Vornehm, vielschichtig und vielfach gefragt: das Leben westlich der Außenalster

Sich in Hamburg, wenn möglich, einem Stadtteil vom Wasser aus zu nähern, liegt auf der Hand, besser gesagt auf dem Weg. Die Pfade parallel zum Harvestehuder Weg an der Außenalster sind beliebt und belebt, manchmal auch ausgetreten. Von der Krugkoppelbrücke bis in die City sind es nur 3,6 Kilometer. Die prachtvollen Villen leuchten am Straßenrand fast so schön wie das blaue Wasser. Während Hamburger dafür oft kaum einen Blick übrighaben, genießen ihn Touristen aus den roten und gelben Doppeldeckerbussen. Sehen und gesehen werden gehört in Harvestehude halt dazu.

Hier zeigt sie sich tatsächlich, die klischeebehaftete blonde Hanseatin zwischen 30 und 50, stets exklusiv gestylt. Gern morgens und nachmittags, wenn sie die Kinder im großen Geländewagen, einem SUV, zur Kita oder Schule fährt und dort wieder abholt.

+++ Fläche & Bevölkerung +++

+++ Kurz & knapp +++

+++ Name & Geschichte +++

+++ Töchter & Söhne +++

Alstervorland ist für alle da

Doch das ist nur eine Facette Harvestehudes. Der mondäne Stadtteil westlich der Außenalster übt eine große Anziehungskraft aus - auf Mensch und Tier. Zu beobachten auf der Hundewiese am Fährdamm. Dort tummeln sich auch Herrchen und Frauchen aus anderen Stadtteilen mit "Leila" oder "Chico". Und manchmal erstreckt sich der Auslauf bis ins Alster-Cliff, in dem sich auch Zweibeiner bei hausgemachten Blechkuchen zum Fressen gern haben. Das Alstervorland ist für alle da.

Erst für die Internationale Gartenbauausstellung (IGA) 1953 erwarb Hamburg die zuvor bis an die Außenalster reichenden Privatgrundstücke. Zwischen Harvestehuder Weg und Sophienterrasse, unterhalb des ehemaligen Kreiswehrersatzamtes, entsteht jetzt ein neues Stadtquartier in Parklage. Die wachsende Stadt - beim Projekt "Wohnen an der Außenalster" prosperiert sie auf einem extrem hohen Niveau: 200 neue Wohnungen und Häuser für 340 Millionen Euro.

Biegt man vom Harvestehuder Weg in die Alsterchaussee, finden sich noch alte Villen. Eine der markantesten ist die klassizistische mit Hausnummer 30. Das in den 1830er-Jahren erbaute Haus, seit 1947 unter Denkmalschutz, war von 1952 bis 1999 Sitz des Theaters im Zimmer. Seit 2009 wird die Villa wieder bespielt - von der benachbarten, zum Stadtteil Rotherbaum gehörenden Hochschule für Musik und Theater.


Das Zentrum St. Nikolai

Doch auch in Harvestehude wird Musik großgeschrieben. Mit dafür verantwortlich zeichnet das Wilhelm-Gymnasium. Die humanistische altsprachliche Schule am Klosterstieg ist außer für ihr Rudertraining bekannt für ihren Musikzweig der Klassen 5 bis 10. Lennart Elze, Abi-Jahrgang 1993, war einer der ersten, der ihn am "WG" durchlaufen hat. "Ich habe das nie als Quälerei empfunden", sagt er. Elze ist Ur-Harvestehuder. Als solcher hat er in jüngster Zeit einen vermehrten schnellen Abriss alter Villen in seiner Umgebung registrieren müssen. Und der Augenarzt ist nicht der Einzige, der Neubauten bis hin zu Großprojekten wie jenem an der Sophienterrasse skeptisch gegenübersteht. Harvestehude ist alles andere als ein Problemviertel, doch es verändert sein ursprüngliches Gesicht.

Die St.-Nikolai-Kirche, in der auch Elze konfirmiert wurde, hat bereits seit 2003 ein neues Gemeindehaus. In der Hauptkirche am Klosterstern, an Hamburgs wohl schönstem Kreisel, sind Klassik und Kirchenmusik Trumpf. Nicht nur der Hamburger Knabenchor St. Nikolai übt und konzertiert hier. Unter der Leitung Matthias Hoffmann-Borggrefes hat sich die Kantorei St. Nikolai auch im europäischen Ausland einen Namen gemacht. Das Kammerorchester Hamburger Camerata probt und spielt ebenfalls regelmäßig in St. Nikolai.

Ohne überheblich zu klingen, sagt Michael Watzlawik, einer der drei Pastoren der Hauptkirche: "Wir sind das Zentrum Harvestehudes." Sowohl geistig-kulturell als auch räumlich. "Von hier aus ist alles fußläufig oder mit dem Rad zu erreichen." Seien es die verbliebenen alteingesessenen Geschäfte am Eppendorfer Baum oder die Alster.

Der Stadtteil habe sich aber gewandelt, seit er vor elf Jahren in St. Nikolai, die 2012 als Hauptkirche am Klosterstern ihr 50. Jubiläum feiert, angefangen hat. Pastor Watzlawik: "Es sind viele Familien hinzugezogen." Die meisten haben ein hohes Bildungsniveau. Und sie finden die Parks mitten in der Millionenstadt fast vor der Haustür.

Nicht nur der kleine Bolivarpark gleich gegenüber der Kirche, auch der drei Hektar große Innocentiapark jenseits der Rothenbaumchaussee bietet Grün für Groß und Klein. In einem Kessel lockt er mit einer großen Wiese, drum herum mit zahlreichen Bänken, einem Spielplatz und dem "Klassenzimmer im Grünen": So heißt ein mehr als 100 Jahre altes Toilettenhäuschen, das zum Spielraum umgestaltet wurde. Auch wenn sie dort keinen Zutritt haben, gibt es Leute aus der Kreativwirtschaft, die fast jede Mittagspause im "Innopark" verbringen, um aufzutanken. Das frische Essen bekommen sie zweimal pro Woche auf dem nahen Isemarkt unter dem Hochbahn-Viadukt.

Angela Merkels Wiege

Von oben können die Fahrgäste der U 3 den Anwohnern der Isestraße fast auf den Tisch gucken, besonders für Touristen ist die Fahrt eine Attraktion. Im Haus Isestraße 95 verbrachte eine gewisse Angela Kasner im Sommer 1954 die ersten sechs Wochen ihres Lebens, ehe die Familie in die DDR übersiedelte. Inzwischen ist Angela Merkel Bundeskanzlerin und eine der mächtigsten Frauen der Welt.

Die Bewohner der Grindelhochhäuser sind nicht ganz so prominent, zählen jedoch ebenfalls zu Harvestehude. Gut 3000 Menschen leben in den von 1950 bis 1956 erbauten "gelben Riesen". Die zwölf Hochhäuser, bis auf eines alle im Besitz der städtischen Wohngesellschaft Saga GWG, wurden einst für britische Besatzungsoffíziere konzipiert, waren dann aber die ersten Wohnhochhäuser für Bundesbürger.

Eines der denkmalgeschützten Grindelhochhäuser (Grindelberg 66) ist zugleich Sitz des Bezirksamtes Eimsbüttel. Ein Geheimtipp ist die Kantine im zwölften Stock. Rudolf Hasse, 90, gehört zu den Stammgästen. Denn: Wo bekommt man in Harvestehude sonst eine Currywurst mit Pommes Frites für 2,90 Euro oder einen California-Salat mit Hähnchenbrust für 3,60 Euro? "Harvestehude hat gehobene Klasse", meint der rüstige Rentner, während die Blicke über die Turmspitze von St. Nikolai gen Alster schweifen, "aber der eleganteste Stadtteil ist es nicht."

Kultur und großes Kino

Schließlich ist Harvestehude für so manche (Medien-)Menschen nur Arbeitsplatz: An der Rothenbaumchaussee sitzen NDR-Hörfunk und -Intendanz. Und an der Hallerstraße hat nicht allein Der Club an der Alster, sondern seit 1989 auch der Deutsche Tennis Bund sein Zuhause. Aus dem Tennisstadion Rothenbaum ragt das schließbare Dach des Centre-Courts wie eine Spindel hervor, genutzt wird die Anlage nur während einer Turnierwoche im Jahr.

+++ Der Stadtteil-Pate: Stefan Reckziegel +++

Über permanenten Zuspruch freut sich Holger Steinert. Seit 1985 leitet er das Holi-Kino. Das Gebäude ist Teil der Mitte der 1920-Jahre errichteten roten Backsteinbauten an der Schlankreye, die einen weiteren Kontrast zu den Jugendstil- und Gründerzeitvillen im nobleren Teil bilden. Umso exquisiter ist die Film-Auswahl des Holi, das als eines der ersten Hamburger Kinos die famose französische Komödie "Ziemlich beste Freunde" zeigte. Steinert weiß um den Charme seines Hauses mit Springbrunnen im Foyer und kleiner Bar vor den beiden Kinosälen: "Das Publikum kommt aus den umliegenden Stadtteilen, aber auch aus Altona und von noch weiter her." Für Bolschoi-Übertragungen seien Besucher sogar mal per Bus aus Kiel angereist. Was zeigt, dass Harvestehude nicht nur in Alsternähe Kultur und großes Kino bietet.

In der nächsten Folge am 11.4.: Moorburg