Hamburg. Dass Hamburg eine Perle ist, wissen nicht nur Fußballfreunde. Dass die Hansestadt durch eine Strandperle Glanz erhält, ist gleichfalls klar. Doch nur wenige wissen um das Kleinod über dem angestammten Lokal direkt am Elbufer. Dieses „Oberdeck“ zählt zu den kleinen Geheimnissen in allerbester Lage. Wer in der urigen Kemenate sitzt und den atemberaubenden Blick auf Strom und Hafen genießt, begreift das Leben als Freund.
Noch spannender wird die Geschichte durch einen der beiden Macher der besonderen Gaststätte. Denn hinter den Kulissen zieht mit Christian Toetzke einer der namhaftesten Sportstrategen der Stadt die Fäden. Das Radrennen Cyclassics sowie der Hamburg Triathlon sind nur zwei Beispiele seines Schaffens als Veranstalter hochkarätiger Ereignisse. Anlass für einen Lokaltermin, der diesen Namen tatsächlich verdient.
Von der Elbchaussee kommt der 48 Jahre alte Gastronom mit ganz anderem Hauptberuf den Schulberg hinunter. 20 Prozent Gefälle beflügeln den Schritt. Ihm zur Seite läuft Molly, ein vierjähriger Goldendoodle. Gemeinsam mit ihren beiden Teenagern wohnen Julia und Christian Toetzke nur 300 Meter entfernt. Das ist praktisch – und erklärt den Einstieg in ein für ihn zuvor unbekanntes Geschäftsfeld.
2007 war das, einer Bierlaune entsprungen. Denn die Lokalität mit der Adresse Övelgönne 60 in Othmarschen gibt es schon mehr als 110 Jahre. Anno 1905 wurde an dieser sehenswerten Stelle die Altonaer Milchhalle eröffnet, eine Erfrischungsquelle für Badegäste und Spaziergänger. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde daraus Lührs Gaststätte. Bootsbesitzer vom Anleger vor der Tür, Lotsen und Pensionäre kehrten auf ein Bier ein, hielten Klönschnack oder spielten Skat. Stammgast Bernt Seyfert und Ehefrau Elke tauften die Pinte bei der Übernahme in Strandperle um.
„Wenn ihr eines Tages in den Ruhestand tretet, übernehme ich“, sagte Christian Toetzke zu fortgeschrittener Stunde – beseelt von dem einen oder anderen Feierabendbier. Seine Frau Julia wuchs in Övelgönne auf und kaufte als Kind Eiscreme am Kiosk. Da das Ehepaar in der Nachbarschaft wohnt, lag der Gedanke nahe. Dennoch geriet die bierselige Idee in Vergessenheit. Bis es eines Abends im Jahr 2006 an Toetzkes Haustür klingelte. „Es ist so weit“, sagte Gastwirt Seyfert.
Christian Toetzke schluckte, trank erst mal einen Schnaps – und sagte zu. Die Genehmigung eines Arbeitgebers brauchte er nicht. Praktisch noch als Student der Volkswirtschaftslehre mit Lauerstellung aufs Examen hatte der Pfälzer mit dem heute markanten Hamburger Idiom sein eigenes Unternehmen gegründet: Upsolut. Als Partner stieg später der promovierte Betriebswirt Michael Hinz aus Blankenese ein. Toetzke und Hinz machten die Sportmarketingfirma groß. 2008 verkauften sie die florierende Agentur mit fast 90 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von rund 20 Millionen Euro an den französischen Vermarkter Lagardère Sports. Als Vorstandsmitglied ist Christian Toetzke an mehr als 100 Tagen im Jahr weltweit unterwegs.
Auch im Herbst brummt die Bude
Gut für ihn, dass die Strandperle mitsamt „Oberdeck“ auf wirtschaftlich solidem Fundament steht. Gemeinsam mit ihren Ehefrauen beschäftigen die Macher Jens Fintelmann und Christian Toetzke rund 20 fest angestellte und – je nach Ansturm – mehrere freiberufliche Mitarbeiter. Bei halbwegs anständigem Wetter, auch jetzt im Herbst, brummt die Bude. An den 150 Sitzplätzen wird serviert; die Laufkundschaft bedient sich am Kiosk und nimmt im Sand Platz.
Als Pächter der städtischen Liegenschaft investierten Toetzke & Co. viel: Geld, Ideen, Herzblut. Aus dem Hobby erwuchs ein Nebengeschäft. Als Kaufmann hat der Sportvermarkter ein Faible für Rendite. Dennoch soll die Strandperle werbefreie Zone und somit ihrem Nimbus als etwas andere Gastwirtschaft treu bleiben. Ein PR-Profi seines Formats hat bessere Gedanken, den Betrieb fantasievoll in Szene zu setzen. Beispielsweise mit dem Logo des Lokals. Auch ohne aufdringliche Buchstaben ist die Partnerschaft zu einem örtlichen Bierbrauer unübersehbar.
Ein erweitertes Konzept für das „Oberdeck“ gehört dazu. Wo sich einstmals ein Balkon mit Baldachin und später eine private Behelfsküche befanden, wartet heute ein 2o Quadratmeter großer, teilweise verglaster Raum mit Elbblick vom Feinsten. 16 Gäste können bequem sitzen. Das Ambiente: einfach, gediegen, stilvoll. An rund 130 Tagen im Jahr ist die originelle Kemenate gebucht, davon zur Hälfte für Trauungen – Standesbeamte aus dem Rathaus Altona inklusive. Großunternehmen bitten ihre Führungsriege zum Brainstorming an Bord, Geburtstage werden zelebriert, private Pokerrunden organisiert.
Während der Sommermonate schlug die Miete des „Oberdecks“ mit pauschal 350 Euro zu Buche. Hinzu kamen, wenn gewünscht, Getränke oder Speisen. Von Oktober bis März muss ein Mindestumsatz von 700 Euro gemacht werden; dafür ist die Miete frei. Aktuell arbeitet Toetzkes Crew an einer maritim und rustikal geprägten Menükarte.
Ziel ist es, dem verborgenen Kleinod am Elbufer zusätzlichen Glanz zu verschaffen. Politur oder künstlicher Schnörkel bedarf es keiner: Die hanseatische Klasse reicht. Wer schon im oder auf dem „Oberdeck“ saß, wird sich kaum an einen attraktiveren Ort erinnern. Das sah der Produzent des Edgar-Wallace-Krimis „Gasthaus an der Themse“ ebenso. 1962 /63 sahen 3,6 Millionen Zuschauer im Kino Joachim Fuchsbergers Einsatz als Kommissar. Einige Szenen wurden nicht in London, sondern vor der Strandperle gedreht.
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