Hamburg. In den vergangenen Wochen war insbesondere der Große Saal der Elbphilharmonie für Zehntausende, die dort noch nie waren, das größte denkbare Aha-Erlebnis dieser Stadt, seit Jahrzehnten. Als Bau-Chronist, Buchautor und Musikkritiker – der nicht immer zum Spaß kommt, ihn aber genau deswegen möglichst oft haben möchte – sieht, hört, erlebt man dieses Gebäude nach gut anderthalb Jahrzehnten journalistischer Erschließungs- und Erklärungs-Arbeit grundsätzlich anders. Dann ist es eine faszinierende Kreuzung aus Arbeitsplatz und sehr persönlichem Sehnsuchtsort, weil so vieles neu zu erleben ist, das so lang auf sich warten ließ.
Dazu kommt, als profane Begleiterscheinung der momentan fast täglichen Musik-Begegnungen: Nie mehr auf der Nordseite vom Kaispeicher A zu den Baucontainern gehen, um sich Gummistiefel und Bauhelm abzuholen. Nie mehr den Spott von Kollegen ertragen, die Festspiel-Pausen in Bayreuth oder Salzburg gern mit der Begrüßungsfrage verzierten, bei der wievielten Eröffnungsvertagung dieser Skandalbau „bei euch da oben“ denn wohl gerade sei.
Eine neue Referenzgröße für die Geschmacksknospen
Jeder Abend im Neubau – die letzten Wochen sind wie im Flug vergangen - ist wie der lehrreich genüssliche Aufenthalt vor einer frisch zusammengestöpselten HiFi-Anlage, mit der man am liebsten jede einzelne CD der Sammlung probefahren möchte, nur, weil es jetzt ja endlich geht. Diese Live-Anlage hier hat allerdings, alles in allem, 866 Millionen Euro gekostet, und sie wird seit Wochen von Neugierigen, von Musikhungrigen belagert, als ob Klassik-Konzerte hier vorher Mangelware gewesen wären. In wenigen Tagen dürfte der einmillionste Plaza-Besucher vermeldet werden.
Die Elbphilharmonie ist eine neue, enorm spannende Heimat für professionelle Ohren, die bewerten, abwägen, gut, mittel oder entbehrlich finden sollen. Eine neue Referenzgröße für die Geschmacksknospen, die in dieser Stadt jahrzehntelang vor allem durch den Laeiszhallen-Klang geeicht wurden, aber auch durch Konzerte im Dämmerdunkel der Fabrik, in Hallen bei lauten Bands, beglückt durch Kammermusik in kleineren Sälen.
Seit dem 11. Januar – streng vertrauliche Vorab-Probenbesuche nicht mitgerechnet - ist ganz anderes, sich noch sehr neu anfühlendes Hören angesagt. Block A und Block B beispielsweise, direkt vor der Bühne, sind zwar nah dran, ansonsten aber nicht das Allergelbste vom Ei – zumindest, wenn man auch darauf verzichten kann, sich ein 120er-Orchester aus wenigen Metern Entfernung anzusehen und frontal beschallt zu werden.
Und wenn man lieber nicht in einer scheinbar endlosen Menschenmenge in den Rest-Abend zuckeln möchte. Sondern lieber raus aus dem Saal, bevor die 2072 anderen Konzertgäste zeitgleich zu den zwei Garderoben und dann auf die eine Rolltreppe wollen. Vom Mittelgebirge der 15. Etage aus geht das viel eleganter. Und überhaupt: Je höher der Platz, desto interessanter das Klangerlebnis.
Video: Kent Nagano über die Elbphilharmonie
Dieser Erfahrungsvorsprung in Sachen Akustik ist noch nicht allzu groß, was die Sache mit dem Bewerten nicht immer einfach macht, aber immer lehrreich. Doch jetzt, endlich, ist Showtime. Und die letzten 300 Meter vor der Tube, während es abends noch dunkel ist, sind die schönsten. Auf dem Weg zur Mahatma-Gandhi-Brücke ziehen einen die in Pastellfarben leuchtenden Foyers an wie das Licht die Motte. Die Tube-Fahrt ist mittlerweile fast schon Alltag, während die staunende Mehrheit auf den Stufen sofort die Handys für das erste von etlichen Erinnerungsfotos zückt.
Seit Mitte Januar gibt es ständig Neues auf die Ohren
Im Rausch der ersten Eröffnungsabende war für gar nichts Zeit außer Akkordarbeit: spätabendliches Aktualisieren der Kritik, die es in die Ausgabe des nächsten Tages schaffen muss, mit dem MacBook auf dem Schoß auf einer der Foyertreppen. Von einer Saal-Premiere zur nächsten. Smoking und Schnittchen, ein mehrtägiges Branchentreffen mit Journalisten und Intendanten. Alle, alle hörten zu, wie Bundespräsident Gauck es beim Staatsakt forderte.
Pressestimmen zur Elbphilharmonie-Eröffnung
Der erste Klavierabend, der erste Jazz, das erste internationale Top-Orchester, die erste Kammermusik, der erste Wagner, der erste Mozart. Erst in den ersten Wochen danach ergaben sich Gelegenheiten, um sich auf alle Alltags-Eventualitäten einzurichten: Es gibt, für Notfälle, eine Steckdose für den Laptop neben dem „Carls“-Bistro-Tresen (wenn man nett fragt!); die Backstage-Cafeteria eignet sich für Interviews; Programmheft am besten gleich im 12. Stock mitnehmen. Alles gut zu wissen.
Seit Mitte Januar gibt es ständig Neues auf die Ohren, in einer Umgebung, die man als Bauplan und Baustelle bestens kannte, aber eben noch nicht als Begegnungsstätte, in der sich die Menschen fast ungläubig anstrahlen, weil sie hier sein können. Leuchtende Kinderaugen, überraschte Teenager, anerkennendes Raunen, staunende Touristen, und das tollste, weil gemischteste Publikum haben die einstündigen NDR-„Konzerte für Hamburg“. In der Laeiszhalle ließ sich am Besucheraufkommen mühelos erkennen, welchen Wochentag und welche Veranstalter-Reihe wir gerade hatten. In der Elbphilharmonie ist das so nicht mehr möglich. Das Haus ist für alle, sehr viele, die man vorher so nicht sah, haben die Einladung angenommen.
Tonbandgerät in der Elbphilharmonie
Die Abendtermine des ersten Elbphilharmonie-Monats boten zwar riesige musikalische Abwechslung, das Rundum-Erhören des Großen Saals jedoch ist noch lange nicht abgeschlossen, denn die Presseplätze wurden bislang vor allem vor und leicht oberhalb der Bühne eingeteilt. Die ganz steilen Blick- und Hörperspektiven in der 16. Etage fehlen also noch. Vielleicht klappt es irgendwann sogar, in einem der wenigen extrabreiten „love seats“ zu landen.
Nicht nur der Arbeitsbereich hat sich mit dem 11. Januar verändert, der Rest der Stadt offenbar auch. Ob am Nebentisch beim Mittagessen, in der Bahn, im Café: Es scheint für sehr viele nur ein Gesprächsthema zu geben: Karten. Wer hat wie viele oder auch nicht, wie schwer war das, wann gibt‘s die nächsten? Kollegen möchten zwischen Tür und Kaffeepause mal eben die Besonderheiten von Schostakowitschs späten Sinfonien erklärt bekommen, oder froh berichten, wie ihnen das Pärt-Konzert gefiel.
Genau das war der Plan. Andere zählen die Stunden, bis sie das nächste Mal, endlich, den Großen Saal betreten dürfen und ein für sie komplett neues Gefühl genießen können: angekommen, willkommen zurück. Hier spielt die Musik, für jeden. Und, ganz ehrlich: Ich könnte auch schon wieder.
Neues Magazin zur Elbphilharmonie
Elbphilharmonie – alles, was Sie wissen müssen: Das Hamburger Abendblatt bringt am Freitag ein eigenes, 84 Seiten starkes Magazin im hochwertigen Zeitschriftendruck zum neuen Konzerthaus und Wahrzeichen der Hansestadt heraus. Das Magazin ist mit einer Auflage von 20.000 Exemplaren für 8 Euro in der Abendblatt-Geschäftsstelle und im gut sortierten Zeitschriftenhandel erhältlich. Abonnenten erhalten das Magazin übrigens für 6 Euro in der Geschäftsstelle.
Die Abendblatt-Redaktion präsentiert die schönsten Bilder der Elbphilharmonie und die interessantesten Geschichten zum Konzerthaus. Auf 20 Seiten bietet das neue Magazin einen großen Service: Wie komme ich hin? Wo kann ich parken? Wo bekomme ich Karten? Wo kann ich rund um die Elbphilharmonie essen, trinken oder auch übernachten? Darüber hinaus gibt die Redaktion Tipps und erklärt, was man als Klassikneuling hören sollte.
Hamburger Abendblatt – Elbphilharmonie: 8 Euro im gut sortierten Zeitschriftenhandel, im Infoshop auf der Plaza der Elbphilharmonie, in der Abendblatt-Geschäftsstelle sowie im Onlineshop des Hamburger Abendblatts unter shop.abendblatt.de Abendblatt-Abonnenten erhalten das Magazin in der Geschäftsstelle am Großen Burstah 18–32 und im Onlineshop zum Vorteilspreis von 6 Euro. Auch als E-Paper wird das Maagzin verfügbar sein.
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