück "Peter an the Starcatcher" für den Tony Award nominiert worden. Der 33-Jährige sagt über die Herausforderung des "Rocky"-Musicals: "Jeder kann sofort sagen, wie das Musical nicht werden darf, aber keiner, wie es werden soll." Die Herausforderung sei, das Stück cool und für Männer und Frauen gleichermaßen interessant zu machen sowie ein besonderes Design zu schaffen. "Das wird immerhin das erste Musical mit Sport auf der Bühne, der echt aussieht", sagt Timbers. Deshalb sei es wichtig, im Zuschauerraum eine Arenastimmung zu erzeugen.

Vor der Tür gibt sich Rune Høck Møller zurückhaltend. "Das war ganz okay", sagt er. "Ich hatte schon schlechtere Castings." Aber das heiße nichts, man wisse ja nie. Trotzdem sei er optimistisch. Zu einer positiven Prognose will er sich jedoch nicht hinreißen lassen. "Das ist so meine dänische Mentalität", sagt der 30-Jährige. "Man sollte nie zu sehr von sich überzeugt sein." Dabei würde er sich eine Zusage so sehr wünschen. Seit 2007 ist er in Deutschland, hat in Stuttgart, Berlin und Oberhausen gespielt - nur Hamburg hat noch nicht geklappt. "Ich habe immer versucht hierherzukommen und deshalb schon an vielen Castings in Hamburg teilgenommen", sagt er. "Ich brauche einfach den Wind und das Wasser." Ob es klappt, wird er wie alle anderen erst in ein paar Wochen erfahren.